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Mord in Switzerland


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alle in Weiss. Daneben seine Anzüge, graue, dunkelblaue und schwarze. Besonders experimentierfreudig war er noch nie gewesen, was Farben betraf. Auch sonst nicht. Er hatte keine Hobbies – ausser Kegeln und einmal im Jahr Angeln am Ägerisee –, keine Leidenschaften, geschweige denn Charaktertiefe, die zu erkunden sich lohnte. Wenn sie ihm heute abend erzählte, was sie erlebt hatte, würde ihn womöglich eine Herzattacke dahinraffen.

      Julia starrte auf den Eindringling, der die Anzüge auf der Stange zur Seite schob. «Falls Sie ein Fetischist sind», sagte sie, «meine Kleider sind nebenan. Möchten Sie lieber BHs oder Höschen?» Vielleicht konnte sie ihn mit ein paar alten Fetzen abspeisen, so dass er wieder abhaute, ohne sie weiter zu belästigen.

      «Behalten Sie Ihren Kram», nuschelte er in seinen Bart, während er die hintere Wand des Schrankes abklopfte. Er nahm einen Schraubenzieher aus seiner Jackentasche und begann, die Rückwand zu lösen.

      Julia wunderte sich über gar nichts mehr.

      Er drehte an den Schrauben herum, fluchte, als er abrutschte, dann warf er die erste in hohem Bogen hinter sich. Die zweite und die dritte folgten, die Rückwand wurde instabil, weitere Schrauben flogen auf den Teppich. Dann war er fertig. Er packte die Schrankrückwand, zerrte sie an Hardys Kleidern vorbei und stellte sie ans Fenster.

      Neugierig guckte Julia in die Öffnung. Es war kohlschwarz dahinter. Staubfusseln stoben heraus, es roch nach Gips und Mörtel.

      Der Mann hustete und beugte sich ins Innere. Er zündete eine Taschenlampe an und beleuchtete den Hohlraum, der sich hinter dem Schrank aufgetan hatte.

      Julia lugte über seinen Kopf, konnte aber nichts erkennen. Zu gern hätte sie gewusst, was sich dort verbarg. Doch ihre aktuelle Lage liess ihr keine Bewegungsfreiheit. Der Einbrecher ging enorm selbstbewusst ans Werk; sie zweifelte keine Sekunde daran, dass er wusste, was er tat.

      «Sie haben früher in dieser Wohnung gelebt?», fragte sie möglichst unverbindlich.

      «Schnauze.» Seine Stimme klang gedämpft, während er irgendwo im Schein der Lampe hantierte.

      «Sie haben etwas versteckt und möchten es wieder?», machte sie weiter. «Drogen? Waffen? Plutonium?»

      Es rumpelte und knarrte, weitere Fusseln segelten heraus, der Mann nieste.

      «Gesundheit», sagte Julia höflich.

      Ein undeutliches Brummen kam zurück. Dann hievte er einen schweren Gegenstand heraus, stöhnte, als er sich den Kopf anschlug und wuchtete das Teil auf den Boden. Es war eine hölzerne Truhe voller Staub, Mauerbrocken und Mäusekötel. Er fegte den Dreck mit der Hand auf den Teppich, was Julia ein entrüstetes Schnaufen entlockte.

      Doch sie wollte es nicht verderben mit ihm. «Kann ich Ihnen helfen? Möchten Sie die Kiste öffnen?»

      «Lady, Sie sind mit Handschellen gefesselt. Sie werden mir bei gar nichts helfen.»

      Julia lächelte ihn zuvorkommend an. «Das muss aber nicht so bleiben.»

      Er verdrehte die Augen, beugte sich nochmals in den Schrank – und verschwand komplett darin. Der Hohlraum musste grösser sein als vermutet. Nun, da Julia allein im Zimmer zurückgeblieben war, rüttelte sie kräftiger am Bettpfosten und versuchte, sich zu befreien. Als das nichts nützte, erinnerte sie sich wieder an den Streit, den sie und Hardy gehabt hatten, als sie das neue Bett kauften. Sie fand das goldene Röhrengestell von Anfang an potthässlich – er bestand darauf. Natürlich war es nicht mal echtes Gold, sondern eine kitschige Nachahmung. Sie entsann sich der beiden Gewindeteile, die man hatte zusammenfügen müssen. Als gute Hausfrau wusste sie, dass alles, was ineinandergeschraubt wurde, auch wieder auseinandergedreht werden konnte. Hastig suchte sie die Rille, wo beide Teile aufeinandertrafen. Sie drückte, ruckelte und drehte. Das Verbindungsteil lockerte sich. Sie schraubte es weiter auf, bis es sich vom Hauptteil löste. Sie fuhr mit der Handschelle daran entlang – und war frei.

