Michael Weinrich

Karl Barth


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durch die Theologie auffangen lässt. Die Krise, die Barth vor Augen hatte, bietet von sich aus keinen Ausgang an, den der Mensch nun einfach aufsuchen könnte (vgl. Kap. II.3).

      Barth hat aber der Theologie nicht nur ihre Zeit bestritten, sondern auch ihren Ort, denn sie könne längst nicht mehr beanspruchen, von allgemeinem Interesse zu sein. Und je mehr sie diesem faktisch annullierten Anschein dennoch hinterherzulaufen versuche, umso mehr werde sie auch den Rest an Interesse verspielen, der ihr noch von der Seite zukommt, die sich noch der christlichen Tradition verbunden weiß. Ihr Ort ist nicht einfach der Areopag (Apg 17), der allgemeine Marktplatz der Weltanschauungen, auf dem sie vor einer diffusen Öffentlichkeit einem unbekannten Gott ein Gesicht zu geben versucht, sondern sie hat ihren Ort zunächst und eben auch prägend in der Kirche, die sich mit ihrem Bekenntnis auf den in der christlichen Tradition vorausgesetzten Gott beruft. Der besondere Denkbedarf der Theologie entsteht darin, dass es in der Kirche nicht beliebig sein kann, in welcher Weise sie von Gott spricht. Es ist nicht das allgemeine Gegenwartsbewusstsein, an das sich Barth wendet, sondern er bescheidet sich auf den besonderen Horizont, für den erklärtermaßen die Rede von Gott nach christlichem Verständnis von vornherein eine existenzielle Dimension hat. Das ist die Kirche, und es gilt, vor allem die Kirche selbst daran zu erinnern. Diese Konzentration auf die Kirche und ihre Verkündigung zeigt an, dass es Barth nicht um einen allgemein zu führenden Diskurs etwa über die Sinnhaftigkeit der Gottesfrage oder gar um eine Bekämpfung des Atheismus geht. Nebenbei gesagt war ihm der Atheismus zeitlebens in vieler Hinsicht deutlich weniger suspekt als die vorfindliche Theologie und die Kirche mit ihrem überaus nachlässigen, weil im Grunde unernsten Umgang mit der Wirklichkeit Gottes. Stattdessen hat Barth die in der Gemeinde bzw. der Kirche immer wieder neu zu stellende Frage nach den Bedingungen und Konsequenzen einer angemessenen Rede von Gott aufgeworfen, die seiner lebendigen Selbsterschließung und nicht nur unseren Phantasien und Wünschen gerecht wird.

      Im Rahmen dieser ersten allgemeinen Annäherung sollen zunächst zwölf markante Aspekte als Blitzlichter markiert werden, die später an verschiedenen Stellen in den folgenden Kapiteln wieder aufgegriffen und weiter vertieft werden.

      These

      Gegenüber der gewohnheitsmäßigen selbstverständlichen Berufung auf Gott hebt Barth die Fremdheit und Andersartigkeit Gottes im Horizont des christlichen Bekenntnisses hervor. Gott erschließt sich allein aus seiner Besonderheit, durch das auch das Allgemeine in ein neues Licht gerät.

      Es war die allseits ebenso selbstverständliche wie unspezifische Berufung auf Gott, die Barth angesichts des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs als eine sich verborgen haltende Infragestellung Gottes empfand. Er sah die Kirche ebenso wie die Theologie dazu herausgefordert, sich ganz neu und grundlegend mit der Irritation zu beschäftigen, die er unweigerlich damit verbunden sah, wenn der Mensch es wagt, von Gott zu sprechen. Barth empfand es als eine Ungeheuerlichkeit, auf welche Weise man sich es sich mit Gott gleichsam bequem gemacht hatte. Es war ein für die eigene Weltsicht domestizierter Gott, der von der Kirche und der Theologie, aber auch von einem Teil der gesellschaftlich einflussreichen Verantwortungsträger gerne da im Spiel gesehen wurde, wo sich jeweils die eigenen geschichtlichen Sympathien und Optionen fanden. Barth erhob den Vorwurf, dass die Inanspruchnahme Gottes zu einer beinahe voraussetzungslos zur Verfügung stehenden Berufungsinstanz verschlissen sei, mit der diesem oder jenem Geschehen – je nach Bedürfnislage – eine entsprechende Dignität bzw. religiöse Weihe verliehen werden konnte. Der längst vor allem auf sich selbst gegründete neuzeitliche Mensch hatte inzwischen beinahe alle Bereiche seiner Wirklichkeit vollständig in die eigene Regie genommen und Gott dabei die Rolle zugewiesen, die vom Menschen sich selbst zugemessene Dignität mit einer besonderen religiösen Weihe zu umgeben. Wo der neuzeitliche Mensch Gott nicht längst als überflüssiges und hinderliches Relikt abgeschüttelt hatte, diente er – pointiert formuliert – vor allem der religiösen Selbstergötzung des stets zur Selbstvergewisserung auf weitere Selbstbestätigung ausgerichteten Subjekts. Es waren die weithin zusammengeschmolzenen Reste des schwindenden menschlichen Selbstzweifels, denen als willfähriges Ermutigungsangebot ein nützlich partikularisierter Gott in möglichst greifbarer Nähe gehalten werden sollte. Gott war zu einer in Anspruch zu nehmenden Möglichkeit des sich auf seine Möglichkeiten verlassenden modernen Menschen geworden.

      Gott lässt sich nicht unseren Erkenntnisregeln unterwerfen so wie es nicht an uns ist, ihm den ihm zukommenden Platz zuzuweisen, sondern rechte Gotteserkenntnis kann nur aus der von ihm selbst eröffneten Beziehung zu uns kommen, in der uns dann auch unser eigener Platz erschlossen wird, über den ja ebenfalls keine selbstverständliche