Michael Weinrich

Karl Barth


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zugleich der sich selbst vergegenwärtigenden Gegenständlichkeit Gottes, die Barth den allseitigen und selbstverständlichen Berufungen auf Gott entgegenhält.

      Wie bereits angedeutet, wendet sich Barth nicht an die Gottesleugner, nicht an diejenigen, die sich nicht mehr auf Gott berufen oder diesen gar mehr oder weniger offensiv bestreiten, um nun ihnen gegenüber Gott oder die Religion zu verteidigen, wie es Friedrich Schleiermacher in seinen berühmten Reden „Über die Religion“ im Blick auf „die Gebildeten unter ihren Verächtern“ getan hat. Er sieht sich vielmehr in erster Linie von dem desaströsen Zustand des Gottesverständnisses bei denjenigen provoziert, die sich ausdrücklich auf Gott berufen und vorgeben, als seine Protagonisten aufzutreten. Er wendet sich an diejenigen, die das Christentum für sich in Anspruch nehmen und sich auf den Gott der christlichen Tradition berufen. Ihnen wirft Barth vor, dass zum Schaden der Kirche und damit auch zugleich der ganzen Gesellschaft nicht mehr deutlich ist, was das Bestimmte und somit Orientierende dieses Gottes ist. Barth hält der Kirche und der Theologie entgegen, dass es sich verbiete, Gott in unsere jeweilige Weltanschauung einzubauen, weil es in seiner Konsequenz nur als absurd bezeichnet werden könne, wenn sich Gott je nach Lage unserem Ermessen unterwerfen ließe. Vielmehr stehe umgekehrt mit der Gottesfrage immer auch unsere ganze Weltanschauung zur Debatte. Mit der angemessenen Wahrnehmung der Gottesfrage steht zugleich die Kirche als Kirche auf dem Spiel. Barth mahnte zu einer grundlegenden Umkehr, ohne welche die Kirche ihrer spezifischen Freiheit verlustig gehe und somit ihre geschichtliche Legitimation verlöre. Es bleibt es eine durchaus anspruchsvolle und ambitionierte Angelegenheit, wenn der Mensch es wagt, im Blick auf sich und die von ihm erschließbare Wirklichkeit von Gott zu reden.

      imagesWeitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes in Kap. II.3; IV.1; V.2.

      These

      Die grundlegende Orientierung für die Erkenntnis Gottes und seiner Geschichte mit dem Menschen findet die christliche Gemeinde im biblischen Zeugnis, das in dieser Funktion durch nichts anderes ersetzt werden kann.

      Wenn Barth das gewohnheitsmäßige Christentum so energisch an die besondere Andersartigkeit Gottes erinnert, beruft er sich auf die Bibel und die charakteristische Art und Weise, in der in ihr von Gott und seinem Handeln die Rede ist. In den biblischen Texten finde sich das grundlegende Gotteszeugnis, an dem sich unser Gotteszeugnis von heute immer wieder neu auszurichten habe. Ohne Orientierung an der biblischen Perspektive der Gotteserkenntnis bleibt alle Gottesrede im Horizont des christlichen Glaubens willkürlich und unbegründet.

      Barth hebt hervor, dass von den Verfassern der Bibel neben all dem Alten, was uns im Grunde immer schon irgendwie bekannt ist, vor allem eine neue Welt in den Blick gerückt wird, die nicht von unseren Möglichkeiten beherrscht wird, sondern in der sich die von uns aus unzugängliche Wirklichkeit Gottes in ihrer Beziehung zu unserer menschlichen Wirklichkeit zeigt. Es ist diese von unseren Möglichkeiten nicht erreichbare neue Welt, die im biblischen Zeugnis in unsere alte Welt hineinragt und um derer willen es als unvergleichliche Orientierungsquelle ernst zu nehmen bleibt. Nur wenn wir die Bibel mit der Erwartung lesen, in ihr mehr finden zu können, als wir uns selbst zu sagen vermögen, werden wir der Intention ihrer Verfasser gerecht, denn sie wollen uns auf diese neue Welt Gottes aufmerksam und auch neugierig machen.

      Die Kirchen erweisen sich darin als Repräsentanten der alten Welt, dass auch sie sich immer wieder daran beteiligt haben, diesen in die Welt drängenden unvergleichlichen „Ton“ Gottes durch die Betriebsamkeit ihrer Frömmigkeitspraxis und ihre Gesinnungsappelle zu übertönen. In unseren anhaltenden Selbstrechtfertigungen übersehen wird Gottes Engagement für die Menschen. Die besondere Gerechtigkeit Gottes wird durch unsere menschlichen Gerechtigkeitsoptionen und ihre kategorialen Fixierungen gleichsam aus unserer Welt herausgehalten, weil wir nicht den Mut aufbringen, ihr eine wirkliche Bedeutung zuzumessen. Die Bibel haben wir mehr und mehr den Wahrnehmungsprämissen der verschiedenen menschlichen Gerechtigkeiten unterworfen, so dass die in ihr bezeugte andere Gerechtigkeit Gottes, wie sie im Ton vom Ostermorgen zum Klingen kommt, unbeachtet übergangen wird.

      Soll Gott nicht nur der religiöse Spiegel menschlicher Selbstgerechtigkeiten sein, so gilt es, der Bibel mit dem Vertrauen zu begegnen, von ihr auf die Blickrichtung gewiesen zu werden, in der sich die Wirklichkeit Gottes in unserer Wirklichkeit erkennbar machen will.

      imagesWeitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes in Kap. III.3.

      These

      Die Methoden zur Erschließung des rechten Verständnisses der Bibel dürfen diese nicht von außen an sie herangetragenen Vorstellungen oder Erwartungen unterwerfen, sondern sollen offen für ihre Selbstbezeugung sein.

      Barths neue Konzentration auf die Bibel ist überaus voraussetzungsvoll und keineswegs als ein mehr oder weniger naiver Biblizismus zu verstehen. Das bedeutet aber nicht, dass Barth nun eine ganz spezifische Bibelhermeneutik vorträgt, mit der er einen Weg gebahnt sieht, auf dem diese erwähnte „neue Welt in der Bibel“ zuverlässig in Erscheinung treten kann. In dieser Hinsicht hält sich bei Barth ein durchaus fundamentaler Methodenskeptizismus durch. Ohne seinerseits einen Königsweg der Exegese zu propagieren, versucht er einerseits, in kritischer Auseinandersetzung mit der Praxis, in der er die zeitgenössische Theologie Exegese treiben sah, deren als kritisch stilisierte Übergriffigkeit und die daraus resultierenden Desiderate zu annoncieren, und andererseits – soweit es irgend geht –, der unterstellten inhaltlichen Solidität des Textes im Horizont des Gesamtzeugnisses der Bibel auf die Spur zu kommen.

      Barth distanziert sich von Umgangsweisen mit den biblischen Texten, die sie den Verstehenskategorien des modernen historischen Bewusstseins unterwerfen. Hier werde bereits durch die Methode den biblischen Texten konsequent die essenzielle Chance abgeschnitten, etwas zur Sprache zu bringen, was wir uns nicht auch selber sagen könnten. Wenn grundsätzlich nur dasjenige gelten kann, wozu es aus gegenwärtigen