      Etwas purzelte zu Boden. Als sie sah, was es war, riss sie die Augen auf. Mitten auf dem Teppich – soeben aus den Innereien des Bettgestells gerutscht – lag eine lange, dünne Stichwaffe. Ein Stilett.

      «Nanu?», machte Julia. «Wie ist das denn hier reingekommen?»

      Sie nahm die Waffe in die Hand und wendete sie hin und her. Ein schönes Stück. Der Griff war schwarz, die Klinge scharf und silbern.

      Ein Fabrikationsfehler der Bettenfirma? Ein Kinderstreich ihrer Töchter? Oder etwas Schlimmeres? Sie dachte kurz an ihren Mann, dann schüttelte sie den Kopf. «Hardy und Geheimnisse? Niemals!»

      Aus dem verschlossenen Zimmer konnte sie nicht flüchten. Blieb nur noch, das Fenster zur Strasse zu öffnen und laut zu schreien. Allerdings hatte der Kerl gedroht, ihr das nicht allzu grosse Hirn aus dem Kopf zu blasen. Darum liess sie das mit dem Schreien sein und machte sich daran, den Inhalt der Truhe zu erkunden.

      Der Deckel war nicht verschlossen. Sie stemmte ihn hoch – und stiess einen kleinen, spitzen Schrei aus. Dicke Geldbündel lagen darin. Tausende von Euroscheinen, Dollars und englischen Pfund. Daneben zwei Pistolen, eine Schachtel Munition und etwa zwanzig Pässe und Identitätskarten, die mit einem Gummiband zusammengehalten wurden. Julia löste es und schaute sich die Ausweise an. Es waren Pässe aus Deutschland, Grossbritannien, Italien und den USA, einer stammte aus Puerto Rico, einer aus dem Libanon. Jeder lautete auf einen anderen Namen.

      Und jeder zeigte das Bild ihres Mannes.

      «Hardy!», entfuhr es ihr. «Was soll das?»

      Aus dem Hohlraum war ein Poltern zu hören.

      Schnell warf Julia die Pässe wieder in die Kiste zurück. Sie hechtete zum Bett, grabschte nach dem Stilett und hielt es hinter ihren Rücken, als sei sie noch immer ans Gestell gekettet. Der Mann kletterte ächzend aus dem Schrank. Er schleppte eine weitere Kiste heran und grinste zufrieden.

      «Sind Sie fündig geworden?», fragte sie.

      «Hab lange genug auf diesen Moment gewartet», antwortete er leutselig. Ein Stück seines falschen Bartes hing von seiner Wange, das rasierte Kinn kam darunter zum Vorschein. «Ihr Mann ist nicht der, für den Sie ihn halten.»

      «Tatsächlich?» Sie umklammerte eisern den Griff ihrer Waffe.

      «Jetzt, da ich Gewissheit habe, dass er der Abtrünnige ist, den ich gesucht habe, muss ich ihn leider aus dem Verkehr ziehen. Und Sie auch. Das verstehen Sie sicher, nicht wahr?»

      «Aber selbstverständlich», pflichtete sie ihm bei. «Sie sind vom Geheimdienst?»

      Er nickte anerkennend. «Wie haben Sie das erraten?»

      «Ach.» Sie winkte bescheiden ab. «Hausfrauenintuition.»

      «Ich tue es nicht gern, glauben Sie mir», fuhr der Agent fort. «Aber es muss sein.» Er fuhr langsam mit der Hand zum Gürtel hinunter und wollte nach der Pistole greifen.

      Das war der Moment, da Julias schlummernde Amazone zum Einsatz kam. Sie schnellte hervor, warf sich auf ihn und bohrte ihm das Stilett ins Herz. Es fuhr so leicht durch seinen Körper, als wäre er aus Butter. Der Mann erstarrte, blieb mit erstaunt aufgerissenen Augen stehen. Dann zog er die Stichwaffe zwischen seinen Rippen hervor. Ein Schwall Blut strömte aus der Wunde. Das Stilett fiel ihm aus der Hand, er röchelte, seine Beine knickten ein. Sein Kopf schlug auf dem Boden auf.

      Julia wartete in sicherer Entfernung. Sie betrachtete seinen Brustkorb, der sich noch ein paarmal hob und senkte, kurz darauf hatte der Spion sein Leben ausgehaucht. Genau genommen war das kein Mord, nicht mal vorsätzliche Tötung, sondern Notwehr. Eigentlich schade. Als Mörderin wäre sie Al Capone irgendwie näher gewesen. Kurzerhand deklarierte Julia ihre Tat innerlich als kaltblütigen Mord. Das fühlte sich schon viel besser an.

      Nun hatte sie viel zu tun. Als Erstes suchte sie den Schlüssel zur Handschelle, die noch immer an ihrem rechten Handgelenk baumelte, fand ihn und befreite sich von dem Teil. Schwungvoll warf sie es in den Schrank. Dann öffnete sie begierig die zweite Truhe.

      Akten lagen darin, unzählige