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Wörterbuch der Soziologie


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being a professor« geht, wie man es also bewerkstelligt, als ein solcher zu erscheinen und spontan erkannt zu werden. Das ›doing‹ ist also die methodologische Maxime der Praxisforschung der Ethnomethodologie: Betrachte jedes Phänomen so, als würde es gerade erst gemacht.

      5 Gewissermaßen in Summierung dieser und anderer Techniken haben insbesondere die ethnologischen Science Studies (Lynch 1991, 1993) zu einer beträchtlichen Steigerung soziologischer Reflexivität beigetragen. Auf der Basis einer unbefangen ›ethnologischen‹ Beobachtungshaltung, einer temporären Indifferenz gegenüber Geltungsansprüchen und mit einer schamlos empiristischen Neugier auf soziale Praktiken lassen sich selbstverständlich auch soziologische Forschungspraktiken empirisch untersuchen, einschließlich der Schreib- und Formulierungspraktiken beim Verfassen eines Lexikonartikels und eines Satzes wie diesem.

      Theoretische Positionierung

      Sozialtheoretisch grenzte sich Garfinkel zunächst von Émile Durkheim ab, der soziale Tatsachen als Sachverhalte betrachtete, die unabhängig vom Erleben und Handeln gegeben sind. Die Ethnomethodologie soll genau dieses Erleben von der Faktizität des Sozialen hintergehen und das, was die Handelnden als objektiv gegeben wahrnehmen, als deren eigene praktische Hervorbringungen aufdecken. Für die Ethnomethodologie ist soziale Wirklichkeit eine reine Vollzugswirklichkeit, sie wird laufend ›verwirklicht‹. Die soziale Welt, in der wir handeln, ist die, die wir uns ›erhandeln‹ – die wir herbeireden, zurechtinterpretieren, [106]körperlich durchführen, uns gegenseitig zeigen und bestätigen.

      Gegen die strukturell-funktionale Theorie von Talcott Parsons wandte Garfinkel ein, dass dieser die Akteure als »Beurteilungstrottel« erscheinen lasse, als Marionetten, die nur mehr auszuführen haben, was ihnen ein »kulturelles System« vorschreibt. Er ignoriere damit jene Sinnstiftungsleistungen, mit denen Handelnde kulturelle Regeln laufend situieren und interpretieren, was erforderlich ist, weil Regeln die Art ihrer Befolgung nicht selbst festlegen können. Das Problem sozialer Ordnung ist für Garfinkel daher ein Dauerproblem des »Ordnens«, das Interaktionsteilnehmer stets neu zu lösen haben.

      Sie bewerkstelligen dieses beständige Ordnen, indem sie mit ihren Handlungen nicht nur die soziale Wirklichkeit einer Situation herstellen (etwa eine Warteschlange formen), sondern zugleich zum einen den Kontext dieser Situation anzeigen (etwa eine Warteschlange ›vor dem Bankschalter‹ und nicht etwa ›an der Bushaltestelle‹), zum anderen diese Praxis selbst als solche kenntlich (›accountable‹) machen (als Warteschlange und nicht als Pulk, zufällige Aufreihung, Polonaise o. Ä.). Menschliches Handeln ist insofern immer reflexiv auf sich selbst bezogen, als es immer auch metakommunikativ anzeigt, als was es verstanden sein will. Nicht nur in reflexiven ›Auszeiten‹ und nicht nur in sprachlichen Ausdrücken, die explizit bezeichnen, was man tut (z. B. »ich warne dich, das zu tun!«), auch schon in der einfachen körperlichen Orientierung beim Gehen tun Handelnde mehr als bloß eine Richtung zu nehmen: Sie zeigen an, dass sie es tun, und tragen so zur lokalen Produktion einer für alle beobachtbaren sozialen Ordnung bei.

      Einordnung der Ethnomethodologie

      Die Ethnomethodologie ist zum großen Teil eine empirische Umsetzung der Phänomenologischen Soziologie von Alfred Schütz. Zugleich hat sie mit deren bewusstseinsphilosophischen Prämissen gebrochen. Sie nimmt ihren Ausgangspunkt nicht beim Subjekt, sondern in der sozialen Situation. Während Schütz den Sinn einer Handlung im vorangehenden subjektiven Entwurf des Handelnden suchte, zeigten ethnologische Studien, dass der Sinn ihrer Äußerungen erst ex post in der Interaktion mit dem Gegenüber festgelegt wird. Insofern hat die Ethnomethodologie die soziologische Aufmerksamkeit von der Intersubjektivität auf die Interaktivität verschoben. Dabei verweisen Handlungen und Äußerungen auch beständig und unvermeidlich auf den situativen Kontext, in dem sie gerade ablaufen. Sinn, so Garfinkel, ist daher ein öffentliches, beobachtbares Phänomen, es liegt nicht »unter der Schädeldecke«, sondern vollständig und ausschließlich in der Verhaltensumgebung einer Person. Garfinkel sieht die Soziologie also wie George Herbert Mead und Erving Goffman als Verhaltenswissenschaft.

