Stefan Brönnimann

Klimatologie


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ab, Änderungen in den Erdbahnparametern (vgl. Kap. 10) wirken sich global und auf Skalen von zehn- bis hunderttausend Jahren aus. Es gibt aber einige für die Meteorologie und Klimatologie typische Skalen, und diesen typischen Skalen können typische Prozesse zugeordnet werden und umgekehrt ( Abb. 1-4): Turbulenz ist ein Phänomen auf der Skala von Sekunden oder Metern. Etwas größer sind Thermikblasen oder Konvektion (vgl. Kap. 4). Gewitter oder Stadteffekte (vgl. Kap. 8) spielen sich auf der Skala von Stunden und von 10–20 km ab. Wettersysteme (vgl. Kap. 5) und Fronten dominieren auf der Skala von 1000–2000 km im Zeitraum von 2–3 Tagen. Es zeigt sich, dass in der Atmosphäre Raum- und Zeitskalen stark miteinander korreliert sind: Kleinräumige Vorgänge sind oft von kurzer Dauer, großräumige oder globale Prozesse lang anhaltend.

      Raum- und Zeitskalen atmosphärischer Prozesse sind korreliert, äußere Einflüsse folgen nicht dieser Korrelation

      Für ozeanische Vorgänge (vgl. Kap. 7) könnte ein sehr ähnliches Diagramm gezeichnet werden. Auch hier wären Raum- und Zeitskalen korreliert, allerdings wären die Vorgänge nach rechts verschoben (hin zu längeren Zeitskalen). Ozean und Atmosphäre sind durch Kopplungsprozesse (Rhomben) miteinander verbunden, wodurch Schwankungen auf unterschiedlichen Skalen hervorgerufen werden können.

      Bei externen Klimafaktoren (dargestellt mit Rechtecken) sind Raum- und Zeitskalen nicht immer korreliert. Landnutzungsänderungen können beispielsweise sehr lokal sein, aber über lange Zeit wirken. Umgekehrt kann ein starker Sonnensturm für kurze Zeit die globale Mesosphäre betreffen (vgl. Kap. 10).

      Energiekaskaden beschreiben, wie über viele Skalen hinweg Energie ausgetauscht wird

      Die atmosphärischen Prozesse auf verschiedenen Skalen sind miteinander verbunden. Um den Gedanken des Klimasystems als Wärmemaschine weiterzutreiben, deren Aufgabe es ist, Energieungleichgewichte auszugleichen, können wir von «Energiekaskaden» sprechen. So treibt der großräumige Temperaturgradient die globale Zirkulation an, auf der kontinentalen Skala bilden sich planetare Wellen, in welche wiederum Sturmsysteme eingebettet sind. In diesen Systemen findet der Energieaustausch letztlich durch Durchmischung und turbulente Diffusion statt. Umgekehrt können sich kleinere Konvektionszellen (Zirkulationszellen mit warmer aufsteigender Luft in der Mitte und kühlerer absinkender Luft an den Rändern) miteinander verbinden und zu großen Systemen anwachsen, welche wiederum die großräumigeren Verhältnisse beeinflussen.

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      Klima umfasst Prozesse mit unterschiedlichen Raum-Zeit-Beziehungen

      Das Verständnis des Klimasystems erfordert daher die Betrachtung von Prozessen auf ganz unterschiedlichen Skalen. Dies ist eine große Herausforderung für die numerische Modellierung, aber auch für das Verständnis von Skalen-Interaktionen. So können gleichzeitige Vorgänge auf ganz unterschiedlichen Skalen oft nicht gleichzeitig modelliert werden, selbst wenn sie physikalisch verstanden sind (vgl. Kap. 9).

      In diesem Schema befasst sich die Klimatologie zwar mit den längeren Zeitskalen (alle grauen Felder), während die Meteorologie die kürzeren Schwankungen (blau) betrachtet. Allerdings lassen sich die grauen Felder ohne die blauen nicht verstehen. Außerdem können auch die Prozesse auf den kürzeren Skalen langfristig schwanken.

