Gottes „Verstandeslicht“ erhellt die Welt
Natürlich geht es in der Theologie um mehr als um Erkennen und Wissen. Es geht um das letzte Glück des Menschen, um die Leidenschaft für Gott, die Verstand und Willen mitreißt. Aber lieben kann man nur, was man kennt. Darum nimmt Albert die Ansätze begeistert auf, mit denen der große Aristoteles bereits von einer mündigen Welt spricht und von der Eigengesetzlichkeit der Naturvorgänge.
Als Albert beschloss, sein Bild von der Welt nicht auf das Studium antiker Gewährsleute zu gründen, sondern auf die eigene Erfahrung, setzte er sich damit in Gegensatz zu allen Naturkundigen seiner Zeit. „Das Experiment allein gibt Gewissheit“, hieß sein Motto. „Ein Grundsatz, der vom praktischen Versuch nicht bestätigt wird, ist kein Grundsatz.“ Und: „Es ist nicht genug, zu sagen, das geschieht durch ein Wunder. Wir müssen Rechenschaft geben!“
Deshalb war sich der gefeierte Professor Albert nicht zu schade, eigenhändig das Auge eines Maulwurfs zu sezieren oder durch eigene Geschmackstests herauszufinden, wo der Saft der Bäume am bittersten ist: in der Wurzel nämlich. Deshalb unternahm er ausgedehnte Studienreisen, um in Bergwerken Metalle zu analysieren. In einer Zeit, als den Menschen die ungerodete Natur noch als finstere Bedrohung erschien, staunte Albert, der prächtigste Dom sei im Vergleich zu einem majestätischen Tannenwald doch nur ein wüster Steinhaufen.
Gott ist in der Welt durch Zeichen seiner Gegenwart. Da nämlich der Schöpfer kraft Vernunft und Verstand alles schuf, ist er in der Welt, weil er darin Zeichen seines Verstandeslichtes zurückgelassen hat.“
Die Liebe zur Erde trieb ihm nicht die Sehnsucht nach dem Himmel aus – im Gegenteil. Das eigentliche Wunder war ihm nicht ein spektakuläres Eingreifen Gottes in die natürlichen Abläufe, sondern das ganz alltägliche Funktionieren der Natur nach den sinnvollen Gesetzen, die der Schöpfer in sie hineingelegt hat und die von der menschlichen Vernunft zu erforschen sind.
Der erhabene Gott regiert die Naturdinge und leitet sie durch natürliche Ursachen, und diese suchen wir hier, weil wir die göttlichen – uns nicht so nahe – nicht so leicht finden können.“
Die Natur erhält ihren eigenen Wert zurück – und wird damit entzaubert. Die Menschen haben sie gefürchtet und zum Geisterreich erklärt; jetzt dürfen sie die Natur als Kreatur Gottes, des einzigen Herrn über alle Dinge, bewundern und lieben. Ein Leben lang hat Albert seine Umwelt mit einer fast besessenen Leidenschaft beobachtet. Auch noch, als er in Köln die erste deutsche Hochschule aufbaute und bald darauf zum Provinzial der deutschen Dominikaner gewählt wurde.
Albertus war damals schon ein Sechziger, aber wie ein Wandermönch zog er von Kloster zu Kloster, durch halb Europa: Polen, Frankreich, die Schweiz, die Niederlande, immer zu Fuß. Auf Landstraßen und Ackerwegen, an Flussufern und Meeresstränden machte er epochale Beobachtungen. Als erster Zoologe beschrieb er den Zug der Krähen und die Lebensgewohnheiten von Wiesel, Marder und Haselmaus. Er wusste, dass Spechte von Larven leben, die sie aus der Baumrinde heraushacken, und dass der Uhu eine seiner Zehen nach Lust und Laune vor- und rückwärts bewegen kann. Eigenhändig untersuchte Meister Albert das Verdauungssystem der Bienen; er entdeckte den Bauchnervenstrang bei den Insekten.
Gelehrtes Genie und armer Bettelmönch
Doch „will man fragen nach den tiefsten Geheimnissen Gottes“, mahnte er seine Professorenkollegen, „so frage man nach dem ärmsten Menschen, der mit Freude arm ist aus Liebe zu Gott; der weiß von den Geheimnissen Gottes mehr als der weiseste Gelehrte.“ Ein Mensch, der seinem Nächsten in seinem Leid zu Hilfe komme, soll Albert einmal gesagt haben, handle besser als jemand, der auf dem Pilgerweg von Schwaben bis Rom bei jedem Meilenstein ein Münster aus reinem Gold errichten würde. Denn Jesus Christus sei nicht um einer Kathedrale willen gestorben, sondern für den Menschen.
