Michael Weinrich

Karl Barth


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sich stets dazu herausgefordert sehen, sich in diesem Geschehen zu positionieren. Auch dort, wo sie dies in Verkennung ihrer Aufgabe unterlässt, positioniert sie sich unwillkürlich, dann allerdings in problematischer Weise.

      These

      So wie die freie Selbstbestimmung Gottes zu seiner unverbrüchlichen Menschlichkeit in seiner ewigen Gnadenwahl als die Summe des Evangeliums zu betrachten ist, so steht in der Mitte des Evangeliums die Versöhnung des Menschen mit Gott und damit die Wiederherstellung der ein erfülltes Leben ausmachenden Beziehung des Menschen zu Gott und zu seinen Mitmenschen.

      Wenn Barth bisweilen vorgeworfen wird, er habe sich in seiner Theologie vor allem um Gott gekümmert und dabei den Menschen vergessen, wird vor allem anderen, was es dazu noch zu sagen gäbe, übersehen, dass er wie kein anderer die unerschütterliche Menschlichkeit Gottes im Zentrum des christlichen Gottesverständnisses verankert sieht. Es gibt keine Wahrnehmung Gottes ohne die Wahrnehmung seiner Menschlichkeit und damit seiner auf Antwort ausgerichteten Beziehung zum Menschen. Der von Gott aus betrachtete Mensch erscheint dabei nicht nur als Adressat der Zuwendung Gottes, sondern als das freie Gegenüber Gottes, durch das die von Gott angestrebte und ermöglichte Beziehung erst tatsächlich zustande kommen kann. Barth kann pointiert vom Menschen als Partner Gottes sprechen (KD III/2, 207 u. ö.). Die Entschlossenheit und Konsequenz des Eintretens Gottes für den Menschen wird nicht nur als die Mitte der Geschichte seiner Beziehung zum Menschen thematisiert, sondern insofern auch als die „Summe des Evangeliums“ (KD II/2,1) bezeichnet, als diese Mitte auch ganz und gar der freien Selbstbestimmung Gottes in seiner ewigen Gnadenwahl entspricht. Man geht kaum zu weit, wenn man sagt, dass Gott sich selbst gleichsam durch seine Menschlichkeit definiert wissen will.

      Barth distanziert sich mit diesem Akzent allerdings deutlich von allen theologischen Konzepten, die mehr oder weniger vollständig von der Frage geprägt sind, welchen Nutzen der Mensch aus der Wahrnehmung Gottes für sich verbuchen kann. Natürlich wird niemand diese Frage so direkt stellen, aber es ist doch überaus verbreitet, dass die Theologie und auch die Kirche vorrangig damit beschäftigt sind, den Gewinn herauszustreichen, der dem Menschen aus der Wahrnehmung Gottes für sich verbuchen kann. Bis hinein in die neueren Kirchenlieder wird Gott ständig und einigermaßen hemmungslos von den unterstellten Bedürfnisprofilen des mehr oder weniger um seine Frömmigkeit kreisenden Menschen aus in den Blick genommen. Und so erscheint Gott in der kirchlichen Spiritualität unentwegt als eine nach allen Seiten offenstehende Ressource für die Aufrichtung und Stärkung des ansonsten im Grunde recht selbstgewissen Menschen, der um dieser göttlichen Unterstützung willen bereit ist, seine Bedürftigkeit einzuräumen.

      Natürlich kann die Luther zugeschriebene Frage „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ eine berechtigte Frage sein, aber da, wo sie den Ausgangspunkt und dann auch noch den ganzen Orientierungshorizont der Theologie beansprucht, wird wohl von einer problematischen Reduktion der Theologie auf die Soteriologie zu reden sein, die nicht nur der Religionskritik eine kaum abzuweisende Einladung anbietet, sondern auch auf kaum mehr als einen heilsegoistisch gerupften Gott verweisen kann. Wenn Barth diese utilitaristisch-anthropologische Dressur Gottes nicht mitmacht, heißt dies noch lange nicht, dass es in seiner Theologie nichts Bedenkenswertes über den Menschen zu lesen gäbe. Eher ist das Gegenteil der Fall, denn Barth verlässt konsequent die wehleidige oder stolze Ebene der permanenten Selbstthematisierung des Menschen, in dem dann auch Gott hier und da eine entsprechende Betätigungsmöglichkeit eingeräumt wird. Stattdessen konzentriert er sich auf die freie Zuwendung Gottes zum Menschen, die für diesen vor allem als eine Befreiung aus der Gefangenschaft in den stets nur wenig belastbaren und de facto flatterhaften Selbstdefinitionen zu verstehen ist.

