des Achten Buches Sozialgesetzbuch von 1990 bis 2015
Wabnitz, R. J. (2015c): Rückblick auf 25 Jahre SGB VIII: Die Diskussionen und die Reformen
Wabnitz, R. J. (2015d): 25 Jahre SGB VIII – Resümee und Ausblick
Wabnitz, R. J. (2017a): Rechtliche Rahmung von Jugend
Wabnitz, R. J. (2017b): Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im deutschen Recht – in der historischen Entwicklung und heute
Fall 2: Wunsch- und Wahlrechte
Die allein sorgeberechtigte Mutter (M) lebt im Landkreis L. Sie hat drei Kinder: den vierjährigen Sohn Stefan (St), die geistig behinderte 13-jährige Tochter Tina (T) und den 17-jährigen Sohn Siegfried (S).
1. M möchte St in einem Kindergarten unterbringen. In der Kleinstadt, in der M und ihre Kinder leben, gibt es in erreichbarer Nähe vier Kindergärten, und zwar zwei in evangelischer und zwei in kommunaler Trägerschaft. Da M streng katholisch ist, beantragt sie beim JA des Landkreises L, dafür zu sorgen, dass St einen Platz in einem Kindergarten in katholischer Trägerschaft erhält.
2. T ist seit mehreren Jahren in einem Heim für geistig behinderte Kinder untergebracht. Die Unterbringung ist seitens des Sozialamts in die Wege geleitet worden, das sich nach Auffassung von M aber nicht ausreichend um T kümmert. M beantragt deshalb beim JA, dass sich dieses „mit seinen vielen tüchtigen Sozialarbeiterinnen“ Ts annehmen und T in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe unterbringen möge. Wie ist die Rechtslage?
3. S ist Auszubildender in einer 50 km von Ms Wohnort entfernten Stadt desselben Landkreises. Dort gibt es zwei Heime für Auszubildende. S möchte unbedingt in das komfortablere Heim eines privaten Trägers; dort ist die Unterbringung jedoch um 50 % teurer als im Heim der Arbeiterwohlfahrt. Was nun?
3 Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe
3.1 Leistungen und andere Aufgaben (§§ 2, 9)
Aufgaben der Jugendhilfe sind gemäß § 2 Abs. 1 zum einen „Leistungen“ und zum anderen „andere Aufgaben“ zugunsten junger Menschen und ihrer Familien. (Näheres bei Wabnitz in GK-SGB VIII, Erläuterungen zu § 2). Der Gesetzgeber hat es dem Rechtsanwender sehr einfach gemacht: Er hat in § 2 Abs. 2 und 3 alle Leistungen und anderen Aufgaben der Jugendhilfe präzise aufgelistet und zugleich in Klammerzusätzen die jeweils relevanten Paragrafen (§§ 11 bis 41 bzw. 42 bis 60) benannt. Ein Blick in § 2 bietet sich deshalb für alle an, die sich zunächst einen Überblick über die eventuell relevanten Leistungen oder anderen Aufgaben verschaffen wollen, um dann „gezielt“ auf die im Einzelfall in Betracht kommenden Rechtsvorschriften zugehen zu können.
3.1.1 Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe
Leistungen der (Kinder- und) Jugendhilfe sind die in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 6 stichwortartig benannten Angebote und Hilfen nach dem zweiten Kapitel des SGB VIII, dem „Leistungskapitel“. Die einzelnen Vorschriften der §§ 11 bis 41 werden in den folgenden Kapiteln 4 bis 9 dargestellt.
Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII sind Sozialleistungen im Sinne vom § 11 SGB I. Insbesondere handelt es sich um Dienstleistungen, bei denen persönliche und erzieherische Hilfen der Sozialpädagogik und Sozialarbeit im Vordergrund stehen, sowie Geldleistungen, z. B. für den Unterhalt nach § 39. Man kann Leistungen aus Sicht der Familie und des Elternrechts (vgl. Kap. 1.2) untergliedern in
■ Familien unterstützende Leistungen (insbesondere nach §§ 16 bis 21),
■ Familien ergänzende Leistungen (§§ 22 bis 26, 11 bis 15, 27 bis 32) sowie
■ Familien ersetzende Leistungen (§§ 33 bis 35).
Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe werden gemäß § 3 Abs. 1 von Trägern der freien und der öffentlichen Jugendhilfe nach den in Kapitel 1.3 erläuterten Rechtsprinzipien erbracht.
