Theodizeefrage erwachsen, die sich nicht mehr mit der (Gottes-)Antwort des Hiobbuches zufriedengibt (Hi 38–40) und für die Rechtfertigung Gottes eine stringent nachvollziehbare Antwort einfordert. Alle philosophischen Versuche, eine plausible Lösung für dieses Dilemma zu finden, können als gescheitert gelten.12 Die Theologie sollte nicht versuchen, mit den philosophischen Konzepten konkurrieren zu wollen. Für Barth kann nur eine Perspektive in Frage kommen, die einerseits dem Konflikt nicht seine Ernsthaftigkeit nimmt und sich andererseits von dem Problem auch nicht übermäßig beeindrucken lässt, weil damit dann zugleich auch demjenigen das Wort abgeschnitten würde, der als Einziger den hier nötigen Widerspruch einlegen könnte. Wenn Barth damit argumentiert, dass durch das von Gott nicht Gewollte noch einmal ein besonderes Licht auf das von ihm Gewollte fällt, so darf dies nicht als eine intellektuelle Notlösung missverstanden werden. Vielmehr will Barth mit dieser Zuspitzung einmal mehr unterstreichen, dass es theologisch nicht aussichtsreich sein kann, jenseits des Bekenntnisses zu der Unerschütterlichkeit der Menschlichkeit Gottes nach einer Lösung Ausschau zu halten, weil sich das Böse einer rationalen Erklärung entzieht. Er spricht hier von dem Nichtigen, das gleichsam die unbegreifliche Seinsform (!) des Nichtseins in das Sein einträgt – ein durchaus mehrschichtiges Konzept.13 Damit soll keineswegs – wie ihm immer wieder unterstellt wird – die Brisanz der Herausforderung ermäßigt, wohl aber das Gewicht des im Glauben zu sprechenden Bekenntnisses noch einmal klar unterstrichen werden.
Es ist ein eigenes Thema, wenn es in diesem Zusammenhang auch von der Sünde zu sprechen gilt. Während die Neuzeit dem Bösen eine bis dahin beispiellose Reverenz erweist und sich durchaus einigermaßen leichtsinnig bereit zeigt, ihm gleichsam Gott zu opfern, spielt sie auf der anderen Seite die Bedeutung der Sünde des Menschen zu dem Eingeständnis seiner – zumindest vorläufig noch – einzuräumenden Unvollkommenheit herunter. Der neuzeitliche Mensch verlässt sich zunehmend rückhaltlos auf die ihm vermeintlich schöpfungsmäßig garantierte Gottebenbildlichkeit,14 in der er zwar überaus selbstbewusst meint, Gott mehr oder weniger alle Arbeit abnehmen zu können, ohne aber auch noch bemerken zu wollen, dass er ihm gerade damit – im Grunde immer schon – ganz besonders zu schaffen macht. Der sich mit seinen vermeintlichen Stärken Gott gegenüber behauptende Mensch, der sich der Welt nun seinerseits als Schöpfer zu präsentieren bemüht, präsentiert in nichts anderem unverschämter sein Sündersein als genau in seiner Leugnung der Sünde und der Zurückweisung der Gnade Gottes, in der er eine unnötige göttliche Überversorgung unterstellt. Die Sündenvergessenheit verhindert die Wahrnehmung der tatsächlichen Heillosigkeit sowohl der vom Menschen in seine Regie genommenen Welt als auch der eigenen Situation und lässt damit den hoffnungslosen circulus vitiosus unentdeckt, in den sich der Mensch immer tiefer verstrickt.