Fromm wie ein Kind, bedürfnislos wie ein Eremit, lebte der international geschätzte Wissenschaftspionier das arme Leben eines Bettelmönchs. Unerbittlich kämpfte er gegen klerikale Machtpolitik und Habgier. Einem Kölner Prälaten, der ihm stolz berichtete, die römische Kurie habe ihm den Besitz mehrerer einträglicher Pfründen gleichzeitig erlaubt, entgegnete er sarkastisch: „Jawohl, jetzt könnt Ihr mit Erlaubnis zur Hölle fahren!“ Im Dominikanerorden setzte der Provinzial Albertus sehr schmerzhafte Konkretisierungen des Armutsgelübdes durch.
Auf seine Initiative beschloss das Ordenskapitel, Dominikaner müssten in Zukunft beim Reisen auf einen Wagen verzichten und dürften sich ohne triftigen Grund auch nicht von einem Wagen mitnehmen lassen. Führende Ordensmitglieder, die gegen das Armutsgebot verstießen, wurden unnachsichtig bestraft oder sogar abgesetzt. Albert ging selbst mit gutem Beispiel voran: Seine Reisen durch Europa machte er grundsätzlich zu Fuß, unter härtesten Bedingungen, in sommerlicher Gluthitze, bei Eis und Schnee, ein armer Wandermönch.
Und das Verblüffendste: In den Marschpausen legte sich der erschöpfte Wanderer nicht etwa auf die faule Haut. Für ihn war das die Mußezeit zum Schreiben seiner hochgelehrten Abhandlungen über Ethik und Metaphysik, Logik, Mathematik, Zoologie und Botanik – vierzig Bände im Lexikonformat in der kritischen Neuausgabe. Dieses Riesenwerk, welches das gesamte Bildungsgut der damaligen Zeit ordnet, entstand in bescheidenen Herbergen und in den Gastzellen irgendwelcher Klöster. Machte man an der Landstraße Rast, so zog Albert gern eine Pergamenthandschrift mit Aristoteles-Texten aus seinem Bündel. Kam er in ein Kloster, durchforstete er regelmäßig die Bibliothek und schrieb sich aus Büchern, die er noch nicht kannte, in aller Eile die interessantesten Stellen ab.
Naturverliebt: Albertus Magnus
Natürlich geriet der unbestechliche Prophet einer armen Kirche oft genug in Konflikt mit den Machtinteressen besitzstarker Bischöfe und Kardinäle. Er führte eine offene Sprache, wenn es um die Sünden der Kirchenleitung ging, genoss an der römischen Kurie aber dennoch einen so guten Ruf, dass man den Siebenundsechzigjährigen 1260 plötzlich zum Bischof von Regensburg machte.
Ein Bischof als Finanzminister
Regensburg, das war damals ein ausgeplündertes, verrottetes Bistum, das niemand haben wollte. Alberts Vorgänger, ein gewisser Graf von Pietengau, hatte die Diözese mit skrupelloser Machtpolitik, Krieg und Mord zugrunde gerichtet. Ein Bettelmönch als neuer Bischof, als Reichsfürst – in einer auf Geld und Pomp versessenen Kirche mochte das durchaus als Signal zur Umkehr verstanden werden.
Ohne jeden Prunk zog er zu Fuß in seine Bischofsstadt ein. Er fand die Vorratsspeicher leer, dafür Schulden in astronomischer Höhe. „Nahrung für ihn und sein Gesinde gab es nicht“, berichtet ein Chronist schaudernd, „auch kein Futter für die Pferde. Es war nichts vorhanden, was auch nur den Wert von einem Ei gehabt hätte.“
Albert, das Multitalent, wurde auch mit dieser Herausforderung fertig. Der Naturforscher und Theologe verwandelte sich in einen Finanzminister. Er traf geschickte Maßnahmen zur Haushaltssanierung; binnen eines Jahres war das Bistum tatsächlich schuldenfrei. Die Menschen dankten es ihm nicht. Die einfachen Leute zeigten sich enttäuscht von dem Hungerleider auf dem Bischofsthron, der ihnen das Schauspiel der Prachtentfaltung vorenthielt und auf alle Zeichen seiner Würde verzichtete.
Bisher hatte man im Gefolge des Bischofs prunkvoll aufgeputzte Rösser bewundern können. Albert aber pflegte zu Fuß durch seine Diözese zu marschieren. Ein Esel trug die Gewänder für den Gottesdienst. Unangemeldet tauchte er zur Visitation auf, leitete eine Klosterreform ein, suchte sich qualifizierte Laien zur Verwaltung der Bistumsfinanzen.
Von seinen Predigten aber zeigten sich die Menschen fasziniert. Albert fing das ausgesprochen geschickt an: Er ließ seine wichtigsten