[98]Die Zusammensetzung der Inlandsnachfrage erhöht für ein Land die Wettbewerbsfähigkeit, wenn inländische Käufer die Inlandsunternehmen drängen, schneller zu innovieren und differenziertere Wettbewerbsvorteile zu erzielen als die ausländischen Konkurrenten. Auch die Segmentstruktur der Inlandsnachfrage und die Verteilung der Nachfrage beeinflussen die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. In globalen Segmenten erzielen Unternehmen nach Porter wahrscheinlich dort einen Wettbewerbsvorteil, wo sie einen großen oder besonders wichtigen Teil der Inlandsnachfrage an sich binden. Daneben muss gelten, dass eine entsprechende Inlandsnachfrage in anderen Ländern nur unbedeutend ist (Porter, M.E., 1999).
Wichtiger als die Segmentstruktur erscheint Porter für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes, anspruchsvolle und schwierige Käufer in Bezug auf Produkte und Dienstleistungen zu haben. Die Anforderung der Kunden an die leichte Handhabbarkeit, die Verfügbarkeit, die Nützlichkeit und das Preis-Leistungsverhältnis sind Rahmenbedingungen für Unternehmen, die sie permanent zwingen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu kämpfen. Es kommt darauf an, besonders sensibel auf die Nachfragebedingungen im unmittelbaren Umfeld zu reagieren. Anspruchsvolle Kunden im Heimatland eines Unternehmens erzeugen einen Innovationsdruck, der für die Entwicklungsfähigkeit der gesamten Industrie und damit für ein ganzes Land vorteilhaft ist (Porter, M.E., 1999). Dabei ist es besonders günstig für ein Land, wenn die inländische Nachfragestruktur die der anderen Länder antizipiert, denn dadurch besitzt das Unternehmen einen Indikator für die globale Entwicklung (Porter, M.E., 1999).
Größe und Wachstumsmuster der Inlandsnachfrage können ebenfalls einen nationalen Wettbewerbsvorteil in einer Branche stärken. Die Größe des Inlandsmarktes ist nach Porter für die Entwicklung von Wettbewerbsvorteilen besonders dort relevant, wo mit hohen Anforderungen an die Forschung und Entwicklung, mit Economies-of-Scale- bzw. Lerneffekten, mit Technologieparadigma-Wechseln oder mit einem hohen Unsicherheitsgrad gerechnet werden muss (Porter, M.E., 1999). Dann ermöglicht ein großer Inlandsmarkt das schnelle Erreichen einer Breakeven-Menge. Eine hohe Anzahl an unabhängigen Käufern in einem Land, die alle unterschiedliche Produktanforderungen stellen, erhöht nach Porter den Innovationsdruck auf die Unternehmen und fördert damit auch die Wettbewerbsfähigkeit einer Branche. Durch ein starkes Wachstum der Inlandsnachfrage wird nach Porter eine schnellere Übernahme neuer Prozesstechnologien erreicht als bei einem langsamen Wachstum, da die Unternehmen der Überzeugung sind, immer wieder in neue Produkte oder in neue Anlagen investieren zu müssen.
Mobile oder international orientierte Käufergruppen sind nach Porter genauso ein Element der Nachfragebedingungen zur Erhaltung oder Erreichung von Wettbewerbsvorteilen wie ausländische Kunden, die im Inland ausgebildet wurden. Mit dem „Export einer bestimmten Kultur“, z.B. durch Filme, kann eine Präferenz im Ausland für inländische Produkte entwickelt werden.
[99]Verwandte und unterstützende Branchen
Porter geht davon aus, dass ein Unternehmen nur dann eine weltweite Spitzenposition einnehmen kann, wenn es auch Lieferanten von Weltspitzenniveau hat. Erst die Internationalität der Lieferanten garantiert dem Unternehmen, dass dieses selbst die globalen Vorteile nutzen kann. Vor allem haben diese Unternehmen nach Porter bessere Chancen, durch Allianzen im internationalen Wettbewerb zu bestehen (Porter, M.E., 1999). Außerdem machen sich die Unternehmen, wenn sie ihre Lieferanten fördern, weniger von ausländischen Lieferanten abhängig.
Gleichsam profitiert ein Unternehmen von einer starken inländischen Konkurrenz zwischen Unternehmen der gleichen Branche in einem Land. Schon der Auftritt von einem oder mehreren international wettbewerbsfähigen Unternehmen beeinflusst seiner Meinung nach andere mit ihnen geschäftlich verbundene heimische Unternehmen und Industrien positiv und stärkt die Basis für Wettbewerbsvorteile der ganzen Wirtschaft. Die positiven Effekte für die Wettbewerbsfähigkeit resultieren aus dem Innovationswettbewerb innerhalb der inländischen Branche, wobei es durch die relativ kurzen Kommunikationswege und die kulturelle Gleichartigkeit im Heimatland der Unternehmen zu einem laufenden Austausch von Ideen und Konzeptionen kommt (Porter, M.E., 1999).