Die Sünde bezeichnet kein moralisches Versagen, sondern den Unglauben bzw. das Misstrauen Gott gegenüber. Besonders hinter dem Pathos der Moral kann sich eine resistente Erscheinungsweise der Sünde verbergen, gerade dann, wenn sich die Einhaltung der Moral als gottgefällig und hoffnungsvoll präsentiert. Barth unterscheidet drei Gestalten der Sünde, die er genau als die Gegenbewegungen zu den Bewegungen versteht, welche die heilsame Zuwendung Gottes zum Menschen ausmachen. Zum einen ist dies der Hochmut, in dem sich der Mensch gegen die Selbsterniedrigung Gottes in seiner bis in die Tiefe des Leidens und Sterbens reichende Menschwerdung stemmt. Der hochmütige Mensch zelebriert den ebenso unermüdlichen wie tatsächlich erfolglosen Beweis, mit dem er vorgibt, sich dadurch rechtfertigen zu können, dass er alles für sich Notwendige und für die Welt Erforderliche aus eigener Kraft zu bewerkstelligen vermag. Er versucht zu demonstrieren, dass es ausreicht, wenn er selbst für sich eintritt. Und so ist er tatsächlich für sich selbst, ohne aber zu realisieren, dass dies nur funktionieren kann, wenn er auch für die Anderen ist. Obwohl die Folgen davon offensichtlich sind, beklagt er vor allem die Uneinsichtigkeit der Anderen, ohne zu bemerken, dass die zerstörerische Dynamik des aufgeführten Risikospiels in der zum Prinzip erhobenen Vorrangigkeit der Selbstsorge seine Wurzeln hat. Zum zweiten hat die Sünde die Gestalt der Trägheit, mit der sich der Mensch gegen seine mit dem Kreuz Christi vollzogene Aufrichtung stellt. Er duckt sich immer genau dann weg, wenn es darum geht, aufgrund des erkannten Elends das Ruder in eine bessere Richtung auszurichten. Und so taumelt das unheilvolle Geschehen beinahe an allen sich anbietenden Auswegen achtlos vorbei, weil der Mensch sich ausgerechnet da und dann auf seine Ohnmacht besinnt, wo und wenn er gefragt wird, die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten wirksam zum Einsatz kommen zu lassen. Schließlich ist die dritte Gestalt der Sünde die Unaufrichtigkeit, in der sich der Mensch seine Lage schönredet und für jede neue Schandtat rationale Legitimationen erdenkt, mit denen er möglichst unbehelligt seiner Eigenwilligkeit den Weg weiterhin freizuhalten versucht. Die perfekte Lüge verkleidet sich immer mit dem Anschein einer Wahrheit, so dass sie auf ihren kurzen Beinen in der Regel doch recht weit zu kommen scheint, wenn auch nicht tatsächlich. Barth nennt diese dritte Gestalt der Sünde die spezifisch christliche Gestalt der Sünde, weil ihr Skandal nur da in die Augen sticht, wo sich bereits die Wahrheit der Rettung und der Hoffnung vernehmbar gemacht hat und macht, wie es eben in der christlichen Gemeinde der Fall ist. Indem die Kirche aber, anstatt die lebendige Selbstbezeugung Jesu zu verkünden, dieses Zeugnis nach ihren eigenen Bedarfslagen oder den unterstellten Bedarfslagen der von ihr zu adressierenden Welt domestiziert, kehrt sie ihrer Berufung und damit auch sich selbst den Rücken zu.
These
So wie der Mensch durch die Abkehr von Gott wie der Zauberlehrling nicht aus der Gefangenschaft der von ihm nun gerufenen Geister entkommen kann, wird ihm durch Kreuz und Auferstehung Christi genau die Freiheit restituiert, die er durch die Hybris seiner Selbsterhebung verspielt hat, nämlich die Freiheit, sein Leben aus dem Vertrauen zu Gott zu empfangen und als Antwort auf seine Zuwendung gestalten zu können. In diesem Sinne ist Freiheit der Begründungshorizont christlicher Existenz.
Auch wenn sich Barth dagegen gewehrt hat, die Freiheit zum einzigen Leitbegriff des christlichen Lebens zu erheben,15 bleibt sie doch die entscheidende Bestimmung zu seiner Begründung. Auch wenn es für die konkrete Gestaltung des christlichen Lebens nicht ausreicht, sich unablässig auf seine Freiheit zu berufen, bleibt sie doch die Grundbestimmung, aus der dann auch weitere Bestimmungen zu seiner Gestaltung erwachsen können, die sich dann immer auch als Ausdruckformen der grundlegenden Freiheit verstehen lassen. Es wird allerdings entscheidend darauf ankommen, was unter dieser Freiheit verstanden wird.
Eine Möglichkeit des Verstehens kann von vornherein ausgeschlossen werden. Die Freiheit würde sich unversehens gegen sich selbst kehren, wollte man sie als Beliebigkeit oder gar als Willkür verstehen. Wenn sie nicht zu einer wirklichkeitsfremden Illusion verkümmern will, gilt es ein Augenmaß dafür zu entwickeln, in welche Richtung sie gedeihen kann und aus welcher Richtung ihr Gefahren oder gar ihre Stilllegung erwachsen können. Indem sie im Bund Gottes mit dem Menschen begründet ist, wird der Raum dieses Bundes als ihr Betätigungshorizont zu erkennen sein, in dem ihrer Ermöglichung auch eine Bestimmung zugewiesen wird. Der Bund steht für den Wirklichkeitshorizont, in dem sich das Leben durch die Freiheit beflügeln lassen darf und somit lebendig halten kann. Es lässt sich auch so ausdrücken: Die Beziehungen, in denen das Leben zu seiner Bedeutung durchfindet, müssen nicht erst gefunden und zum Leben erweckt oder gar überhaupt erst erfunden werden, sondern sie sind bereits vital, sprechen uns immer schon an und müssen nur wahrgenommen und aufgegriffen werden, damit sie auch in unserem Leben ihre lebendige Bedeutung entfalten können. Das gilt ebenso für die Beziehung zu Gott als auch für diejenige zu den Mitmenschen, denen der Mensch in seiner Freiheit, in der er vor allem von der Sorge um sich selbst befreit, tatsächlich Mitmensch sein kann. Freiheit kann sich hier konsequent als selbständiges Antworten, als eigenständige Reaktion und kreative Mitgestaltung