Stefan Brönnimann

Klimatologie


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Kap. 10 geht näher auf die Klimageschichte der letzten 100 000 Jahre ein und zeigt, dass es immer wieder wärmere und kältere Phasen gab. Allerdings gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen der Erwärmung der letzten 150 Jahre und früheren Warmphasen: Während frühere Warmphasen natürlichen Ursprungs waren, ist heute der Mensch zum dominierenden Klimafaktor geworden. Man spricht deshalb – in Analogie zu den erdgeschichtlichen Epochenbegriffen – oft vom Anthropozän (anthropos = der aufgerichtete Mensch). Das Anthropozän, das ungefähr um 1850 begann, ist die Ära, in welcher der Mensch die wichtigste treibende Kraft naturräumlicher Veränderungen ist.

      Die Entwicklung des Erdklimas ist aber damit noch nicht zu Ende. Der Mensch wird auch in absehbarer Zukunft die treibende Kraft im Klimasystem bleiben (vgl. Kap. 10). In einer ganz fernen Zukunft, in Milliarden von Jahren, wird die Erde hingegen durch die zunehmende Leuchtkraft der Sonne zu heiß werden für heutige Lebensformen. Gemäß Modellrechnungen wird die Erde aber bereits wesentlich früher, in 500–800 Millionen Jahren, zu einem unbewohnbaren Planeten werden, wenn durch die zunehmende Sonnenstrahlung die Ozeane verdampfen. Der Treibhauseffekt wird dadurch verstärkt, und der Kohlenstoffkreislauf kommt zum Erliegen. Allerdings zeigt die Vergangenheit, dass auch weitere Faktoren, beispielsweise Asteroideneinschläge, den Entwicklungspfad des Lebens auf der Erde beeinflussen können.

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      Im vorangehenden Unterkapitel wurde das Erdklima in groben Zügen charakterisiert. Aber was ist Klima? Können wir Klima definieren? Obschon sich alle unter alltäglichen Sätzen wie «Das Klima hat sich in den letzten 30 Jahren verändert» oder «Diese Insel verfügt über ein außerordentlich mildes Klima» etwas vorstellen können, ist eine wissenschaftliche Definition nicht einfach.

      Wetter als Zustand der Atmosphäre

      Betrachten wir zuerst den Begriff Wetter. Eine objektive Definition für Wetter könnte lauten:

      «Wetter ist der physikalische Zustand der Atmosphäre zu einem gewissen Zeitpunkt an einem gewissen Ort.»

      Wetter als Vorgänge in der Atmosphäre

      Der physikalische Zustand lässt sich durch Temperatur, Niederschlag, Wind, Bewölkung, Luftdruck und weitere Größen beschreiben (vgl. Box 4.1 und Tab. 9-1). Es ließe sich streiten, ob nicht auch chemische Eigenschaften dazugehören. Doch ergibt es Sinn, «Wetter» als Zustand zu definieren? Es ändert sich ja ständig. Eine andere Möglichkeit zur Definition von «Wetter» ist, genau diese Veränderungsvorgänge anzusprechen: Wetter kann also als Vorgang der Veränderung des atmosphärischen Zustands verstanden werden. Denn würde sich die Atmosphäre nicht verändern, würde uns «Wetter» auch nicht interessieren. Wenn wir aber Wetter als Veränderung der Atmosphäre auffassen, brauchen wir eine Referenz, etwas, womit wir das Wetter von heute vergleichen können. «Klima» liefert genau dies:

      Statistische Klimadefinition: Klima als Referenz für Wetter

      «Klima ist die Summe der meteorologischen Zustände, inklusive Temperatur, Niederschlag und Wind, welche typischerweise in einer bestimmten Region vorherrschen.»

      (nach www.thefreedictionary.com).

      «Klima im engeren Sinn ist üblicherweise definiert als durchschnittliches Wetter, oder genauer als die statistische Beschreibung durch Mittelwert und Variabilität der relevanten Größen über eine Zeitperiode»

      (nach Weltorganisation für Meteorologie, WMO).

