Michael Weinrich

Karl Barth


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Präzisierung der Reichweite des von ihr einzubringenden Blickwinkels und der von ihr zu erwartenden Argumentationsebene.

      imagesWeitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes in Kap. IV.1.

      These

      Indem Gotteserkenntnis keine dem Menschen zur Verfügung stehende Möglichkeit ist, verbietet sich die Berufung auf geschichtliche oder psychologische Erfahrungen als einer Brücke zur Gottesfrage und somit auch als ein Entdeckungshorizont für fundamentaltheologische Orientierungen. Barths Abweisung der „natürlichen Theologie“ versucht diesem Umstand konsequent gerecht zu werden.

      Indem Barth die Verwiesenheit der Theologie auf die allein in der Hand Gottes liegende Offenbarung hervorhebt, zieht er die aus seiner Sicht notwendige erkenntnistheoretische Konsequenz aus der reformatorischen Erkenntnis der Alleinwirksamkeit Gottes im Rechtfertigungsgeschehen. Was die Reformatoren für die Soteriologie exponiert haben, wird unter den veränderten Bedingungen der Neuzeit nun zu einer Voraussetzung der Möglichkeit von Theologie überhaupt. Das hat zur Folge, dass Barth sich konsequenter als die Reformatoren gegen alle Formen einer „natürlichen Theologie“ wendet.

      Was ist damit gemeint? Mit „natürlicher Theologie“ wird eine Theologie bezeichnet, die ihren Ausgang und ihre Perspektive in dem Bereich unmittelbar zugänglicher menschlicher Erfahrungen sucht. Indem es in der Neuzeit insbesondere die Geschichte ist, durch deren Gestaltung der Mensch sich selbst sein Selbstbewusstsein als tätiges Subjekt bestätigt – er ist es, der Geschichte schreibt –, steht die natürliche Theologie vorrangig für die geschichtsphilosophischen Horizonte, die der Theologie vonseiten der menschlichen Selbsteinschätzung gleichsam als ihr „natürlicher“ Entfaltungsraum vorgegeben werden. In weitesten Sinne kann gesagt werden: Natürliche Theologie ist nach Barth die Theologisierung eines bereits gegebenen und als solches auch anerkannten Selbst- und Wirklichkeitsbewusstseins, das unabhängig von den Orientierungen der Offenbarung zustande gekommen ist. Barth kritisiert die Inanspruchnahme des jeweiligen Selbstverständnisses des Menschen als fundamentalen Anknüpfungspunkt für die aus der Offenbarung zu gewinnenden Einsichten. Die theologische Würdigung und damit Überbewertung des Vorverständnisses kanalisiert und selektiert die Verstehensweise der Offenbarung, so dass im Resultat wiederum nur eine vom Vorverständnis geprägte Variante herauskommen kann. Wohlgemerkt bestreitet Barth weder die Gegebenheit eines Vorverständnisses noch seine prägende Kraft, von der wir uns nicht einfach abwenden können, aber er wehrt sich gegen seine theologische Anerkennung als Referenzrahmen für die von der Theologie zu bedenkenden Orientierungshorizonte und Fragestellungen.

      Barth weist damit grundsätzlich die Inanspruchnahme der Möglichkeit ab, dass die Beziehung zu Gott zu einem Moment der menschlichen Selbstbestimmung werden kann. Er spricht von einer christlichen Adaption der durch die Erkenntnis vollzogenen Weltbemächtigung im Gefolge von Descartes, d. h. von einem „christlichen Cartesianismus“ (KD I/1, 224), wenn der Glaube zu einer Möglichkeit des Menschen wird, die seiner Entscheidungsfähigkeit so oder so anheimgestellt wird. Pointiert könnte man sagen, dass im Horizont der natürlichen Theologie die Theologie als eine dem Menschen mögliche Möglichkeit ausgegeben wird. Sie ist sich dabei nicht der Unmöglichkeit bewusst, in der ihr allein die Chance erwächst, ihrem lebendigen Gegenstand tatsächlich zu begegnen (vgl. Kap. I.6).

      Immer wieder unterliegt der Mensch der Versuchung der „Domestizierung der Offenbarung“ (KD II/1, 155), in der die Wirklichkeit Gottes zwar nicht abgewiesen, aber eben in den eigenen Betrieb genommen wird, was dann unterm Strich aber als eine besonders subtile und respektlose Form der Abweisung zu bewerten ist. Tatsächlich geht es um nicht weniger als um die Sicherung des Vorrangs des Menschen gegenüber Gott. Die Domestizierung Gottes für die eigene Weltwahrnehmung sichert der natürlichen Theologie ihren Boden, dem seit dem 18. Jahrhundert ein fundamentaltheologischer Rang zugemessen worden ist.

      Die Karriere der natürlichen Theologie ist für Barth schlicht die Kehrseite davon, dass dem Selbstbewusstsein des neuzeitlichen Menschen das Faktum der Sünde so grundsätzlich suspekt geworden ist. Gewiss bleibt einzuräumen, dass die natürliche Theologie tatsächlich so unvermeidlich wie die Sünde ist, aber sie ist eben auch ebenso wenig zu wollen oder gar zu fordern wie diese. Dazu muss sie aber zunächst als ein Problem erkannt und vergegenwärtigt werden. Es wäre eine Illusion zu meinen, dass sich die natürliche Theologie eliminieren ließe, aber die Theologie sollte sich über die von ihr ausgehenden Gefährdungen und Versuchungen stets bewusst sein, um ihr nicht selbst noch ausdrücklich einen Weg zu bahnen.

      Die Theologie wird nicht auf der Seite Gottes, sondern von ebenso fehlbaren wie auch der Sünde unterworfenen Menschen betrieben und hat deshalb keinen Anlass, mit irgendwelchen exponierten Ansprüchen aufzutreten. Sie wird von Barth immer wieder an die Demut erinnert, in der sie allein eine verheißungsvolle Anstrengung werden kann. Weil sie sich nicht selbst rechtfertigen kann, bleibt sie ebenso wie der einzelne Mensch, seine Religion oder auch die Kirche auf die göttliche Rechtfertigung angewiesen. Immer wieder verweist Barth auf die offenkundig kaum akzeptabel zu vermittelnde Verlegenheit der Kirche, dass sie allen an sie gestellten Erwartungen entgegen weder über die Wahrheit verfügt noch die ‚Welt‘ mit irgendwelchen von ihr zu verwaltenden, vermeintlich immerwährenden Werten zu belehren vermag. Sie kann nur schlicht auf Gott und seinen sich auch heute bestätigenden Selbsterweis hinweisen.

      imagesWeitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes in Kap. III.2

      These

      Indem die Theologie als menschliche Anstrengung ein prinzipiell vorbehaltliches Unterfangen bleibt, kann sie ihrem Wesen nach nur eine dialektische Theologie sein. Bei aller Entschlossenheit zu klaren und verlässlichen Einsichten gehört auch eine eigens zu pflegende Umsicht zur Wahrnehmung ihrer Aufgabe, sich immer wieder auch selbst ins Wort zu fallen, ebenso wie die fundamentale Offenheit, sich immer wieder von neuen biblisch begründeten Einsichten infrage stellen zu lassen.