Hans-Peter Dr. Vogt

Klimachaos


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von Jahren weiterreagieren, und wir reden hier nicht von Supergaus (auch die gab es), sondern von den sich fast täglich ereignenden kleinen und ungewollten Strahlungsaustritten bei der Erzeugung von Atomstrom, und von der legalen und illegalen Endlagerung. Man sieht, riecht und schmeckt diese Strahlung nicht, aber sie ist da, und sie verändert das Leben auf der Erde.Springen wir anschließend einige Jahrzehnte in der Zeitrechnung weiter in eine Epoche, in dem der ökologische Kollaps wirklich allgegenwärtig war, auch wenn es Nischen gab, in denen man gut leben konnte, und ich spreche hier nicht von Phantasie-Kolonien der Superreichen auf fernen Gestirnen und von den Arbeiter-Erdlingen, die der Natur hilflos ausgesetzt sind, so wie das in Phantasy-Geschichten vielleicht zum Thema gemacht werden würde. Josefina und ihre Nachkommen erlebten das anders, obwohl es solche Kolonien der Superreichen hier auf unserer Erde natürlich gab, in den USA, in Russland, in China, in Südamerika und anderswo, aber trotz aller Abkapselung durch Mauern, Ärzte und Wachdienste waren sie denselben Gefahren durch den Ökokollaps ausgesetzt, wie alle anderen auch. So ist dies eine Geschichte von Bedrohungen und Gefahren, aber auch von der Suche nach persönlichem Glück und Selbstverwirklichung.

       Teil 1/ Kapitel 3. Die atomare Verseuchung

       1.

      Ayaka Yutamadai lebte knapp 45 Kilometer vom Kraftwerk Fokushima-Daini entfernt in der Provinz Tamura, als im Jahr 2011 die Erde bebte. Es waren mehrere Beben hintereinander, welche die Küste südlich vor Japan und die Insel selbst erschütterten. Die Hauswände wackelten bedrohlich und mehrere ihrer Lieblingstassen fielen aus dem Schrank, als die Türen aufsprangen. Ayaka schnappte sich ihren Mann Haruto und ihren 4-jährigen Sohn Shiro und sie verließ in dieser Nacht mehrfach das Haus. Es war eine kleine Stadt von 20.000 Einwohnern. Es gab hier mehrere Fabriken, mehrere Tennisplätze, Schulen und Kindergärten, und sie hatten hier ein eigenes Haus. Haruta arbeitete in einer dieser Fabriken, und es ging ihnen recht gut. Ayaka war im dritten Monat schwanger, und sie war vorsichtig gewesen.Erdbeben gibt es in Japan oft. Man hat sich daran gewöhnt und alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen wurden immer wieder und immer wieder eintrainiert. Weil der Distrikt landeinwärts liegt, bekamen sie die Auswirkungen des Seebebens zunächst nur als Erschütterungen mit. Die 10 Minuten später an die Küste schwappende 7 Meter hohe Flutwelle betraf sie nicht unmittelbar, und sie hörten erst später davon.

      Diese Welle traf die Kraftwerksblöcke von Fukushima, und die Elektronik schaltete die Blöcke automatisch ab. Soweit so gut. Niemand rechnete damit, dass die Pumpen für Tage ausfallen sollten, die für die Kühlung der Reaktorblöcke und der Brennelemente notwendig waren. In den Tagen danach hörten Ayaka und Haruto von diesem Unglück, aber sie vertrauten der Stärke Japans, das bisher immer mit Havarien, Unglücken, oder gar Katastrophen fertig geworden war, und gestärkt aus solchen Situationen hervorging.Dann fielen die Telefone für Tage aus, sogar das Handynetz brach zusammen, aber sie hatten kabelgebundenes Internet, und sahen und hörten, was sich da an der Küste ereignet hatte. Eine Sicherheitszone von 20 Km wurde eingerichtet und später auf 30 und 40 Km erweitert. Sie waren außerhalb dieser Zone und das bedeutete ja wohl, dass es für sie ungefährlich war. Wenn man dem Staat misstraut, ist man kein guter Japaner, und als gute Japaner fühlten sich Ayaka und Haruto. Deshalb meldete sich Haruto auch freiwillig, um an Säuberungs- und Hilfsmaßnahmen rund um das Kraftwerk teilzunehmen. Er bekam eine blaue Montur, Arbeitsstiefel, einen Mundschutz aus Gaze für den Notfall, und Arbeitshandschuhe aus Leder, dann wurde er mit anderen in Kleinbussen direkt zum Kraftwerk gefahren, um zu löschen und um die Pumpen wieder in Gang zu setzen. Sie hatten nichts als ihre blaue Montur, und bekamen nicht einmal Gummistiefel, als sie in dieses Kühlwasser geschickt wurden, das aus dem Reaktor austrat. Das war doch nur Wasser. Es war radioaktiv verseucht, aber das sagte man nicht. Sie hatten nicht gewusst, was sie da erwartet. Sie taten alles, um die Pumpen wieder in Gang zu setzen, und weil sie nicht einmal mehr Strom hatten, wurde der mit Hilfe von Generatoren erzeugt. Nach drei Tagen, in denen sie die Nächte durchgearbeitet hatten bis auf 4 Stunden Schlaf, konnten sie nicht mehr. Sie wurden unter die Dusche gesteckt, zum Schweigen verpflichtet und nach Hause geschickt. Wie andere Kollegen auch war Haruto in diesen Tagen völlig verstrahlt worden. Es hatte nicht einmal Geigerzähler gegeben, um die Strahlen in Siewert zu messen.

