Hans-Peter Vogt

Der Wolfsmann


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einen Schluck von dem Bier.

      Auch die andern Krieger der Sippe trinken einen Schluck aus den Lederschläuchen, und sie zündeten jetzt Fackeln an und beginnen um den Holzhaufen zu tanzen.

      Sie trinken immer wieder kleine Schlucke. Sie singen, und der Tanz wird rhythmischer. Die Frauen beginnen im Takt zu singen, sie beginnen jetzt rhythmisch zu klatschen. Während die Sonne untergeht und der Himmel langsam seine Helligkeit verliert, tanzen sich die Männer in Trance. Die Frauen stehen um sie herum und stampfen mit den Füssen. Die Kinder bleiben hinter den Frauen, im äußeren Kreis. Dann flammen weitere Fackeln auf. Um die tanzende Schar der Männer brennt jetzt ein großer Kreis aus Fackeln. Die Männer singen, die Frauen klatschen und stampfen. Auch sie geraten in Trance, und dann wird eine der Fackeln an Hagan weitergereicht.

      Der Mann in der Mitte schreit mittlerweile wie am Spieß, aber das Schreien ist kaum zu hören, so laut sind die Gesänge und der stampfende Rhythmus.

      Alf ist inzwischen müde, aber er ist auch gebannt von diesem Schauspiel. Irgendwie entzieht sich seiner Wahrnehmung, dass der Mann in der Mitte vor Angst und Panik schreit. Dann wandern weitere Fackeln in die Hände der Männer, und plötzlich entsteht eine Stille, in der sich jetzt deutlich das Angstgeschrei des Mannes ausbreitet.

      Plötzlich wird Alf bewusst, was jetzt geschehen wird.

      Hagan geht auf den Haufen zu, und er ruft, dass das Opfer jetzt vollbracht werden müsse. Gabe gegen Gabe. Dann steckt er die Fackel in den Holzhaufen und brennt ihn an. Die andern Männer treten von allen Seiten an den Haufen und stecken die Fackeln hinein. Der Scheiterhaufen beginnt zu brennen und lodert in den Himmel. In dem Geknister und Geknacke des Feuers geht das Geschrei des Mannes jetzt unter.

      Die Männer nehmen jetzt wieder Schlucke aus ihren Schläuchen und setzen ihren Tanz fort.

      Mona hatte Alf fest an den Schultern gepackt. Er kann sich nicht rühren, aber der dreijährige Knirps versteht deutlich, dass dort ein Mensch bei lebendigem Leib verbrannt wird, und das nur, weil Alf zu den Wikingern gekommen war. Die Tränen laufen ihm nur so herunter.

      Während sich die Menge immer mehr in Trance tanzt, klappt Alf zusammen. Er bekommt es nicht mehr mit, dass er von zwei Händen in die Höhe genommen wird und auf ein Lager gebracht wird.

      Es ist seine Amme Josefa, an deren Brust er nun schläft, aber in dieser Nacht wacht Alf mehrfach auf und schreit. Ein Schein bildet sich um Alf und erfasst auch Josefa. Erst als sie ihm die Brust erneut gibt, schläft Alf endgültig ein und findet Ruhe.

       3.2.

      Am nächsten Tag wird die rituelle Sonnwendfeier fortgeführt. Dieses Mal ist das Fest anders. Alf spürt jetzt, dass die großen Steine und die Stäbe nach einem ganz bestimmten Muster angeordnet sind. Er sieht die langen Schatten, die sie werfen, als die Sonne aufgeht. Er hört die Beschwörungen, und am Abend ist die ganze Gesellschaft wieder in Trance gesoffen.

      In dieser Nacht wacht Alf auf, und er beginnt Josefa leise auszufragen. Ja, das sei so, Josefa sei nun schon einige Jahre hier in diesem Dorf, das Leben sei hart, aber sie hätte einige Vergünstigungen. Sie selbst sei aus einer großen Ebene, die sich jenseits des Meeres ausbreitet, und sie wäre vor einigen Jahren verschleppt worden. So genau weiß sie schon gar nicht mehr, wann das war. Sie war noch ein junges Mädchen gewesen, und sie hätte jetzt schon drei Kinder zur Welt gebracht. Nur heiraten, das dürfe sie hier nicht, und sie sei froh, dass Hagan sie ausgewählt hatte, die Amme für Alf zu spielen.

      Alf versteht vieles nicht, was Josefa erzählt, aber er hört ihr geduldig zu, so wie er früher Mama immer zugehört hatte, wenn sie ihm Geschichten erzählte.

      Am nächsten Tag geht die ganze große Gruppe ins Dorf zurück.

      Soviel begreift Alf, dass er in eine Gesellschaft gekommen war, in der die Erwachsenen bestimmen, was getan wird, und dies ist ganz anders, als das, was er aus Berlin kennt.