      Die Grenzen der Ethnomethodologie liegen vor allem in ihrer Beschränkung auf eine empirische Mikrosoziologie. Ein Ansatz, der in großem Respekt vor den Handelnden deren interpretative und performative Leistungen beschreibt und analysiert, bleibt reserviert gegenüber theoretischen Ansprüchen, neben der Interaktivität in sozialen Situationen auch die Intersituativität des Sozialen zu denken. Jüngere Autor/innen in der Nachbarschaft und Nachfolge der ethnomethodologischen Tradition (etwa Karin Knorr Cetina und Bruno Latour) verweigern sich daher auch weiterhin makrotheoretischen Abstraktionen. Stattdessen öffnen sie ihren Denkstil ›posthumanistischen‹ Überlegungen, die die Beteiligung von Artefakten, Medien und Körpern an Handlungsketten für die Soziologie zu erschließen versuchen.

      Literatur

      Einführend: Bergmann, Jörg, 2000: Ethnomethodologie; in: Flick, Uwe et al. (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch, Reinbek, 118–135. – Zimmerman, Don H.; Pollner, Melvin, 1976: Die Alltagswelt als Phänomen; in: Weingarten, Elmar; Sack, Fritz (Hg.): Ethnomethodologie, Frankfurt a. M., 64–104. / Weiterführend: Atkinson, Paul; Heritage, John, 1984: Structures of Social Action. Studies in Conversation Analysis, Cambridge. – Garfinkel, Harold, 1967: Studies in Ethnomethodology, Englewood Cliffs, NJ. – Ders., 1986: Ethnomethodological Studies of Work, London. – Länger, Caroline, 2002: Im Spiegel von Blindheit. Eine Kultursoziologie des Sehsinnes, Stuttgart. – Lynch, Michael, 1991: Pictures of Nothing? Visual Construals in Social Theory; in: Sociological Theory 9, 1–21. – Ders., 1993: Scientific Practice and Ordinary Action, Cambridge. – Smith, Dorothy, 1986: The Active Text. Texts as Constituents of Social Relations; in: dies. (ed.): Texts, Facts, and Femininity. Boston, 120–158. – Sudnow, David, 1978: Ways of the Hand. The Organization of Improvized Conduct, London. – West, Candace; Zimmerman, Don, 1987: Doing Gender; in: Gender and Society 1, 125–151.

       Stefan Hirschauer

      von gr. ethnos (ἔθνος) »Volk, Völkerschaft« und logos »Lehre«. Als Sozial- und Kulturwissenschaft hat Ethnologie zum Ziel, das Handeln von Menschen in der gesamten Breite des dem Menschen Möglichen zu verstehen und in seinen natürlichen, sozialen und kulturellen Bedingungen und Zusammenhängen zu erklären. Aufgrund des allgemeinen, vergleichenden Ansatzes ist im englischen Sprachraum die Bezeichnung social anthropology (GB) bzw. cultural anthropology (USA) üblich. Zentrale methodologische Grundannahme ist, dass sich das Erkennen anthropologischer Gemeinsamkeiten und Unterschiede vor allem in der Auseinandersetzung mit anderen Gesellschaften und Kulturen bildet (daher »Wissenschaft vom kulturell Fremden«).

      Wandel der Forschungsperspektive

      Das Erkenntnisinteresse der Ethnologie als akademische Disziplin hat sich seit ihrer Entstehung im 19. Jh. stark verschoben. Als spezifischer Gegenstand der Ethnologie wurden lange Zeit Gesellschaften verstanden, die sich vermeintlich grundlegend von der eigenen, d. h. modernen, unterschieden: Naturvölker vs. Kulturvölker, primitive vs. zivilisierte, schriftlose vs. alphabetisierte, traditionelle vs. moderne, nichtstaatliche vs. staatliche, vorindustrielle vs. industrialisierte, unterentwickelte vs. entwickelte etc. Derartige universale Dichotomien haben sich durchweg als pseudowissenschaftliche Konstrukte erwiesen, die teilweise kolonialen Grundideen verpflichtet blieben, in deren Kontext sich die Ethnologie als Fach etabliert hatte. Sie bestätigten den »höheren Stand« der eigenen Gesellschaft und legitimierten den Imperialismus.

      Als allgemein vergleichende Wissenschaft des Kulturellen und Sozialen konstituierte sich die Ethnologie erst sukzessive im 20. Jh. Im Laufe dieses Prozesses erwies sich auch die zweite Grundüberzeugung der Ethnologie, d. h. die wissenschaftliche Darstellbarkeit fremder sozialer Realität, als zunehmend zweifelhaft. Die folgende Krise der Repräsentation hat die Ethnologie seit den 1970er Jahren in einen tiefgreifenden Prozess der Selbstreflektion und Aufklärung geführt. Er lässt sich als verspätete Entkolonialisierung deuten, hängt aber auch mit anderen intellektuellen Strömungen der Zeit, v. a. der Postmoderne, zusammen. Die Ethnologie ist seitdem themenoffen und nicht auf einen bestimmten Typus von Gesellschaften fixiert. Als Anthropologie geht es ihr um die Aufklärung dessen, was den Menschen in allen Gesellschaften als