      So verstrahlt wie er war, kehrte Haruto (versehen mit einem warmen Händedruck) in sein Haus und zu seiner Familie zurück. Er war todmüde und die Müdigkeit fiel auch in den nächsten Tagen nicht von ihm ab. Er fühlte sich schwach, ihm war übel, und bald begannen sich seltsame rote Flecken auf der Haut zu zeigen. Er ging zum Arzt, und der schickte ihn ins Gesundheitszentrum. Dort wurde Haruto untersucht, dann gab man ihm eine Salbe gegen die Flecken und schickte ihn wieder nach Hause. Die Müdigkeit und die Schwäche blieben. Eine Woche später raffte er sich auf, und er wurde in seiner Firma mit anderen Kollegen für seinen Einsatz geehrt. Man erwartete jetzt, dass er wieder an die Arbeit geht, aber Haruto konnte nicht. Erst Wochen später, als Haruto schon im Sterben lag, wurde Hautkrebs und Schilddrüsenkrebs diagnostiziert. Seine Frau Ayaka war inzwischen im fünften Monat schwanger und sie ging jetzt erstmals zu einer Voruntersuchung. Es schien alles in Ordnung. Haruto erlebte die Geburt seiner Tochter Teiko nicht mehr, und das war vielleicht gut so, denn die kleine Teiko war seit ihrer Geburt nicht gesund. Sie hatte immer wieder Fieber. Sie trank schlecht, sie war appetitlos, und als man sie schließlich gründlich untersuchte, wurde festgestellt, dass Teiko an Blutkrebs litt. Ayaka meldete beim Staat Ansprüche an, aber die Bearbeitung verzögerte sich und verzögerte sich. Als Ayaka schließlich das Bestätigungsschreiben in den Händen hielt, starrte sie nur stumm auf diese Zeilen. Nicht einmal die Behandlungskosten für ihre Tochter Teiko wurden in vollem Umfang ersetzt. Mit derselben Post kam ein Dankesschreiben des Ministeriums für den mutigen und heldenhaften Einsatz ihres Mannes bei der Bekämpfung der Schäden im Reaktor. Ayaka war traurig und geschockt. Sie war von ihrem Mann verstrahlt worden, und sie fühlte sich matt und hilflos.

       2.

      So wie Ayaka ging es vielen andern auch. Die Behörden mauerten. Es gab nicht wirklich eine Protestbewegung. Eingereichte Klagen wurden auf die lange Bank geschoben, und auf die Kläger wurde mit langen Fingern gezeigt. Knapp zwei Jahre nach dem Unglück beschloss die Japanische Regierung nach weltweiten Protesten, die Kernkraftwerke nur noch bis zum Jahr 2040 laufen zu lassen, und dann den Betrieb einzustellen. Es waren aber bereits wieder vier neue Kraftwerke im Bau, und man würde die auch hochfahren. Bis 2040 war ja noch lange hin.An alternative Technologien dachte man nicht, obwohl man wusste, dass Japan ein erdbeben- und tsunamigefährdetes Gebiet ist. Der Mensch ist vergesslich, und weil in Japan die Auswirkungen der Katastrophe von Fukushima immer wieder und immer wieder unterdrückt und totgeschwiegen wurden, gewöhnte man sich an den Status Quo. Noch Jahre später war radioaktiv verseuchtes Wasser aus den Reaktoren ausgetreten, oder wurde klammheimlich ins Meer gepumpt. Wo sollte es denn auch sonst hin. Das Wasser verdünnte sich auch nicht einfach, sondern Meerespflanzen, Krebse, Muscheln und Fische nahmen diese Strahlung auf, und das sorgte für krankhafte Wucherungen bei Tieren und zur Ansammlung von radioaktivem Cäsium und Strontium in den Algen, die in Japan traditionell zum Verzehr genutzt werden.

      Japan ist ein Land, in dem viel Fisch gegessen wird, nicht nur Sushi. Auch Riesengarnelen, Seeigel, Muscheln und Krabben. Das Fleisch der Fische wird weltweit exportiert. Zunächst kam es aber in Japan selbst immer mehr zu den bekannten Krankheiten, die durch die Belastung mit radioaktiven Abfällen entstehen, vor allem Krebs und Immunschwäche. Eine direkte Verbindung lässt sich nur schwer nachweisen, und so wurden diese Zahlen oft nicht einmal statistisch erfasst. Man hätte in Japan gut und gerne so weiterleben können, aber im August 2024 bebte die Erde wieder und diesmal gab es eine Flutwelle, die gleich drei AKW’s mit insgesamt mehr als 12 Reaktoren traf. Diesmal traf die Mörderwelle die Japanische Küste auf der Höhe von Mihama und Takamana. Auch diesmal hielten die äußeren Ummantellungen, aber wieder fielen Kühlpumpen und Notstromaggregate aus. In der Folge kam es zur Kernschmelze, und diesmal wurde das Herz Japans von der gewaltigen nuklearen Wolke direkt getroffen. Im März 2011 hatte Japan noch Glück gehabt, weil die Winde die Wolke nach Süden, aufs offene Meer geweht hatten, wo sie irgendwann abgeregnet war. Diesmal traf diese nukleare Wolke das Hinterland, um das Zentrum der Insel, und verseuchte die Regionen Kyoto, Osaka und Aichi. Dieses Mal geriet Japan wirklich an den Rand des Kollapses. Die Auswirkungen