Hans-Peter Vogt

Der Wolfsmann


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einen einzigen Tropfen. Er geht sinnend zurück. Der Junge konnte nicht entflohen sein, aber er ist definitiv weg.

      Der Clown versteht das nicht. Er nimmt einen Lappen aus seinem Mantel, wischt alle Spuren weg, dann geht er raus und kommt mit einem Kanister Benzin zurück. Er gießt das Benzin über die Matratze. Er legt eine Benzinspur, zündet sie an, und rennt weg.

      Er hört die Detonation hinter sich, als der Raum Feuer fängt. Er läuft, bis er seinen Kleinbus findet. Er passt auf, dass niemand in der Nähe ist, steigt hinein, zieht sich um, und wischt sich die Schminke aus dem Gesicht. Dann fährt er davon.

      Die Polizei, die Mafia und die Gruppe von Rochen hatten den Ring inzwischen immer enger gezogen. Als es dort im Wald, rund 50 Km vor Berlin plötzlich brennt, wird die Feuerwehr alarmiert. Es hat nur qualmenden Rauch gegeben, den ein Ausflügler von Weitem gesehen hatte. Der Wald ist nicht verbrannt worden. Die Kripo untersucht die Spuren. Sie finden die Reifenspuren des Kleinbusses und sie folgen den Spuren durch den Wald.

      Zwei Tage später brennt in Süddeutschland ein Kleinbus aus. Die Polizei untersucht den Fall und zieht Parallelen.

      Der Clown war untergetaucht. Das Kind ist und bleibt verschwunden.

      Die Kripo gibt Rochen und Elvira Bescheid, aber Elvira sieht die Beamten nur traurig an. „Ich weiß“, sagt sie. „Mein Sohn ist tot. Eine Mutter spürt so etwas.“

       1.13.

      Alf erlebt den Tunnel nicht zum ersten Mal. Seine Tanten und Onkels hatten ihn schon mit durch diesen Tunnel genommen, wenn sie nach Südamerika oder nach Wittenberge gesprungen waren. Alf kennt diesen langen schwarzen Tunnel, der rotiert, während er dort hindurchfliegt.

      Diesmal ist es dennoch anders. Er spürt den Schlag schon nicht mehr, der seinen Schädel gespalten hatte.

      Er sieht um sich herum lauter kleine weiße Funken, wie Sterne. Er fliegt durch diesen Tunnel. Es ist eine rasend schnelle Fahrt, die scheinbar unendlich lange dauert. Dann sieht Alf plötzlich ein fernes Licht, dem er sich rasend nähert.

      Er wird sanft abgelegt und schläft sofort ein.

      Als er die Augen öffnet, sieht er um sich herum eine blühende Landschaft aus lauter kleinen bunten Blumen. Er liegt auf Moos, und um ihn herum gibt es seltsame große und keilförmige Steine. Irgendwo am Himmel brennt die Sonne und in der Nähe plätschert ein Bach.

      Alf richtet sich auf. Er sieht sich verwundert um.

      Solch eine Landschaft hat er noch nie gesehen.

      Es ist warm und er fasst instinktiv an seinen Kopf. Es gibt keine Wunde, der Kopf scheint heil.

      Es gibt nicht einmal einen Schmerz. Nichts. Nur das rechte Ohr scheint etwas verrutscht. So. als wenn es da nicht richtig hingehört.

      Alf steht auf. Er sieht an sich herunter, dann sucht er diesen Bach.

      Es ist wirklich ein kleiner Bach, der sich in einer kleinen Mulde sammelt, nicht wie ein See, eher wie eine große Pfütze. Alf sieht, dass sich der Himmel in dieser Pfütze spiegelt, und er beugt sich vorsichtig darüber. Er sieht plötzlich sein Spiegelbild ganz klar, und er dreht den Kopf hin und her. Er sieht das Blut auf der Kleidung und in seinen Haaren. Er sieht, dass ein Stück seines Ohres fehlt, und er sieht, dass der Kopf sonst völlig in Ordnung ist. Er kniet sich hin, trinkt von dem klaren Wasser und wäscht sich unbeholfen.

      Dann steht er wieder auf und versucht den Kontakt zu seiner Mutter herzustellen. Nichts. Da ist nichts. Da ist nur Stille.

      Dort, wo Alf steht, ist die Wiese sehr nass, und er läuft ein paar Schritte, um eine trockene Stelle zu finden. Dabei sieht er, dass es hier niedere Büsche gibt. Sie haben kleine Blätter und blaue Beeren. Als er sich bückt, sieht er, dass hier Walderdbeeren wachsen. So genau kennt er die allerdings nicht. Er kennt Erdbeeren, aber die hier sind wirklich sehr klein.

