Hans-Peter Vogt

Der Wolfsmann


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eine Art Experiment ist. Er weiß auch nicht, wie die menschliche Physis und die Psyche auf einen Zeitsprung von über 1000 Jahren reagiert. Er selbst war schon ein paar Mal in der Vergangenheit. Es war immer sehr aufschlussreich gewesen. Man kann aus der Vergangenheit oder auch aus der Zukunft weit besser lernen, wenn man selbst daran teilgenommen hat.

       Kapitel 2. In einem fremden Land

       2.1.

      Alf wacht auf, weil er ein Schnauben, Schmatzen und Röcheln hört. Er schlägt die Augen auf und sieht in einiger Entfernung ein großes dunkles Tier mit dichtem Fell. Das Tier hat ein Junges neben sich, das manchmal hüpft und kleine Sprünge macht.

      Das große Tier hat seine Schnauze tief in die Büsche gesteckt und es frisst offenbar von diesen Beeren.

      Der Wind steht günstig. Alf liegt hinter Büschen verdeckt, und so hat dieses große Tier Alf noch nicht bemerkt.

      Alf hört sich das eine Weile an, dann spinnt sich wie selbstverständlich ein Feld aus Licht um ihn. Das kennt Alf auch noch nicht. Er staunt, und plötzlich beginnt er zu summen und zu brummen. Er kann nicht einmal etwas dazu.

      Die Bärin richtet sich abrupt auf. Sie sieht jetzt diesen Schein. Sie sieht dort dieses Bündel. Sie kennt Menschen, und sie muss sich vor diesen Menschen in Acht nehmen. Das hatte sie gelernt.

      Aber dieses Wesen brummt in einer ihr vertrauten Art, und dann beginnt dieses Etwas zu fiepsen, so dass sie die Ohren spitzt. Das sind die kläglichen Geräusche, die sie von ihrem Jungen kennt, wenn es Hunger hat.

      Sie drückt ihr eigenes Kind hinter ihren Rücken, dort, wo es Schutz findet, und beginnt sich schnell auf dieses Bündel zuzubewegen.

      Der Schein wird heller. Die Bärin erschrickt, doch dieses Bündel winselt und jault, und die Bärin geht vorsichtig näher.

      Ihr eigenes Kind folgt ihr, und es beginnt jetzt auch zu winseln und zu brummen.

      Die Bärin richtet ihre große Nase in die Luft und nimmt die Losung auf. Da ist nur dieses Kind. Es riecht süß nach Beeren und nach Pipi, und da ist kein anderer Geruch. Nicht der scharfe Schweiß, den die Menschen sonst verströmen.

      Sie bewegt sich hin und her und steckt ihre Nase in die Luft. Dann geht sie zu diesem Bündel, das jetzt aufsteht.

      Es ist ein Menschenjunges. Für Bären ist das ein gefundenes Fressen, aber dieses Junge macht seltsam vertraute Geräusche. Sie riecht an diesem Kind. Es langt ihr jetzt ohne Furcht in den Pelz und es wimmert, wie Bärenjunge wimmern.

      Die Bärin ruft ihr Junges. Es kommt, und trinkt an ihren Zitzen.

      Alf sieht das. Er beobachtet das Bärenkind, dann wird er von der Bärin in Richtung dieser Zitzen gestumpt und Alf versteht.

      Er wartet, bis das Bärenjunge schmatzend fertig geworden ist, dann legt sich die Bärin auf die Seite und brummt auffordernd.

      Alf trinkt den ersten Schluck Bärenmilch in seinem Leben. Sie ist warm, sie ist fett und sie ist nahrhaft. Alf trinkt und dann schiebt er der Bärin dankbar die Hand in das Fell. Die Bärin versteht.

      Sie steht auf und beginnt wieder zu fressen. Alf beginnt jetzt mit dem Bärenjungen zu fiepsen und sie beginnen sich zu unterhalten.

      Es ist nichts, was Alf jemals vorher getan hat. Er hat schon mit Hühnern, Hunden und Kaninchen gesprochen. Einen Bären hat er bisher nur im Zoo gesehen. Das ist aber schon eine ganze Weile her.

      Diese Töne, die waren aus ihm gekommen, ohne dass er etwas dazu konnte. Er versteht das nicht ganz, aber er ist dankbar.

      Als sich die Bärin schmatzend entfernt, folgte Alf der kleinen Bärenfamilie. Irgendwann ist es zu anstrengend, durch die Büsche zu laufen und er muss sich setzen.

      Es wird schon dunkel, als die Bärin zurückkommt.