      Die Radikalität, in der Barth über die Soteriologie hinaus die Menschlichkeit Gottes und von da aus dann auch die Menschlichkeit des Menschen betrachtet, zeigt sich in nichts deutlicher als darin, dass er sie in dem ewigen Gnadenratschluss Gottes verankert sieht. Seine Neufassung der Prädestinationslehre bzw. der Erwählungslehre betritt gegenüber der bisherigen Tradition vollkommen neues Gelände. Er schert aus der Linie aus, nach welcher der Erwählung eines Teils der Menschen die Verwerfung des anderen entspricht, und hebt die ausnahmslose Erwählung des Menschen hervor, deren Risiko Gott ganz und gar auf seine Seite übernommen hat. Es ist Gott selbst, der in seiner barmherzigen Gerechtigkeit die Verwerfung, die seiner Erwählung entspricht, ganz und gar seinem eigenen trinitarischen Leben anlastet. Im Blick auf den Menschen ist konsequent allein von seiner Erwählung zu sprechen. Damit steht die Soteriologie bei Barth zwar nicht einfach in einer zwingenden Konsequenz zu den erwählungstheologischen Pointen seiner Gotteslehre, wohl aber in einem sachlichen Orientierungshorizont, der ihr auch den letzten Rest eines kontingent schicksalshaften Beigeschmacks nimmt. Bei Barth ist die Menschlichkeit Gottes so sehr mit seinem Wesen verknüpft, dass sie nur durch die Verleugnung Gottes in Abrede gestellt werden kann. Und umgekehrt heißt das: wo von Gott die Rede ist, wird die Angemessenheit dieser Rede daran zu bemessen sein, in welcher Weise sie von der Menschlichkeit geprägt ist, in der es Gott gefallen hat, sich in seiner Beziehung zum Menschen vorzustellen.

      Gott ist so wesenhaft mit seiner Menschlichkeit verbunden, dass sie für Barth eine Absage an einen „Deus absconditus“ – an einen „verborgenen Gott“ mit einer möglicherweise dunklen Seite Gottes – insofern überflüssig macht, als eine solche Absage, wie sie etwa von Luther ausgesprochen wird (vgl. dazu KD II/1, 608 ff), nur dann sinnvoll ist, wenn mit einer solchen anderen Seite des verborgenen Gott irgendwie gerechnet wird. Aber hinter der Offenbarung Gottes bleibt „kein verborgener Gott, kein Deus absconditus […] zurück, mit dessen Existenz und Wirksamkeit wir dann über sein Wort und seinen Geist hinaus gelegentlich auch noch zu rechnen, den wir hinter seiner Offenbarung auch noch zu fürchten und zu verehren hätten.“ (236 f)

      imagesWeitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes in vgl. Kap. IV.3.2 u. IV.4.3.

      These

      Wenn in gebotener Weise eine dualistische Weltwahrnehmung vermieden werden soll, kann das Übel ebensowenig wie die Sünde als eine Gegenmacht Gottes verstanden werden. Zugleich muss ausgeschlossen bleiben, dass sie unmittelbar als Ausdruck des Willens Gottes verstanden werden. Sie bleiben in ihrem Ursprung unableitbar und führen hinsichtlich des Willens Gottes das vor Augen, was Gott nicht will, so dass sie nur mit ihrer Überwindung zu rechnen haben.

      Die soeben betonte Abweisung eines Deus absconditus bleibt auch dann zu betonen, wenn theologisch einzuräumen bleibt, dass wir nicht darum herumkommen, selbst das Böse in irgendeiner Beziehung zu Gott zu verstehen, wenn anders es unvermeidlich in ein Gegenüber zu Gott gerät, wo es dann als eine Art Gegenspieler anzuerkennen wäre. Auch wenn sich hier und da versprengte dualistische Motive in der biblischen Tradition ausmachen lassen, kann es keinem Zweifel unterstehen, dass es gerade ein Kennzeichen der überlegenen Souveränität des hier bezeugten Gottes ist, dass er keiner Bewährung in einem antagonistischen Dualismus von Gut und Böse ausgesetzt ist. Er ist darin der Souverän, dass es keinen wirklich zu befürchtenden Gegenspieler zu erwarten gibt, so wie er sich darin als der Schöpfer erweist, dass er die Welt aus dem Chaos der Urflut hervorruft und damit die von ihm ausgehende Bedrohung zurückdrängt, um dem Leben den benötigten verlässlichen Entfaltungsraum zu bereiten (Gen 1). Und es ist genau diese von Gott zu bekennende Souveränität, die unweigerlich seinem Verstehen das Problem einträgt, dass es nun außer Gott selbst keine haftpflichtige Zuschreibungsmöglichkeit mehr gibt, der nun die Übel und das Böse zugewiesen werden könnten. Auch als das Zurückgewiesene, das nicht zum Werk der Schöpfung gehört, bleiben sie mit einem nicht ableitbaren Bedrohungspotenzial präsent, so dass unweigerlich auf die Souveränität Gottes ein