      Er seufzt und bittet Josefa, ihm noch oft solche Geschichten zu erzählen.

       3.3.

      Hagan ist nicht nur der Anführer des Dorfes, er ist auch der Schmied. Die Männer des Dorfes bringen ihm manchmal ihre Schwerter. Die werden dann geschliffen oder in Holzkohle erhitzt und mit Hämmern bearbeitet. Es scheint eine ganz besondere Kunst zu sein.

      Hagan hat in einiger Entfernung des Dorfes ein zweites Haus, und einen durch Palisaden abgegrenzten Bereich, und er macht aus seiner Kunst ein großes Geheimnis.

      Er stellt auch Helme her und eisenbeschlagene Schilde. Die sind so schwer, dass Alf die nicht anheben kann. Nicht einmal mit den Schwertern gelingt ihm das.

      Die Männer des Dorfes haben ein Boot, das vorne und hinten einen hochgezogenen Drachenkopf hat. Es gibt Ruder und es gibt einen Mastbaum und ein Segel, und jetzt kommen neue Männer und sie bringen eine ganze Ladung an Schwertern mit, die Hagan beginnt zu bearbeiten. Sie werden umgeschmiedet und geschliffen, und das Gehämmere und das Geklingel hallt durch die ganze Bucht.

      Auf Befragen von Alf erklärt Josefa, dass die Männer Kontakt zu anderen Familien haben, die alle an der Küste oder auf Inseln leben. Sie würden im Sommer viele Waffen von Beutezügen mitbringen. Hagan wiederum gälte als großer Schmied und Zauberer. Seine Schwerter seien begehrt. Er würde seinen eigenen Zauber in die Schwerter fließen lassen, so dass sie unzerbrechlich werden würden.

      Alf sieht Josefa an. „So etwas gibt es?“

      Josefa nickt überzeugend, aber sie sagt leise. „Du darfst nur nicht erzählen, dass du das von mir weist. Ich darf über diese Dinge nicht reden, und ob die Schwerter wirklich unzerbrechlich sind, das weiß ich nicht.“

      Alf sieht Josefa wieder an. Sie ist inzwischen so etwas wie eine Mutter für ihn geworden. Gewiss, er braucht diese Muttermilch nicht wirklich, aber er genießt die Wärme und Geborgenheit, die von dieser Frau ausgeht. Er kennt auch ihre drei eigenen Kinder. Die beiden älteren üben im Haus die Dienste von Knechten und Mägden aus, obwohl sie noch sehr klein sind. Das sei nun einmal so, erklärt Josefa.

      Instinktiv spürt Alf, dass er Josefa sogar beschützt, solange sie ihm die Brust gibt.

      Solange sie ihn stillt, gilt sie als unentbehrlich. Alf hat noch deutlich die Bilder des Scheiterhaufens im Kopf, und er fragt Josefa direkt, ob dort auch Frauen verbrannt werden. Josefa meint nur, er solle sich darüber nicht den Kopf zerbrechen, aber Alf ist jetzt klar, dass Josefa verboten worden war, darüber zu reden.

       3.4.

      Es ist nicht so, dass Alf seine neue Familie als Belastung empfindet. Hagan gilt im Dorf als weise. Mit den Enkelkindern von Hagan hat Alf ein gutes Verhältnis. Es gibt noch mehr davon.

      Hagan hat sieben Kinder und vier davon haben schon ein eigenes Langhaus, das sie zusammen bewohnen. Solche Langhäuser bieten mehreren Familien Platz. Die Dorfbewohner finden das richtig, in einer engen Dorfgemeinschaft zu leben. Immer wieder ziehen einzelne Gruppen los. Männer bringen Fleisch, Frauen bringen Beeren, Pilze und Kräuter. Es gibt viele davon.

      Einige werden aufgekocht und als Tee getrunken, andere dienen als Gewürz oder als Medizin.

      Hagan ist offenbar ein großer Medizinmann. Er hat viele dieser Kräuter in seinem Besitz, und er wird bei Krankheiten gerufen.

      Zu Mona hat Alf ein besonderes Verhältnis. Sie lehrt ihn, dass die Kinder miteinander nicht nur raufen, sondern auch zusammen lernen. Es gibt viele Dinge. Es gibt Webrahmen, die nur von den Frauen bedient werden. Manchmal brechen die Frauen auf, ziehen in die Hochebenen, und kommen mit Bergen einer Pflanze zurück, die jetzt gerupft und gedreht wird, bis sie zu langen Fäden versponnen ist. Daraus weben die Mädchen und Frauen Hemden, und die sind offenbar sehr begehrt.

      Josefa erzählt Alf, dass die Männer auf ihren Reisen solche Hemden mitnehmen. Sie werden sie in anderen Teilen der Welt eingetauscht gegen Dinge, die für sie wichtig sind. Salz, Bernstein, Gold, Glas, Zinn und Erz.