Treten zu der großen Konkurrenz im Inland auch noch eine räumliche Konzentration und Geflechte wechselseitig verwobener Unternehmen und Industrien hinzu, dann bilden sich nach Porter „Unternehmenscluster“, die sich besonders vorteilhaft auf die übrigen Elemente des „Diamanten“ auswirken. Solche „Unternehmenscluster“ können in Städten (z.B. Detroit für die amerikanische Automobil-, Maschinen- und Autozulieferindustrie), Regionen (z.B. Silicon Valley) oder ganzen Kontinenten entstehen.
Unternehmensstrategie, Strukturen und Konkurrenz
Als letztes Hauptelement seines „Diamanten“ sieht Porter die Unternehmensstrategie sowie die Strukturen und die Konkurrenzsituation in einer Branche. Hier betrachtet er, wie sich Branchen und Unternehmen in den Ländern gebildet haben, wie sie organisiert sind und geführt werden. Er sieht Vorteile für die internationale Konkurrenzfähigkeit in den Ländern oder Branchen, die nach langfristigen und nicht nach kurzfristigen Zielen und Wettbewerbsvorteilen streben. Er verdeutlicht dabei, dass die Formulierung der Unternehmensziele länderspezifisch durch gesellschaftliche Gruppen unterschiedlich beeinflusst wird und welche Bedeutung nationale Prestigeziele für die Entwicklung von Wettbewerbsvorteilen haben können (Porter, M.E., 1999). Die Verhaltensweisen der Unternehmensleitung und der Arbeitnehmer in unterschiedlichen Kulturkreisen können sich ebenfalls positiv auf den gesamten „Diamanten“ auswirken.
Auch die Art, wie der Wettbewerb in einem Land geführt wird, spielt in Bezug auf die Entwicklung von nationalen Wettbewerbsvorteilen eine große Rolle. Dabei leisten die Handelspolitik und die Anti-Trust-Gesetzgebung einen wichtigen Beitrag. So zwingt der Konkurrenzdruck Unternehmen, auch international tätig zu werden. Eine starke [100]Rivalität auf dem heimischen Markt betrachtet Porter als einen nationalen Besitz, dessen Wert nur schwer zu überbieten ist (Porter, M.E., 1999).
Rolle des Zufalls
Porter beschreibt, dass auch Zufallsereignisse für die Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit wichtig sind, weil sie Unterbrechungen hervorrufen, die zu Veränderungen in der Wettbewerbsposition führen können. Als Beispiele für solche Zufallsereignisse, die seiner Meinung nach einen großen Einfluss auf die Wettbewerbsvorteile ausüben, nennt Porter (Rugmann, A.M./Collinson, S., 2009; Porter, M.E., 1999):
1 zufällige Entdeckungen,
2 größere technologische Brüche (z.B. Biotechnologie, Mikroelektronik),
3 Schwankungen bei den Produktionsmittelpreisen wie z.B. in der Erdölkrise,
4 bedeutende Verschiebungen auf den Weltfinanzmärkten oder bei den Wechselkursen,
5 extremer Anstieg der Welt- oder Regionalnachfrage,
6 politische Entscheidungen ausländischer Regierungen und
7 Kriege.
Zufallsereignisse wirken sich nach der Analyse von Porter auf verschiedene Länder unterschiedlich aus. Das Land mit dem günstigsten „Diamanten“ wandelt seiner Meinung nach „Zufallsereignisse höchstwahrscheinlich in einen Wettbewerbsvorteil um“ (Porter, M.E., 1999).
Rolle des Staates
Der Staat kann Einfluss auf alle vier Hauptelemente des „Diamanten“ nehmen und sie positiv oder negativ verändern. Dabei ist die Rolle des Staates nach Porter einseitig. Die staatliche Politik zur Erlangung der Wettbewerbsfähigkeit eines Landes scheitert, wenn sie der einzige Ursprung des nationalen Wettbewerbsvorteils bleibt. Eine erfolgreiche staatliche Politik ist nur in den Branchen möglich, wo grundlegende Bestimmungsfaktoren des nationalen Vorteils vorhanden sind und der Staat diese unterstützt. So kann die staatliche Politik die Chance von Branchen oder Unternehmen fördern, einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen oder zu erhöhen, sie kann aber den Vorteil nicht selbst schaffen (Rugmann, A.M./ Collinson, S., 2009; Porter, M.E., 1999).