Freiheit verstanden werden, weil sich meine Freiheit nicht als die Freiheit der Selbstverwirklichung in Konkurrenz zu ihrer Freiheit versteht, sondern Gott und Mitmensch geben ihr eine Bestimmung, durch die sie erst recht zum Leben erweckt wird und die ihr damit eine eigene Erfüllung verheißen.
Barth spricht von dem „Geschenk der Freiheit“16 und stellt sie damit jeder Vorstellung von Freiheit gegenüber, zu der erst durch einen Akt der Selbstbefreiung zu gelangen ist. In theologischem Verständnis ist Freiheit weder das Resultat einer bestimmten Aktion des Menschen oder eine in Aussicht gestellte Möglichkeit, die ganze bestimmte Bedingungen formuliert, wie zu ihr zu gelangen ist. Schon gar nicht ist sie ein Postulat der praktischen Vernunft, das zwingend erforderlich ist, um den ethischen Charakter der moralischen Pflicht nicht preisgeben zu müssen,17 sondern eine essenzielle Bestimmung des Menschen, der als Geschöpf Gottes zu einer lebendigen Beziehung mit seinem Schöpfer und seinem Mitmenschen erschaffen ist. Streng genommen kann nur eine geschenkte Freiheit tatsächlich Freiheit sein, weil sich jede andere durch die Nötigung, zu ihrer Ermöglichung erst bestimmte Bedingungen erfüllen zu müssen, von vornherein in einem nicht auflösbaren Widerspruch zu sich selbst befindet. Nur eine geschenkte Freiheit befreit von den Zwängen der Selbstbefreiung und entlässt aus der Nötigung unablässiger Selbstverteidigung.18 Sie konstituiert sich bereits in der Wahrnehmung ihrer Zueignung und wird bewahrt im Vollzug der mit ihr einhergehenden Ermöglichungen, so wie sie in der Abkehr von der sie aufrichtenden Quelle unversehens zum Erliegen kommt, weil sie in den Horizont eines Zwecks gezwängt wird, der nicht mehr sie selbst ist. Ein wenig paradox gewendet kann im Sinne Barths gesagt werden, dass die Freiheit nur da der Knechtschaft irgendwelcher Gesetze entnommen ist, wo das Evangelium das Gesetz der Freiheit ist.
Die hier angesprochene Selbstzwecklichkeit der Freiheit wäre allerdings missverstanden, wenn sie einen richtungslosen und somit leeren Freiheitsbegriff im Visier hätte, denn dieser gerät früher oder später ebenfalls genau in den benannten Widerspruch. Wenn Barth von einer durch Gott qualifizierten Freiheit spricht, grenzt er sich deutlich von einer Wahlfreiheit ab, in welcher der Mensch immer wieder wie Herkules am Scheideweg vor eine sein Schicksal entscheidende Wahl gestellt wird (KD III/1, 301). Ebenso ist es auch keine Freiheit, die uns gleichsam zur Wahl gestellt wird. Wo sich der Mensch vor die Frage gestellt sieht, sich für sie oder gegen sie entscheiden zu sollen, so als könne es auch eine andere jenseits von ihr geben, hat er sich bereits gegen sie gestellt (KD IV/1, 834), weil sie nicht als eine seiner Möglichkeiten in Erscheinung tritt, sondern als die wirkliche Wahrheit und die wahre Wirklichkeit Gottes, der nur in befreiter Anerkennung entsprochen werden kann (oder besser gesagt: der schlicht in befreiter Anerkennung entsprochen werden darf). Das macht ja erst die positive Qualifikation dieses Freiheitsverständnisses aus, dass mit der Freiheit nicht mehr das Schicksal des Menschen auf dem Spiel steht, was doch nur zeigen würde, dass sie nicht tatsächlich frei ist. Die Wahl ist nicht die entscheidende Signatur der Freiheit, zumal auch dem unfreien Menschen nicht einfach abgesprochen werden kann, dass er wählen könne.
Es lässt sich kaum sinnvoll als ein Ausdruck echter Freiheit ausgeben, dass sich der Mensch in seinem Eigensinn auch immer wieder vor die ihn gefährdende Möglichkeit gestellt sieht, dem Raum der von Gott eröffneten Freiheit den Rücken zu kehren in der doch so unbesonnenen Hoffnung, sich am Ende als Schmied des eigenen Glückes feiern zu können. Die Sünde ist nicht, wie es etwa vom emanzipatorischen Idealismus im 19. Jahrhundert gerne angenommen wurde, Ausdruck der Freiheit eines nun endlich zu sich findenden Menschen, sondern die ebenso misstrauische wie wohl auch ahnungslose Stilllegung der Freiheit, durch die er unweigerlich den Gesetzen der Selbstkonstitution verfällt, die ihm früher oder später seine tatsächliche Gefangenschaft vor Augen führen werden (KD IV/2, 559 f). Wenn die Freiheit im von Gott ermöglichten Vertrauen in seinen Bund begründet ist, kann sie nicht zugleich ausgerechnet auch noch für das gegen Gott gerichtete Misstrauen in Anspruch genommen werden. So wie sie in der Treue Gottes ihren Grund hat, kann sie auch nur in der darauf antwortenden Treue des Menschen gelebt werden; Barth spricht dann gern und regelmäßig vom freien Gehorsam, was sich heute nicht mehr ohne weiteres verständlich machen lässt, aber er hat dabei eben diese vertrauensvolle Treue zu Gott im Blick.