      Dabei gilt eine Länge von 30 Jahren als Standard-Zeitperiode. Diese Definitionen lassen sich nicht mehr nur aus der Natur ableiten. Was ist gemeint mit «typischerweise»? Warum gerade 30 Jahre? «Klima» entspringt dem Bedürfnis des Menschen, das Wetter einzuordnen und den Einfluss der Atmosphäre auf Mensch und Umwelt zu verstehen. Jede Klimadefinition ist deshalb auch ein Abbild unserer intuitiven Vorstellung von «Klima». Einige Autoren versuchen deshalb, Klima im Sinn von Prozessen zu definieren:

      Klima als langsame Vorgänge in Ozean und Atmosphäre

      «Klima beinhaltet die langsam variierenden Aspekte des Atmosphären-Hydrosphären-Land-Systems.» (American Meteorological Society).

      Wie bei der Wetterdefinition gibt es also zwei Definitionsmöglichkeiten: Klima als mittlerer Zustand und Klima als systematische Veränderung des Zustands.

      Vor einiger Zeit hat der berühmte Meteorologe und Begründer der Chaostheorie Edward Lorenz (vgl. Kap. 5 und 9) eine leicht humoristische Definition von Wetter und Klima geliefert, welche aber den Kern trifft:

      «Climate is what you expect, weather is what you get.»

      Klima ist, was man erwartet (ansprechend auf den statistischen Begriff des «Erwartungswerts», vgl. Box 9.1), Wetter ist, was man kriegt.

      Klimadefinitionen spiegeln die Herangehensweisen der Klimatologie

      Die unterschiedlichen Definitionen mögen für die Praxis irrelevant sein. Sie drücken aber auch die verschiedenen wissenschaftlichen Herangehensweisen an das Phänomen Klima aus. Die empirische oder statistische Herangehensweise sucht nach Zusammenhängen in Messreihen, die prozessorientierte Sichtweise nach Mechanismen. Es braucht aber beide Sichtweisen. Statistische Zusammenhänge verlangen nach einer Erklärung der Prozesse. Umgekehrt verlangen prozessorientierte Hypothesen nach empirischer Bestätigung. Klimatologie ist damit gleichzeitig eine beschreibende Wissenschaft, welche die Werkzeuge der Statistik nutzt, und eine erklärende Wissenschaft, welche die ablaufenden Prozesse zu verstehen versucht. Beide Kompetenzen – Physik und Statistik – sind für angehende Klimatologinnen und Klimatologen wichtig, und beide Sichtweisen sind in diesem Buch vereint.

       Box 1.1

       Geschichte des Klimabegriffs und der Klimatologie

      Der Begriff «Klima» ist abgeleitet vom griechischen Wort für Neigung (κλíμα). Der Begriff bezieht sich vermutlich auf Zonen gleicher geographischer Breite (gleiches «solares Klima») und umfasst dabei ursprünglich mehr als nur die atmosphärischen Größen. Lange Zeit war Klimatologie eine beschreibende Hilfswissenschaft für andere Wissenschaften wie Medizin, Geologie, Botanik oder Naturgeschichte, ohne eigenes Theoriegebäude und ohne eigene Methoden. Mit Wetter und Wettervorhersage beschäftigten sich außerdem die Astrologie und Astrometeorologie; das galt vielen von vornherein als unwissenschaftlich. Sich in diesem Umfeld als wissenschaftliche Disziplin zu etablieren, war nicht leicht. Erst vergleichsweise spät, im ausgehenden 19. Jahrhundert, entwickelten sich Meteorologie und Klimatologie zu eigenständigen Wissenschaften mit eigenen Theoriegebäuden und empirischer Forschung, mit eigenen Zeitschriften und eigenen Lehrstühlen (zum Klimabegriff vgl. Box. 1.2).

      Die Klimadefinition der WMO gibt eine Zeitskala vor: Klima ist die Statistik der Atmosphäre über 30 Jahre. Klimaveränderungen wären nach dieser Definition Veränderungen zwischen zwei 30-Jahres-Perioden, während Schwankungen von Jahr zu Jahr oder von Dekade zu Dekade als Klimavariabilität bezeichnet würden. Allerdings wissen wir – wir erleben es derzeit –, dass sich Klimaänderungen auch rasch abspielen können.

      Skalen von Klimaprozessen reichen von Wolkentröpfchen bis zum Globus

      Hier soll eine kurze Übersicht über Zeit- und Raumskalen im Klimasystem dargelegt werden. Die Vorgänge in der Atmosphäre umspannen mehrere Größenordnungen von Raum- und Zeitskalen.