steckten. Schon längst war der Standort Böblingen nur noch eine Forschungs-, Beratungs- und Verwaltungszentrale, die aber rechtlich nur als Vermittler von Dienstleistungen und von Anlagegeldern funktionierte, um nicht in den Verdacht von Gewinnen zu kommen, die es offiziell nicht gab. Es gab Produktionsstätten in Spanien, Brandenburg, Mittelengland, Kanada, Thailand, Australien und in China, die aber rechtlich als Töchter der Beteiligungsgesellschaften liefen, mit Sitz in einer der Steueroasen.
Das ganze System der Energiegewinnung und der Süßwasserproduktion wurde geradezu revolutioniert, und jetzt begann die Familie auch in weiteren Bereichen zu investieren: Nahrungsmittel, Fastfoodläden, Pharmazie, eine eigene Discounterkette und das Recycling von Rohstoffen. Man ließ einige davon sogar unter dem Namen von Josefina laufen. Vargas-Foodland-Company, Vargas-Pharmazeutical-Industries, Vargas-Drugs & Beauty International, und die Vargas-Recycling Inc, alle mit Sitz auf den Bermudas oder in anderen Steueroasen. Der Wandel in der Automobilindustrie bescherte Josefina eine weitere Einnahmequelle. Die zwangsweise Umstellung von Verbrennungsmotoren auf Elektromotoren bewirkte einen totalen Wandel der Wirtschaft. Als großer Stromerzeuger lag es nahe, dieses Reservoir sinnvoll auszuschöpfen, und so entstanden überall Stromtankstellen. Auf Großparkplätzen von Supermärkten, in Parkhäusern, auf Parkstreifen. Selbst als die Solarenergie auf Dächern und Motorhauben von Fahrzeugen weitestgehend ausgereift war, benötigte man solche Stromlieferanten, um den Individualverkehr am Laufen zu halten. Josefinas Firmenkonsortien verdienten an diesem Trend kräftig mit. Es gab Milliarden von Verbrauchern, die ihre Fahrzeuge aus der Steckdose betankten.
Auch nachdem effektive Wasserstoffmotoren gefunden worden waren, hörte dieser Trend nicht auf. Es gab wieder zwei Antriebsarten, wie früher einmal Benzin und Gas, oft miteinander gemischt. Dual eben.Natürlich zahlten die Unternehmen von Josefina Lohnsteuer, Mehrwertsteuer und Verbrauchssteuern. Das waren ja keine illegalen Unternehmen. Man weidete eben nur den Spielraum aus, den man rechtlich, und vor allem steuerrechtlich hatte. Alle Unternehmen machen das so, und lassen das von einem Heer aus Anwälten wasserfest machen. Außerdem gab es lukrative Übernahme- und Abschreibungsfirmen, die alle von Josefinas Namen getrennt waren, um nicht in Verruf zu kommen. Josefina war offen für fast alles, was Geld brachte.
Dabei blieb ihr Gespür für Gerechtigkeit erhalten. Es gab nun einmal Projekte, die sie regelrecht anwiderten, etwa die Ausweidung von Mietobjekten im Wohnungsbau. Sie wusste, dass dort mit der Not der Menschen viel Schindluder getrieben wird. Sie tat das nicht, und sie unterstützte sogar heimlich drei Kanzleien in Berlin, Hamburg und in Frankfurt, um die Rechte solcher Opfer von Wohnungspolitik zu stärken.Nach außen war alles rechtlich einwandfrei. Aus diesem Grund gab es auch eine perfekte Buchführung über die Spendeneinnahmen. Sie wurden den Finanzämtern der jeweiligen Länder vorgelegt, und dann über ein Anderkonto auf die Stiftungsgesellschaften mit Sitz in den Steueroasen transferiert. Josefina bekam ihr Gehalt, das sie selbstverständlich korrekt versteuerte. Die Beteiligungen der Stiftungen in Deutschland wurden peinlich genau verzeichnet. Steuerfrei, wie sich das gehört. Das regelte das Heer der Anwälte.Tatsächlich war Josefina die Eigentümerin all dieser Gesellschaften und Stiftungen, aber das wussten nur ein paar wenige Eingeweihte, und Josefina hatte stets einen Koffer bereitstehen, um notfalls schnell zu verschwinden. In Holland lag unter fremdem Namen eine Yacht, die immer vollgetankt war, und von den sicheren Appartements in Amsterdam, Bremerhaven, Limerick, und in den Steueroasen wusste nicht einmal Horst etwas.
10.
In all diesen Jahren verschlechterte sich das Klima immer mehr. Es heizte sich auf, es entstanden neue Krankheiten, andere bereits Bekannte breiteten sich rasant aus, manche epidemisch. Dazu gehörten auch die durch den Eichenspinner ausgelösten Allergien und Erstickungsanfälle, die durch die feinen und mit Widerhaken versehenen Härchen ausgelöst wurden, die diese Schmetterlingsraupe bei der Verpuppung massenhaft ausstößt. Man mag darüber lächeln, aber diese Allergien traten nun massenhaft auf, und sie waren wirklich lebensbedrohlich, weil diese Härchen in der Lunge allenfalls durch Antialergika gemildert werden konnten, und oft zum plötzlichen Erstickungstod führten.Der Meeresspiegel wuchs um über einen Meter an. Mit dem Abtauen der Gletscher taute auch der Permafrost auf, und all das hatte gewaltige Auswirkungen, etwas, was man „Global Weirding“ nennt. Unvorhersehbare und gewaltige Naturkatastrophen, Krankheitsausbrüche und eine gigantische Veränderung bei Insekten, Milben und Virenstämmen. Die Landwirtschaft stöhnte, und es mussten völlig neue und resistente Anbausorten gefunden werden, die trotz der wechselnden klimatischen Einflüsse Erträge abwarfen.