These
Wie schon bei Calvin ist auch bei Barth die Perspektive der Theologie nicht nur auf die Rechtfertigung des Menschen und seines Lebens, sondern konsequent noch einen Schritt weiter auf deren Heiligung ausgerichtet. So wie es das ethische Versagen von Theologie und Kirche angesichts des Ersten Weltkriegs war, von dem sich Barth zu einer grundsätzlichen Neubesinnung der Theologie genötigt sah, so zielt seine theologische Arbeit stets auf die konkrete Gestalt des christlichen Lebens, d. h. Dogmatik und Ethik gehören für ihn immer unauflöslich zusammen.
Die genuine Verquickung von Dogmatik und Ethik gehört zu den Charakteristika seiner Theologie. Damit wird eine Fundamentalentscheidung seiner Theologie angesprochen, die unterschiedliche Orientierungsebenen hat, welche aber nicht auseinandergerissen werden dürfen.
Für das Verständnis der Dogmatik gilt, dass sie als kritisches Reflexionsorgan kirchlicher Praxis nicht nur ihre Aufgabenstellung aus dem Leben der Kirche bezieht, sondern auch mit ihren Resultaten und Perspektiven auf das Leben der Kirche im Horizont ihrer jeweiligen Lebensumstände und den aus ihnen resultierenden Versuchungen zielt. Indem das Leben der Kirche insbesondere in seiner verkündigenden Gestalt die Notwendigkeit einer kritischen Theologie herausfordert, bleibt es auch das christliche Leben, auf das sie mit ihren Bemühungen ausgerichtet ist. Die von Barth betonte Kontextualität der Theologie als die von ihr zu fordernde Pünktlichkeit („Bibel und Zeitung“) drängt sie einerseits zu einer erkennbaren Konkretheit, wie sie andererseits zugleich vor unangemessenen Generalisierungen warnt, die in der Regel mit unverbindlichen Abstraktionen verbunden sind. Wenn Barth entschlossen den bekennenden Aspekt der Kirche ins Zentrum rückt, wird dieser Lebens- und Verantwortungsaspekt unterstrichen.
Es ist vor allem die sachliche Umkehrung der lutherischen Grundunterscheidung von Gesetz und Evangelium, welche die pointierte Stoßrichtung Barths deutlich erkennbar macht. An die Stelle des lutherischen Gegensatzpaares tritt die als Komplementärfigur zu verstehende Horizontbestimmung der Theologie als Evangelium und Gesetz (Gebot). Dabei hebt Barth die Komplementarität von Inhalt und Form hervor, die wohl unterschieden, aber niemals voneinander getrennt werden können. So wie das Evangelium der Inhalt des Gesetzes ist, bleibt das Gesetz die Form des Evangeliums.19
Es kann deshalb auch nicht verwundern, wenn die Grundlegung der Ethik bereits in der für Barth besonders bedeutungsvollen Erwählungslehre reflektiert wird (KD II/2). Die Lebensrelevanz der Theologie zeigt sich darin, dass es in ihr keinen Inhalt gibt, dessen hinreichende Erfassung nicht auch in irgendeiner Weise den Bereich tangiert, der mit dem Begriff Ethik allerdings nur sehr unzureichend etikettiert wird. Barth übernimmt nicht einfach ein Konzept der Ethik, das er dann in seine Kirchliche Dogmatik implementiert, sondern er versieht seine dogmatischen Überlegungen von vornherein mit einer Reichweite, die bis in die Gestaltung des christlichen Lebens hineinreicht. Da es in allem, was die Theologie zu reflektieren hat, um Beziehungsverhältnisse Gottes zum Menschen geht, betrifft es auch immer zugleich die Beziehung des Menschen zu Gott ebenso wie die Beziehung zum Mitmenschen. Es geht also nicht um eine zweite Fragestellung, sondern allein um das Ausziehen der dogmatischen Reflexion bis hinein in das christliche Leben, wofür Barth dann die traditionelle Bezeichnung Ethik verwendet.
Von dieser fundamentaltheologischen Ebene bleibt die praktisch-theologische Ebene zu unterscheiden, wo es dann auch zu konkreten Entscheidungen und Stellungnahmen kommt, die für Barth auch stets eine wichtige Bedeutung gehabt haben.20