Christian Feldmann

Bayerische Charakterköpfe


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Herzogin zu sein angab“, und dass sie erklärte, „dass sein Sohn ihr Gemahl sei und sie mit keinem anderen eine Ehe eingehen wollte“.

      Damit habe sich die unbeugsame Frau in den Augen ihrer Verfolger „an der Weltordnung versündigt“, fasst der Bernauer-Forscher Werner Schäfer zusammen und zitiert den Chronisten Clemens Sander: „Da sie nun durch den Henker gebunden war, um ins Wasser geworfen zu werden, sagte der Henker zu ihr, wenn sie frei bekennen wolle, dass Herzog Albrecht nicht ihr Ehemann sei, so wolle er sie nicht töten, sondern frei gehen lassen. Das wollte sie nicht tun, sondern sie sagte frei, er sei ihr ehelicher Gatte. Darum hat sie ertränkt werden müssen.“

       32 000 Ave Maria wider den Bürgerkrieg

      Albrecht reagierte auf den schlecht bemäntelten Mord zunächst mit blinder Wut und Putschplänen gegen den Vater. In München bestellte der Rat bei den Armen im Heiliggeistspital und bei den Klosterschwestern „32 000 Ave Maria“ – gegen großzügige Geld- und Weinspenden, versteht sich –, um den drohenden Familien- und Bürgerkrieg abzuwenden. Irgendwann siegte aber dann offenbar die Staatsraison; Vater und Sohn versöhnten sich, Albrecht heiratete brav und standesgemäß die sechzehnjährige Herzogstochter Anna aus Braunschweig. Seine Tochter Sibylla aus der Verbindung mit Agnes wuchs wohlversorgt auf, und Herzog Ernst stiftete reumütig eine wunderschöne Grabkapelle für Agnes im Straubinger Friedhof St. Peter, einem idyllischen Kirchhof mit romanischer Kirche und spätgotischem Karner.

      Später ließ Albrecht seine Agnes in das Straubinger Karmelitenkloster überführen, wo ihr Grab angeblich vor einem knappen Jahrhundert im Kreuzgang wiederentdeckt wurde; der Fund wurde geheim gehalten, um keinen aufrührerischen Kult entstehen zu lassen.

      Volkslieder, Dramen, Musikwerke hielten das Andenken an die Bernauerin lebendig. „Was vom Geschick bestimmt, getrennt zu bleiben, beglückend wird’s hienieden nie vereint“, reimte melancholisch der kunstsinnige Bayernkönig Ludwig I., „in das Verderben immer muss es treiben, wenn’s gleich im Augenblick besel’gend scheint.“ Otto Ludwig, Friedrich Hebbel, in jüngster Zeit Franz Xaver Kroetz brachten das traurige Geschehen auf die Theaterbühne; Carl Orff widmete der unglücklichen Herzogin ein „bairisches Stück“ mit atemlosen Stakkato-Texten und den archaischen Klängen von Trommeln, Becken, Pauken und Holzratschen; Michael Boisrond ließ das Liebespaar in seinem Episodenfilm „Les amours célèbres“ von Brigitte Bardot und Alain Delon verkörpern, das Drehbuch schrieb Jacques Prévert.

      Das sehr heroische Freilichtspiel aus der Feder des völkischen Dichters Eugen Hubrich (1935) ist seither durch mehrere Neubearbeitungen ersetzt worden, die alle sachlicher und doch anrührend klingen. Alle vier Jahre werden das kurze Glück und der bittere Tod der Bernauerin im Straubinger Herzogsschloss mit zweihundert Laiendarstellern in historischen Kostümen in Szene gesetzt, und es kommen bis zu zwanzigtausend Zuschauer.

      Der Herzog ist mein

      Und ich bin sein;

      Sind wir gar treu versprochen, ja versprochen.

      Bernauerin auf dem Wasser schwamm,

      Maria Mutter Gottes hat sie gerufet an,

      Sollt’ ihr aus dieser Not helfen, ja helfen.

      (…) Es stund kaum an den dritten Tag,

      Dem Herzog kam eine traurige Klag:

      Bernauerin ist ertrunken, ja ertrunken.

      Auf rufet mir alle Fischer daher,

      Sie sollen fischen bis in das rote Meer,

      Dass sie mein feines Lieb suchen, ja suchen.