      Sie nimmt Alf mit den Zähnen an der Kleidung auf, und trägt ihn zu einer Höhle auf der anderen Seite der Lichtung.

      Die Höhle ist nackt, und der Boden ist kalt, aber die Höhle schützt vor Regen, und Alf kuschelt sich in dieser Nacht in das Fell der Bärin.

       2.2.

      Am nächsten Morgen gibt die Bärin Alf zu verstehen, dass es hier gefährlich sei. Hier kämen immer mal große weiße Jäger herauf. Sie müsse das Tal jetzt wieder verlassen.

      Alf versteht, aber was soll er tun? Dort hinauf, wo die Bärin gehen will, kann er ihr nicht folgen. Nicht über diese Felsen, und nicht mit seinen kurzen Beinen.

      An diesem Morgen muss Alf auf den Topf. Er hat kein Klopapier, aber die Bärin leckt ihn sauber, dann verschwindet sie mit ihrem Bärenjungen und lässt Alf alleine zurück.

      Alf hat jetzt immerhin ein Dach über dem Kopf, und er hat in diesem Tal genug Beeren, von denen er satt wird.

      Die Bärin kommt alle zwei Tage. Sie säugt Alf, sie leckt ihn sauber, und dann verlässt sie das Tal wieder. Alf nimmt langsam den Geruch der Bärin an.

      Es gibt auch andere Tiere im Tal. Kaninchen, kleine Füchse, und eines Nachts wird Alf von Schatten geweckt, die sich vorsichtig, wirklich vorsichtig nähern. Er schlägt die Augen auf.

      Sehen kann er nichts. Er vernimmt leise Geräusche, und dann sieht er kleine helle Punkte, die fast fluoreszierend leuchten.

      Er richtet sich auf und urplötzlich entflammt wieder dieses Licht. Alf sieht jetzt, was es ist. Hunde. Er kennt Hunde, und er fängt sofort an, in diesen Lauten zu kommunizieren, die Hunden zu eigen sind. Was Alf nicht weiß, es sind Wölfe, und diese Wölfe haben vor diesem Licht Angst. Es wirkt auf sie wie Feuer. Wölfe haben vor Feuer einen Heidenrespekt.

      Das Feuer schützt Alf. Die Wölfe riechen den Geruch dieser Bärenhöhle, die sie hierher gelockt hatte. Sie hatten erwartet ein Jungtier zu finden, aber sie hatten nicht mit diesem seltsamen Feuer gerechnet, das jetzt in ihrer Sprache mit ihnen redet. Schließlich geht das Feuer auf sie zu und sie nehmen reißaus.

      Am nächsten Tag sind sie wieder da. Sie stehen in einiger Entfernung. Sie sehen dieses Menschenkind, das wie ein junger Bär riecht. Es geht durch die Blaubeeren, und isst wie ein Menschenkind Beeren isst. Heute hat es nicht diesen Schein, und die Wölfe wagen sich wieder heran. Das ist leichte Beute.

      Als die Bärin erscheint, wollen sich die Wölfe zunächst auf das Menschenkind stürzen, um dann schnell zu verschwinden, aber die Bärin bewegt sich mit solch unglaublicher Schnelligkeit auf sie zu, dass sie Abstand nehmen.

      Aber jetzt ist das Bärenjunge gefährdet, das der Mutter nicht so schnell hatte folgen können, und die Wölfe greifen das Bärenjunge an.

      Was dann geschieht, begreifen die Wölfe nicht.

      Alf beginnt plötzlich zu heulen. Er streckt den Kopf in die Luft, und stößt dieses typische Geheul aus, das man von den Leitwölfen kennt.

      Die Bärin ist verwirrt. Die Wölfe sind verwirrt, und Alf bewegt sich jetzt auf die Wölfe zu.

      Lasst meine Familie in Ruhe, ruft er den Wölfen in der Sprache der Wölfe zu. Die Wölfe bellen, dann beginnt der Leitwolf zu heulen, und einer der Wölfe nach dem anderen verlässt das Tal.

      Was noch seltsamer ist, noch während die Wölfe das Tal verlassen, verändern sich die Laute, und Alf beginnt wieder in der Sprache der Bären zu fiepsen. Hilflos und schutzsuchend.

      Die Bärin versteht. Sie bleibt diese Nacht im Tal.

      Sie gibt Alf Nahrung und Wärme, dann bricht sie wieder auf. Es ist hier einfach zu gefährlich.

       2.3.

      Die Laute der Wölfe klingen weit, und sie werden durch die Öffnung des Tals in Richtung Meer getragen.