Die Familienunternehmen hatten sich längst zu einem Geflecht aus multinationalen und globalen Unternehmen gemausert, die im Bereich der Umwelttechnologien aktiv waren. Einerseits war das ideell, andererseits war das äußerst lukrativ, aber Josefina wusste längst, dass sie der Entwicklung nur hinterherrennt, um sinnbildlich die schlimmsten Brandherde zu bekämpfen.Die wohl schlimmste Bedrohung war die anfangs beschriebene Pandemie mit dem Namen KIS, die im Jahr 2040 ausbrach und über 20 Jahre lang wütete. Man forschte schon frühzeitig nach Gegenmitteln, aber die Krankheit war nicht aufzuhalten. In diesen 20 Jahren starb die Hälfte der Weltbevölkerung, und für die Wissenschaftler war das der letzte Anstoß, endlich ein totales und globales Umdenken zu fordern. Es konnte mit der Ausbeutung und Verschwendung der Rohstoffe und der Zerstörung der natürlichen Schutzschilde nicht mehr so weitergehen, wie bisher.Josefina hatte sich für die Erforschung von Gegenmitteln stark gemacht, und sie hatte selbst viel Geld zugeschossen, aber Josefina wurde 2065 ein spätes Opfer dieser Pandemie. Sie hatte längst eine weltweite und feste Fangemeinde, und die trauerte um Josefina, wie um eine Heldin.Josefinas Tochter Carmelita war aber längst in Josefinas Fußstapfen getreten, und so gab es keinen Stillstand, aber ich greife der Geschichte hier etwa vor. Soweit war es noch nicht.
11.
Natürlich hatte es zu Lebzeiten Josefinas Kriege gegeben. Lokal und regional und oft mit der Gefahr eines Flächenbrandes. In Ostasien, in Afrika, in Südamerika, in ehemaligen Staaten der Sowjetrepublik und vor allem im nahen Osten, der seit der Besetzung Palästinas durch die Juden schon immer ein Pulverfass war. Dazu waren die Auseinandersetzungen gekommen, die zwischen Schiiten und Sunniten und radikalen Gotteskriegern geführt wurden.In solche Geschehnisse konnte Josefina nicht eingreifen. Sie konnte an die Vernunft appellieren, aber in militärischen Konflikten, in denen es um Rohstoffe, Verkehrswege, um Wasser oder um politische Macht geht, da sind Patriotismus und Fanatismus gefragt, nicht aber kluge Entscheidungen zum Überleben der Spezies. So wurden ganze Regionen vermint, andere mit Giftgas verseucht oder mit tausenden von Granaten beschossen. Die Zivilbevölkerung war immer der Leidtragende, und auch die Natur, von der in solchen Konflikten niemand mehr sprach.Immerhin war es Josefina gelungen, über ihre Kontakte in der UN solche Kriege zu ächten, aber was nutzte das schon, wenn sich einzelne Länder nicht an solche Abmachungen hielten.
12.
Josefinas Stiftungen dienten der privaten Bereicherung, der Steuerhinterziehung und der Geldwäsche, aber eben nicht nur, und genau dieses Engagement für die Umwelt hatte Josefina öffentlich immer wieder und wieder unter Beweis gestellt. Sie bediente sich dabei geschickt der Medien. Einer ihrer ersten großen Erfolge war damals die Rettung des Tasmanischen Teufels vor dem Aussterben gewesen. Das ist eigentlich ein Raubtier, das vorwiegend von Aas lebt, und das nur noch auf der Australien vorgelagerten Insel Tasmanien beheimatet ist. Es gab keine natürlichen Feinde, aber der Bestand war durch eine Krankheit ernsthaft gefährdet, die mit DFTD abgekürzt wird. Das ist eine Krebserkrankung, die genetische Veränderungen hervorruft und letztlich durch den fortwährenden Inzest dieser isoliert auftretenden Spezies ausgelöst wurde. Nun sorgt dieses Tier aus der Familie der Raubbeutler für ein Gleichgewicht innerhalb der verschiedenen Spezies auf der immerhin 300x300 Km großen Insel und es ist zugleich das Wappentier Tasmaniens. Bereits im Jahr 2012 hatte Josefina erstmals die Forschungen einer amerikanischen Forscherin unterstützt, einer Dr. Mary Goldmann. Damals hatte Rudolfo noch gelebt. Im Zuge der Untersuchungen hatte Marys Team aus Biologen und Ärzten herausgefunden, dass man diese Krankheit durch Veränderungen des genetischen Codes besiegen konnte. Man muss das hier nicht vertiefen, aber nachdem der Bestand 2025 auf wenige gesunde Überlebende geschrumpft war, gelang es diese Krankheit zu überwinden. Seit dieser Zeit war der Bestand wieder regelmäßig angewachsen.