      1.3.1 | Systembegriff und Sphären

      Klima kann als System konzeptualisiert werden

      Das Klima wird oft als komplexes System bezeichnet. Es umfasst unterschiedliche, miteinander wechselwirkende Bereiche. All diese Beziehungen im Detail zu erfassen, ist kaum möglich. Mit dem Systembegriff wird eine vereinfachte Gesamtsicht angestrebt. Systeme sind konzeptionelle Vereinfachungen der komplexen Realität. Früher dienten sie als gedankliches Werkzeug. Systeme konnten konzeptionell in Teilsysteme zerlegt und so besser untersucht werden. Heute sind Systeme auch abgebildet in Klimamodellen (vgl. Kap. 9), welche oft als Verbund von Teilmodellen modular aufgebaut sind. Die komplexesten Modelle werden als Erdsystemmodelle bezeichnet, was die Systemsicht deutlich macht.

       Alexander von Humboldts Klimadefinition

      Eine der ersten Klimadefinitionen stammt vom Geographen und Naturforscher Alexander von Humboldt ( Abb. 1-5). In seinem «Kosmos» (1845) stellte er den Menschen in den Mittelpunkt seiner Klimadefinition (S. 345):

      «Der Ausdruck Klima bezeichnet in seinem allgemeinen Sinne alle Veränderungen in der Atmosphäre, die unsere Organe merklich afficieren: die Temperatur, die Feuchtigkeit, die Veränderungen des barometrischen Druckes, den ruhigen Luftzustand oder die Wirkungen gleichnamiger Winde, die Größe der electrischen Spannung, die Reinheit der Atmosphäre oder die Vermengung mit mehr oder minder schädlichen gasförmigen Exhalationen, endlich den Grad habitueller Durchsichtigkeit und Heiterkeit des Himmels, welcher nicht bloß wichtig ist für die vermehrte Wärmestrahlung des Bodens, die organische Entwicklung der Gewächse und die Reifung der Früchte, sondern auch für die Gefühle und ganze Seelenstimmung des Menschen.»

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      Gleichzeitig nahm Humboldt auch die Systemsicht des Klimas vorweg und sah Klima als Interaktion zwischen Teilbereichen des Klimasystems (S. 304):

      «Das Wort Klima bezeichnet allerdings zuerst eine specifische Beschaffenheit des Luftkreises; aber diese Beschaffenheit ist abhängig von dem perpetuirlichen Zusammenwirken einer all- und tiefbewegten, durch Strömungen von ganz entgegengesetzter Temperatur durchfurchten Meeresfläche mit der wärmestrahlenden trockenen Erde, die mannigfaltig gegliedert, erhöht, gefärbt, nackt oder mit Wald und Kräutern bedeckt ist.»

      Diese Defintion ist aus heutiger Sicht sehr aktuell, beschreibt sie doch exakt, was in einem Erdsystemmodell abgebildet wird: eine Kopplung der Systemkomponenten Ozean, Atmosphäre und Landoberfläche mit den wichtigen Prozessen Zirkulation und Strahlung. Allerdings konnte sich Humboldts Definition nicht durchsetzen. Mit dem Aufkommen von Messnetzen und der Verfügbarkeit langer Datenreihen orientierte sich die Klimatologie an der Klimadefinition von Julius Hann, welche auf Durchschnittswerten oder statistischen Beschreibungen von Beobachtungen beruht. Dieser Definition folgte auch die Weltorganisation für Meteorologie (WMO). Sie definierte die erste Klimanormperiode als 1901–1930, welche dann alle 30 Jahre neu berechnet werden soll. Es folgten die Normperioden 1931 bis 1960 und 1961 bis 1990. Wegen der sehr schnellen Erwärmung sind viele Institutionen zu einer zehnjährlichen Aufdatierung der 30-Jahres-Periode übergegangen, sodass heute oft 1981–2010 als Normperiode verwendet wird.

      Das Klimasystem besteht aus den Teilsystemen Atmosphäre, Hydrosphäre, Kryosphäre, Pedosphäre und Biosphäre

      Das Klimasystem wird meist in Komponenten oder Teilsphären unterteilt ( Abb. 1-6): Atmosphäre, Hydrosphäre (die Wassersphäre: Ozeane, Seen, Flüsse, Grundwasser), Kryosphäre (die gefrorene Sphäre: Eisschilde, Gletscher, Meereis), Pedo- oder Lithosphäre (Boden und Gesteinsoberfläche), Biosphäre und Anthroposphäre (derjenige Teil des Erdsystems, der durch den Menschen beeinflusst und verändert