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Wörterbuch der Soziologie


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Kontinuitäten und Diskontinuitäten kolonialer Repräsentation und der darin verwirklichten Machtverhältnisse.

      Eine gänzliche Ablehnung des Konzeptes »Entwicklung« ist im Anschluss an die Postdevelopment-Kritik formuliert worden, die den Entwicklungsdiskurs als eurozentrisch, entpolitisierend und autoritär bezeichnet (Ziai 2007). Durch die Zweiteilung in entwickelte und unterentwickelte Länder begreift der eurozentrische Entwicklungsdiskurs die historische Entstehung der westlichen Gesellschaften als universell und impliziert eine Fortsetzung kolonialen Überlegenheitsdenkens als ideale Norm und defizitäre Abweichung: Der Süden hat Probleme und der Norden bietet die Lösungen an. Er ist entpolitisierend, da »Entwicklung« suggeriert, ein Land habe einen gemeinsamen Lebensstandard und entwicklungspolitische Maßnahmen würden dem Allgemeinwohl dienen, wobei strukturelle Ungleichheiten, unterschiedliche Interessen der Bevölkerungsgruppen und Konflikte ausgeblendet werden. Und drittens sei »Entwicklung« autoritär, da Expert/innenwissen implizit von der notwendigen Veränderung anderer Lebensformen ausgehe und somit die Durchsetzung sozialtechnologischer Maßnahmen auch gegen den Willen der Betroffenen erlaube. Und dennoch gilt es im Sinne von Ferguson letztlich zu konstatieren: »Es erscheint uns heute nahezu unsinnig, abzustreiten, dass es ›Entwicklung‹ gibt, oder das Konzept als bedeutungslos zu verwerfen, gerade so wie es im 19. Jahrhundert schlichtweg unmöglich gewesen sein muss, das Konzept ›Zivilisation‹ abzulehnen oder im zwölften Jahrhundert das Konzept ›Gott‹.« (1994, xiii).

      Literatur

      Anwar, Ibrahim, 1996: The Asian Renaissance, Singapore/ Kual Lumpur. – Bhabha, Homi, 2000: Die Verortung der Kultur, Tübingen. – Eisenstadt, Shmuel N., 2002: Multiple Modernities, Brunswick, New Jersey. – Escobar, Arturo, 1995: Encountering Development: The making and unmaking of the Third World, Princeton, New York. – Esteva, Gustavo, 1985: Development. Metaphor, Myth, Threat; in: Development: Seeds of Change, No. 3, 78–79. – Ferguson, [100]James, 1994: The Anti-Politics Machine. ›Development‹, Depolitization and Bureaucratic Power in Lesotho, Minneapolis. – Goetze, Dieter, 2002: Entwicklungssoziologie. Eine Einführung, Weinheim/München. – Menzel, Ulrich, 1992: Das Ende der Dritten Welt und das Scheitern der großen Theorien, Frankfurt a. M. – Peters, Bernhard, 1993: Die Integration moderner Gesellschaften, Frankfurt a. M. – Sachs, Wolfgang (Hg.), 1992: Dictionary of development, London. – Said, Edward W., 1978: Orientalism. Western Conceptions of the Orient, London/New York. – Spivak, Gayatri C., 1988: Can the subaltern speak? In: Grossberg, Lawrence; Nelson, Cary (Hg.): Marxism and the Interpretation of Culture, Urbana, 271–313. – Ziai, Aram, 2007: Development Discourse and Its Critique. An Introduction to Post-Development; in: ders. (Hg.): Exploring Post-Development. Theory, Practice, Problems and Perspectives, London, 3–17.

       Rüdiger Korff/Eberhard Rothfuß

      Sie fragt nach dem relativen Beitrag von Erbe und Umwelt (engl. nature – nurture) auf körperliche und Verhaltensmerkmale, in denen sich Individuen derselben biologischen Art unterscheiden. Das Erbe wird dabei klassischerweise durch das von den Eltern geerbte Genom definiert. Alles andere ist Umwelt (z. B. die mütterliche Eizelle ohne Genom, die pränatale Umwelt). Die Gene (funktional definierte Abschnitte des Genoms) unterscheiden sich innerhalb einer biologischen Art fast nicht. Was variiert, sind die Allele (Varianten desselben Gens). Z. B. haben alle Menschen ein Blutgruppen-Gen, das in den Varianten A, B, 0 vorkommt. Bei Menschen lautet daher die Erbe-Umwelt-Frage: Welcher Anteil der in einem bestimmten Alter beobachtbaren Merkmalsvariation geht auf Unterschiede in den Allelen und welcher Anteil auf Unterschiede in den erfahrenen Umweltbedingungen zurück? Zur Beantwortung dieser Frage gibt es zwei völlig verschiedene Methoden.