      (…) So wollen wir stiften eine ewige Mess,

      Dass man der Bernauerin nicht vergess,

      Man wolle für sie beten, ja beten.“

       Lied von der schönen Bernauerin, Autor und Entstehungsdatum unbekannt

       „Das Herz, das ist ein Taubenhaus: Ein Lieb’ fliegt ein, das andre aus“

       Schuhmacher und Poet dazu

      Wie es der fast noch mittelalterliche Volksdichter Hans Sachs (1494–1576) auf Richard Wagners Opernbühne schaffte

      Er war kein Avantgardist, sondern ein volkstümlicher Erfolgsautor, der Gedichte, Dramen und komische Bühnenstücke für ein bürgerliches Stadtpublikum machte und dessen Geschmack treffen wollte. Er verzichtete auf schneidende Kritik und boshafte Satire, aus der großen Politik hielt er sich heraus, er zeichnete die behäbigen Bürger, klatschsüchtigen Hausfrauen und dummstolzen Bauern seiner Umgebung mit gutmütigem Spott und einer stillen Liebe. Die Bilanz seines Schaffens ist gewaltig: 4000 „Meisterlieder“, 180 Spruchgedichte, 126 Schauspiele, 85 Fastnachtsstücke.

      Sein Lebensmittelpunkt war Nürnberg, damals eine richtige Metropole mit 50 000 Einwohnern, kulturelles und wirtschaftliches Zentrum Süddeutschlands, Drehscheibe des Fernhandels, von Patriziern regiert. Hier wurde er 1494 geboren.

      Acht und zwaintzig fünff hundert Gassen, hundert sechzehen schöpffbrunnen, zwölf rörbrunnen, zwei thürlein und sechs grosse thor, eylff stayner brücken, zehen geordnete märkte, dreyzehen gemein badstuben“

       Hans Sachs über Nürnberg

      Sein Vater, aus Zwickau zugewandert, war zwar nur ein Schneidermeister, aber so tüchtig, dass er bald reich wurde und seinem Sohn den Besuch der Lateinschule finanzieren und zur Hochzeit ein Haus samt Werkstatt im Herzen Nürnbergs schenken konnte. Da war Hans Sachs bereits von seinen Wanderjahren durch Bayern, Österreich und den Westen und Norden Deutschlands zurückgekehrt (Kaiser Maximilian I. soll ihn am Innsbrucker Hof kurzzeitig in seine Dienste genommen haben, und er besuchte Singschulen an verschiedenen Orten). 1520 erwarb er den Meisterbrief als Schuhmacher.

       Auftrag von der Kunstgöttin

      Als Handwerksmeister soll er sehr fleißig gewesen sein, aber auch als Poet muss er hart gearbeitet haben: Vierunddreißig dicke Bände umfassen seine gesammelten Werke, Meisterlieder, Spruchgedichte, Fastnachtsspiele, Tragödien, Fabeln, Dialoge, alles eigenhändig aufgeschrieben und nach seinen Anweisungen schön gebunden und mit einem nach Inhalten und Formen geordneten Generalregister ausgestattet. Er hat wie ein Besessener gelesen, antike Mythen, Legenden, volkstümliche Überlieferungen, politische und religiöse Tagesneuigkeiten, und aus allem ein Gedicht oder ein Drama gemacht. Mehr als tausend Bücher soll seine Bibliothek umfasst haben. Er selbst berief sich auf eine „Kunstgöttin“, die ihm den Auftrag erteilt habe, das Leben poetisch abzubilden:

      Zu straff der laster,

      lob der tugendt,

      Zu lehre der blüenden jugendt,

      Zu ergetzung trawriger gmüt.“

      Seine Figuren sind aus dem Volk genommen, sie fühlen wie das Volk, reden wie das Volk – in Sprichwörtern und einprägsamen Bildern – und haben das Volk wohl auch deshalb so fasziniert. Dabei nimmt den Löwenanteil seiner Werke der Meistergesang ein, ein eigenartiges Kunstprodukt, das komplizierten Regeln folgt und von der Alltagssprache ebenso weit entfernt ist wie von den Liedern, die in der Küche und auf der Straße geträllert wurden: Die exklusive Zunft der Nürnberger Meistersinger ermunterte die Handwerker zum Dichten und Singen, sah ihnen aber auch streng auf die Finger und überwachte die althergebrachten Regeln von Melodik, Reim und Metrik – war der bürgerliche Meistergesang