      Alf probiert von den Erdbeeren und den blauen Früchten, und findet, dass sie sehr gut schmecken.

      Er hatte in den letzten Tagen wenig gegessen und der Hunger rührt sich urplötzlich.

      Von den blauen Beeren wachsen hier genug. Mehr als er essen kann.

      Während er isst, verfärben sich seine Hände und der Mund. Alles ist jetzt blaulila von den Heidelbeeren. Alf sieht auf seine Hände. Er leckt daran. Es schmeckt süß und es macht Alf irgendwie glücklich.

      Er versteht das alles nicht und es ist auch nicht zu verstehen, nicht nur für einen Dreijährigen.

      Schließlich streckt sich Alf und sieht sich um.

      Er hat einen kleinen kugelrunden Bauch bekommen, von den Beeren, und fühlt sich satt, zufrieden und etwas müde. Es gibt hier eine Art Lichtung, wie ein Plateau. Um diese Lichtung herum stehen diese seltsamen großen Steine und auch Holzsteelen, die in Kreisform aufgestellt sind, und die jetzt Schatten werfen. Das Tal hat auf drei Seiten hohe Wände aus Stein, die in wilden Zacken immer höher hinaufreichen. Auf der vierten Seite ist das Tiefblau des Himmels zu sehen, und jetzt nahm Alf zum ersten Mal diesen Duft wahr, der hier über der Lichtung liegt. Ein süßer und würziger Duft von Moosen, Waldboden und Beeren.

      An den Hängen stehen vereinzelt hohe Tannen und sie reichen auch noch weiter hinauf. Sie klammern sich ans Gestein und sie haben seltsam geformte Wurzeln.

      Alf sieht das alles, aber mit seinen drei Jahren nimmt er das noch nicht bewusst auf. Er hat keine Ahnung, wo er ist. Seine Mutter ist offenbar weit weg, und diese Landschaft ist entschieden besser als der Kerker, in dem er die letzten vierzehn Tage verbracht hatte.

      Er sucht sich ein trockenes Plätzchen, legt sich in das Moos und schläft nach wenigen Minuten ein.

       1.14.

      Elvira, die in Berlin zurückgeblieben war, die war traurig über den Verlust. Sie weiß einerseits, dass Alf tot ist, und gleichzeitig hat sie das Gefühl, dass sie Alf eines Tages wiedersehen wird. Sie spricht mit Chénoa und ihrer Cousine Solveig, und Solveig nickt vorsichtig. Sie hat in diesen Dingen ein untrügliches Gespür.

      „Du wirst ihn wiedersehen“, sagt sie mit Bestimmtheit. „Nicht morgen, nicht in fünf Jahren. Vielleicht musst du zwanzig oder dreißig Jahre warten, aber ich weiß das mit Bestimmtheit. Alf wird zurückkehren in unsere Welt. Glaub’ mir.“

      Für die Polizei gilt Alf als vermisst. Sie setzen ihn auf eine Liste. Es gibt nicht einmal eine Beerdigung.

      Elvira spricht mit ihren Kindern und auch mit Lara und ihren Kindern. Lara umarmt sie, und sie sieht die Kinder der Reihe nach an.

      „Ich habe gelernt, auf die Kräfte der Familie zu vertrauen. Ich habe nicht die Kräfte von Solveig, aber auch ich spüre, dass Alf eines Tages zurückkommen wird. Lasst uns das immer wieder besprechen. Auch auf den Treffen der Kinder muss das einen neuen Stellenwert erhalten.

      Vielleicht gelingt es uns eines Tages, den Kontakt zu Verschollenen herzustellen.“

      Lilly ist so traurig, dass sie jetzt zu ihrer großen Schwester ins Zimmer zieht. „Ich kann das einfach nicht, so alleine neben dem leeren Bett von Alf liegen. Ich muss immer daran denken, wenn wir uns morgens geneckt haben, bevor Mama und Papa aufgestanden sind.“

       1.15.

      Alf, Elvira und Solveig wissen nicht, dass Artemis seine schützende Hand über Alf gehalten hat. Sie wissen nicht, dass Artemis schon vor vielen Jahren gelernt hat, in die Vergangenheit zu reisen. Sie wissen nicht, dass Artemis mit Alf etwas Großes vor hat, und dass er deswegen nicht in das Geschehen eingegriffen hat, solange Alf noch gefangen gehalten worden war.

      Sie wissen viel, aber Vieles wissen sie nicht.

      Alf, der ein kleiner unschuldiger Junge von drei Jahren ist, hat eine große Zukunft vor sich, und er wird durch eine harte Schule gehen, um später einmal seine zukünftigen Aufgaben für