      Indirekte Schätzungen durch genetisch sensitive Designs

      Hierbei wird die Ähnlichkeit von Merkmalen zwischen genetisch Verwandten ähnlichen Alters bestimmt, z. B. zwischen eineiigen Zwillingen (genetisch identisch), zweieiigen Zwillingen und biologischen Geschwistern (50 % in Allelen identisch) und Adoptivgeschwistern (0 % identisch). Eine höhere Merkmalsähnlichkeit bei genetisch ähnlicheren Paaren wird dabei interpretiert als genetischer Einfluss, wobei der genetische Anteil an der Merkmalsvarianz (die Heritabilität des Merkmals) quantitativ durch Korrelationsdifferenzen bestimmt wird (vgl. z. B. Asendorpf 2007, 336 ff. für die Methodik). Die Ergebnisse variieren u. a. mit dem Merkmal (die Heritabilität ist bei Körpergröße ca. 85 %, bei Testintelligenz ca. 50 %, bei vielen Einstellungen nahe 0 %) und mit dem Alter (z. B. beträgt sie bei Testintelligenz ca. 20 % im Vorschulalter, aber ca. 75 % im hohen Alter.

      Diese relativen Einflussschätzungen verdecken die Tatsache, dass es Genom-Umwelt-Interaktionen und -Korrelationen gibt, die als »neutrale« Anteile in die Schätzungen eingehen. Bei G-U-Interaktionen hängen die Effekte genetischer Unterschiede von den Umweltbedingungen ab und umgekehrt. Bei Korrelationen häufen sich bestimmte Genome in bestimmten Umwelten, wobei dies daran liegen kann, dass bestimmte Umwelten aufgesucht oder vermieden werden (aktive G-U-Korrelation), dass andere aufsuchend oder vermeidend auf genetisch mitbestimmte Merkmale eines Individuums reagieren (reaktive G-U-Korrelation) oder dass genetisch Verwandte diese Umwelt herbeigeführt haben (passive G-U-Korrelation). Deshalb können empirisch gefundene Korrelationen zwischen Umweltbedingungen und Persönlichkeitsmerkmalen (z. B. Erziehungsstil der Eltern und Aggressivität ihrer Kinder) genetisch mitbedingt sein (alle drei Korrelationsarten können dazu beitragen).

      Direkte Schätzungen durch Genomanalysen

      Hierbei werden weite Anteile des Genoms molekulargenetisch sequenziert und Merkmalsunterschiede mit dem Vorkommen bestimmter Allele korreliert. In derartigen genomweiten Assoziationsstudien werden typischerweise tausende von Allelen gleichzeitig untersucht, so dass das Hauptproblem die Kontrolle zufälliger Korrelationen ist. Einzelne Allele erklären bei Persönlichkeitsmerkmalen höchstens 2 % der beobachteten Unterschiede, so dass an deren Zustandekommen sehr viele Gene beteiligt sein müssen (Asendorpf 2011).

      [101]Epigenetik

      Letztlich ist das Vorhandensein von Allelen nur insofern relevant, als sie tatsächlich Funktionen im Stoffwechsel ausüben (Genexpression). Deshalb interessiert sich die neuere Genetik vor allem für die Epigenetik (die z. T. umweltabhängige »Programmierung« der Expression von Genen). Da es Beispiele der Vererbung umweltbedingt erworbener epigenetischer Effekte im Tierversuch gibt, gilt die Gleichsetzung Erbe = Gene heute nicht mehr (Asendorpf 2011).

      Literatur

      Asendorpf, Jens B., 2007: Psychologie der Persönlichkeit, 4. Aufl., Heidelberg. – Ders., 2011: Verhaltens- und molekulargenetische Grundlagen; in: Schneider, Wolfgang; Lindenberger, Ulman (Hg.): Entwicklungspsychologie, 7. Aufl., Weinheim, 81–96.

       Jens B. Asendorpf

      Im Alltagssprachgebrauch ist eine Erklärung (engl. explanation) jede Erläuterung, die zum besseren Verständnis eines Sachverhaltes oder Vorgangs dienen kann. Erklärungen sind »kommunikative Akte«, das heißt grundsätzlich eingebunden in soziale Interaktionen.

      Um den Begriff der (sozial)wissenschaftlichen Erklärung existiert eine umfangreiche philosophische Debatte. Ein wichtiger Bezugspunkt dieser Debatte ist das Konzept der »deduktiv-nomologischen (DN-)Erklärung« von C. G. Hempel und P. Oppenheim (1948). Bei einer DN-Erklärung wird ein Satz über einen zu erklärenden Sachverhalt, das sog. »Explanandum« (lat: »das zu Erklärende«) dadurch erklärt, dass eine Reihe von allgemeinen Gesetzesaussagen herangezogen wird, bei deren Geltung das Explanandum-Ereignis dann notwendigerweise eintreten muss, wenn bestimmte Anfangs- oder Randbedingungen gegeben sind. Gesetzesaussagen und Sätze über Anfangsbedingungen bilden zusammengenommen das »Explanans« (lat: das »Erklärende«). Zur Erläuterung einer DN-Erklärung nach dem sog. »Hempel-Oppenheim (HO) -Schema« werden meist naturwissenschaftliche Alltagsbeispiele verwendet: Dass eine volle Bierflasche, die man zur schnellen Kühlung in eine Tiefkühltruhe gelegt und dann vergessen hat, zerbricht (das Explanandum), kann man dadurch erklären, dass Wasser (und damit auch Bier) beim Gefrieren an Volumen zunimmt (eine allgemeine Gesetzmäßigkeit) und dass das Eisfach eine Temperatur unter 0 Grad Celsius hatte und die Bierflasche vorschlossen