sind sie ebenso wenig unfehlbar wie auch alle anderen Überlegungen und Zuspitzungen Barths, aber es bleibt wahrzunehmen, dass Barth nicht ohne Nachdruck darauf hingewiesen hat, dass er auch diese Äußerungen stets in einer unmittelbaren Beziehung zu dem verstanden wissen wollte, was ihn sonst in der Theologie bewegt und orientiert hat. Gewiss bleibt zwischen den theologischen Zuspitzungen und den politischen Konkretionen immer auch Hiatus, der schon durch die jeweils zu Rate gezogenen unterschiedlichen Informationsstände offenkundig wird. Insofern kann hier in den meisten Fällen nicht nur eine Option als die einzig richtige angesehen werden. Es bleibt aber zu beachten, dass Barth auch den politischen Bereich nicht als einen eigengesetzlichen Bereich gesehen hat, in dem dann auch andere Dynamiken zu akzeptieren seien. Vielmehr kann es in allen konkreten Lebensfragen keine anders orientierte Freiheit als die Freiheit des Glaubens mit ihren besonderen Orientierungen geben. Es kann schließlich nicht überraschend sein, dass es Barth in seinen Positionierungen in der Regel weniger um die Anwendung von bereits ausgefeilten ethischen Überlegungen, sondern um die Konsequenzen aus als fundamental apostrophierten dogmatischen Einsichten gegangen ist. Es war vor allem das Ernstnehmen der Auferstehung und damit der lebendigen Gegenwart Christi, auf die sich Barth nicht nur in seinen Ermutigungen zu einem entschlossenen Kampf gegen den Nationalsozialismus als unabweislichen Grund dafür berief, dass die Kirche nicht einfach unbeteiligt dem sich vor ihren Augen abspielenden Drama zusehen könne.
12. Ökumene und weltweite Solidarität
These
Auch wenn Barth die sich in seiner Zeit formierende ökumenische Bewegung mit nur kurzer Unterbrechung vor allem skeptisch beurteilte, kann nach seinem Verständnis rechte Theologie immer nur ökumenische Theologie, d. h. eine auf die ganze Gemeinde ausgerichtete Theologie sein. Barths Theologie ist dann auch insofern zu einem ökumenischen Ereignis geworden, als sie zu den wenigen Theologien gerechnet werden kann, die bis heute eine ökumenische Beachtung gefunden haben.
Aus dem reformatorischen Umfeld verfügt kaum eine andere Theologie des 20. Jahrhunderts über eine vergleichsweise hohe ökumenische Wahrnehmung und Anschlussfähigkeit wie die von Karl Barth. Vermutlich ist es allein Dietrich Bonhoeffer, dem eine vergleichbare Beachtung und Wirkung zugeschrieben werden kann. Das gilt auch hinsichtlich der unterschiedlichen Dimensionen, die mit dem Begriff der Ökumene verbunden sind. Grob gesprochen steht die Ökumene einerseits für die unterschiedlichen Ebenen zwischenkirchlicher und interkonfessioneller Verständigung und andererseits für die mit ihrer weltweiten Ausbreitung verbundene Verantwortung der Kirche. Zwar hat sich Barth nur sehr zurückhaltend zu der ökumenischen Bewegung verhalten und das Thema der Ökumene explizit nur wenig bearbeitet, aber faktisch kommt ihr sowohl im Blick auf die Dialog-Ökumene als auch die Verantwortungsökumene eine überaus große Bedeutung zu.21
Ein Grund für die hohe Akzeptanz, die Barths Theologie in der Ökumene genießt, mag gerade darin liegen, dass sie sich weder einem ökumenischen Programm verschreibt noch eine bestimmte ökumenische Vision verfolgt und sich damit weder in einer umstrittenen Gemengelage auf eine der gegeneinander stehenden Seiten schlägt noch einer bestimmten ökumenischen Stimmungslage zu entsprechen versucht. Es hat sich gezeigt, wie schnell sich in der Ökumene Stimmungslagen und damit ökumenische Bewertungen verändern können, so dass theologische Konzepte, die sich eng an die konkrete historische Bewegung der Ökumene anlehnen, eben auch ihrem Akzeptanzverlauf unterworfen sind.
Es hat sich gezeigt, dass die Theologien, die ausdrücklich ökumenisch sein wollen, wie etwa die von Jürgen Moltmann, oder die darüber hinaus sogar interreligiös perspektiviert sind, wie die von Hans-Martin Barth, vor allem das Gespräch in der eigenen Konfession anregen und bestenfalls noch diejenigen in den anderen Konfessionen erreichen, die aus der Perspektive ihrer jeweiligen eigenen Tradition heraus ebenfalls eine auf die Ökumene zentrierte Theologie vertreten. Jürgen Moltmann gehört zweifellos zu den weltweit am meisten wahrgenommenen Theologen, aber es sind vor allem die weit gestreuten verschiedenen reformatorischen theologischen Traditionen, die sich von ihm zu einer von ihrer eigenen Tradition ausgehenden ökumenischen Vision anregen lassen. Darin liegt zweifellos eine große ökumenische Kraft, von der aber abzuwarten bleibt, wieweit sie auch über die Verständigungsgewohnheiten der eigenen Konfessionsfamilie hinaus anregend sein kann. Erfahrungen aus Dialogen mit römisch-katholischen oder orthodoxen Theologen stimmen da eher skeptisch.