3.1.2 Andere Aufgaben der Jugendhilfe
Andere Aufgaben der (Kinder- und) Jugendhilfe sind die in § 2 Abs. 3 Nr. 1 bis 13 bezeichneten Aufgaben. Auch diese Auflistung ist sehr übersichtlich gestaltet und wiederum mit Paragrafenangaben versehen (§§ 42 bis 60). Die „anderen Aufgaben“ nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 bis 13 folgen nicht ein und denselben Strukturprinzipien wie die Leistungen; sie stellen gewissermaßen eine „wenig homogene Restkategorie“ dar (Wiesner 2015, § 2 Rdnr. 13). Sie umfassen im Wesentlichen
■ hoheitliche Aufgaben zum Schutz von Kindern und Jugendlichen (insbesondere §§ 42 bis 49),
■ die Mitwirkung der Jugendhilfe in gerichtlichen Verfahren (§§ 50 bis 52) einschließlich der Aufgaben Beistandschaft, Pflegschaft und Vormundschaft (§§ 52a bis 58a) sowie
■ rein administrative öffentliche Aufgaben wie Beurkundung, Beglaubigungen, vollstreckbare Urkunden (§§ 59, 60).
Anders als bei den Leistungen besteht hier eine umfassende Wahrnehmungsverpflichtung der Träger der öffentlichen Jugendhilfe, ggf. mit Beteiligungsmöglichkeit der Träger der freien Jugendhilfe in Teilbereichen (vgl. §§ 4 Abs. 3, 76 sowie Kap. 1.3.3 und 10.1).
3.1.3 Weitere gesetzliche Verpflichtungen
Daneben bestehen innerhalb und außerhalb des SGB VIII zahlreiche weitere gesetzliche Verpflichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere der Jugendämter. Zu verweisen ist insbesondere auf die §§ 69 ff., §§ 74 ff., §§ 79 ff., §§ 89 ff., §§ 90 ff. Außerdem gibt es Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe u. a. nach dem AdVermiG, dem Ju-SchG, dem KKG und aufgrund Landesrechts. Eine wichtige Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe besteht auch darin, ihre Angebote schrittweise in „inklusiver Zielrichtung“ umzugestalten (dazu Wabnitz, 2013b).
3.1.4 Grundrichtung der Erziehung, Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen
Gemäß § 9 sind bei der Ausgestaltung der Leistungen und der Erfüllung der anderen Aufgaben auch die folgenden, sehr allgemein formulierten Aspekte zu beachten:
■ Grundrichtung der Erziehung (§ 9 Nr. 1),
■ selbstständiges Handeln junger Menschen, Berücksichtigung sozialer Verhältnisse (§ 9 Nr. 2),
■ Berücksichtigung unterschiedlicher Lebenslagen von Mädchen und Jungen (§ 9 Nr. 3).
3.2 Objektive Rechtsverpflichtungen und subjektive Rechtsansprüche
Die folgende Unterscheidung zwischen objektiven Rechtsverpflichtungen (der Träger der öffentlichen Jugendhilfe) und subjektiven Rechtsansprüchen (junger Menschen oder Personensorgeberechtigter, ggf. auch von Trägern der freien Jugendhilfe) ist für das SGB VIII von grundlegender Bedeutung (umfassend zum Ganzen: Wabnitz 2005). Objektive Rechtsverpflichtungen stellen gleichsam staatsinterne Verpflichtungen („Perspektive des Staates“) dar – zumeist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe, die jedoch von Seiten des Bürgers grundsätzlich nicht eingeklagt werden können. Demgegenüber kann der Bürger subjektive Rechtsansprüche, etwa auf eine Leistung nach dem SGB VIII, einklagen („Perspektive des Bürgers“) und damit ggf. vor den Verwaltungsgerichten gegenüber den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe durchsetzen (vgl. im Einzelnen auch: Münder et al. 2013, VorKap 2, Rz. 4 ff., 7 ff.; Schellhorn et al. 2015, Einführung, Rz. 42 ff.; Wiesner 2015, Vor §§ 11 ff., Rz. 6 ff.).
Dort, wo Rechtsansprüche bestehen, richten sich die Träger der öffentlichen Jugendhilfe in der Regel darauf ein und schaffen die erforderlichen finanziellen und infrastrukturellen Voraussetzungen dafür, dass entsprechende Leistungen erbracht werden (können), etwa im Bereich der Tageseinrichtungen für Kinder und der Kindertagespflege (siehe Kap. 6) oder der Hilfe zur Erziehung (siehe Kap.