Die ökumenische Anschlussfähigkeit der Theologie Barths hat ihren Grund weder in einer kongenialen noch einer gesuchten Nähe zu den ökumenischen Aufbrüchen im 20. Jahrhundert. Vielmehr stand er unbeschadet verschiedener Einlassungen in das sich formierende Engagement des Ökumenischen Rates der Kirchen sowohl dem hier gewählten Ausgangspunkt als auch dem ins Auge gefassten Weg eher skeptisch bis ablehnend gegenüber. Ökumene kann nach seinem Verständnis nur das Resultat eines nach vorn blickenden Bekenntnisses, das die Kirche als Ausdruck der Antwort formuliert, zu der sich die Kirche in den Nöten der Gegenwart unter strikter Wahrung bzw. Wahrnehmung ihrer theologisch belastbar auszuweisenden Verantwortung vor Gott gedrängt sieht. Ein solches Bekenntnis stand Barth in der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 vor Augen. Alle seine Versuche, den ökumenischen Rat zu einer Unterstützung der mit diesem Bekenntnis annoncierten Positionierung der Kirche gegenüber der vom Nationalsozialismus ausgehenden Bedrohung zu bewegen, blieben weithin unerhört.
Auch wenn ihm eine unmittelbare ökumenische Resonanz zu dieser ihn zutiefst bewegenden Herausforderung versagt geblieben ist, so wurde doch die theologische Grundsätzlichkeit des hier bearbeiteten Konflikts auch außerhalb der unmittelbar beteiligten Kirchen bald anerkannt. Zudem wird Barth auch außerhalb der reformatorischen Tradition als ein Theologe wahrgenommen und dann auch akzeptiert, der sich im Horizont der gegenwärtig an die Theologie gestellten Anforderungen auf einer soliden Basis mit den großen Themen der Theologie beschäftigt, welche die Kirche in ihrer Geschichte immer wieder bewegt haben. Indem sich Barth kenntnisreich und achtsam auch mit den vorreformatorischen Auseinandersetzungen und Entscheidungen der Theologie auseinandersetzt, ergibt sich für das Gespräch mit der katholischen und der orthodoxen Tradition ein selten großer gemeinsamer Orientierungshorizont und Diskussionsraum. Da auch die anderen Traditionen nicht einfach wiederholen, was die Alte oder mittelalterliche Kirche gesagt hat, ist es in der Regel kein Problem, wenn Barth dann zu durchaus abweichenden eigenen Antworten kommt, die seine reformatorische Prägung erkennen lassen. Aber es wird offenkundig registriert, dass Barth nicht nur behauptet, sich an den gleichen Fragen abzuarbeiten, wie die Theologien anderer Konfessionen, sondern dies mit den Orientierungen und der Denkarbeit seiner Theologie auch unter Beweis stellt und damit zur Auseinandersetzung einlädt. In dieser Hinsicht ist das Ökumenische seiner Theologie die konstruktive und belastbare Aufmerksamkeit auf die ganze Tradition der Kirche. Theologie ist in dieser Wahrnehmung ökumenisch, wenn sie sich ebenso schlicht wie argumentationsbereit auf die der Kirche gemeinsame Tradition einlässt und nicht nur die eigene Tradition möglichst ökumenefähig zu machen versucht.
Wenn Barths Theologie zudem auch für die von der Ökumene wahrzunehmende Weltverantwortung eine hohe Anschlussfähigkeit mitbringt, so hat dies vor allem zwei Gründe. Einerseits liegt sie in der theologisch ausgewiesenen Widerstandsfähigkeit seiner Theologie gegenüber den Ansprüchen des Nationalsozialismus begründet, wie sie sich in besonderer Weise in der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 niedergeschlagen hat. Neben der dann leider erst später erfolgenden weltweiten Rezeption des Barmer Bekenntnisses ist es vor allem der von Barth hervorgehobene konfessorische Charakter der theologischen Existenz, der die Beachtung gilt: Theologie muss ihrem Wesen nach in dem Sinne bekennende Theologie sein, dass sie auf das heute zu sprechende Bekenntnis in Wort und Tat ausgerichtet ist. Und damit hebt Barth in seiner Theologie zugleich mit besonderem Akzent die vorbehaltlose Solidarität der Christen mit einer nüchtern wahrgenommenen Welt hervor. Diese Solidarität orientiert sich unabhängig von allen unterschiedlichen weltanschaulichen und ideologischen Prägungen an den Nöten der Menschen. In diesen Zusammenhang