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Mord in Switzerland


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Köchli schluckte leer. So hiess der Chefarzt der Klinik, wie er von Tobias Kaufmann vernommen hatte. Da Köchli zudem von seinem Innerrhoder Kollegen erfahren hatte, dass Doktor Hiestand seit kurzem in Stein wohnte und demnach in seine Zuständigkeit fiel, fühlte er sich geradezu zur Detektivarbeit gedrängt. Was lag näher, als dass es sich auch bei jenem Brief um eine Kündigung handelte? Köchli lächelte bei dem Gedanken, wie er das Gespräch mit dem Arzt beginnen würde, ohne zu einer Lüge Zuflucht suchen zu müssen. Es bliebe diesem nichts anderes übrig, als die Wahrheit zu sagen. Und sollte Köchlis Vermutung zutreffen, hätte Hiestand auch zu erklären, weshalb er Kaufmann gegenüber Angerers Kündigung verschwiegen hatte.

      Zur vereinbarten Zeit – es war früher Nachmittag – läutete Wachtmeister Köchli an der Tür des Einfamilienhauses in Stein. Offensichtlich war es gerade erst fertiggestellt worden, die Gartenarbeiten waren noch im Gang. Drinnen begann ein Hund zu bellen, und kurz darauf öffnete Frau Hiestand die Tür, begrüsste Köchli und liess ihn eintreten. Dabei hielt sie den heftig wedelnden Tibet Terrier – Köchli hielt ihn für einen Mischling – am Halsband zurück. Gewiss der Einzige, der hier Freude über mein Kommen zeigt, ging es dem Wachtmeister durch den Kopf. Einen Moment später trat der Hausherr hinzu. Doktor Hiestand, eher kleingewachsen, mit Stirnglatze und Brille – Köchli schätzte ihn auf fünfzig –, bat den Polizeibeamten ins Zimmer, aus dem er gerade gekommen war. Die Bücherwand wies es als Arbeitsraum aus.

      «Bring uns doch bitte einen Kaffee», sagte er zu seiner Frau. Und zu Köchli gewandt: «Sie nehmen doch auch einen?»

      «Gern.»

      «Kommen wir also zur Sache», begann der Arzt, nachdem er dem Gast einen Stuhl angeboten hatte. «Wie ich Sie verstehe, geht es nochmals um den Unfall von Philipp Angerer.»

      «Als wir seine Wohnung durchgesehen haben, sind wir auf ein Kündigungsschreiben gestossen.» Das betretene Schweigen seines Gegenübers bestätigte Köchli in seiner Vermutung.

      «So ist es.» Nach einer weiteren Pause fügte Doktor Hiestand hinzu: «Dann wissen Sie auch, dass er in dem Brief keinen Grund für die Kündigung genannt hat.»

      Köchli überlegte schnell, ob er zugeben sollte, dass er den Inhalt des Briefes nicht kannte. Er verzichtete darauf. «Sie haben doch gewiss mit ihm über den Grund seines Entschlusses gesprochen?»

      «Noch nicht.»

      «Das wundert mich aber. Er war schliesslich …»

      Ein Klopfen an der Tür liess Köchli innehalten. Frau Hiestand brachte ein Tablett mit dem Kaffee. Sie stellte es zwischen den Männern ab. «Bitte bedienen Sie sich», sagte sie zu Köchli, «hier sind Rahm und Zucker.»

      Während der Polizeibeamte etwas Rahm in seinen Kaffee goss, sagte der Chefarzt: «Natürlich hatte ich vor, mit Philipp zu sprechen, doch die Gelegenheit dazu hat sich noch nicht ergeben. Und jetzt …» Hiestand zuckte die Schultern.

      … ist es zu spät, vervollständigte Köchli in Gedanken den abgebrochenen Satz. «Ist etwas Bestimmtes vorgefallen, das Doktor Angerer zur Kündigung veranlasst haben könnte?»

      «Nichts, das mir bekannt ist.»

      Nach einer Pause, in der beide ihre Tassen zum Mund führten, sagte Köchli: «Mich erstaunt nur, dass Sie meinem Kollegen Kaufmann gegenüber diese Kündigung nicht erwähnt haben.»

      «Ich kann mir keinen Zusammenhang mit dem Unfall vorstellen», entgegnete Doktor Hiestand kopfschüttelnd.

      «So kennen wir also weder den Grund für seine Kündigung noch den für seinen Unfall.» Köchli sprach dies leise vor sich hin, so, als wäre es nur ein ausgesprochener Gedanke.

      «Philipp Angerer soll kürzlich gesagt haben, er wäre wohl besser in Afrika geblieben. Ich musste demnach in Betracht ziehen, dass er vorhatte, dorthin zurückzukehren.»

      «Den Grund für diese Bemerkung kennen Sie nicht.»

      «Nein!»

      «Ich verstehe, und Sie verstehen gewiss, dass ich jeder Spur nachgehe. Und dass Doktor Angerer bei dem Unfall einem Tier ausgewichen ist, wie auch schon vermutet wurde, ziehe ich erst in Betracht, wenn alle andern möglichen Ursachen ausgeschlossen sind.»

      Auf der Rückfahrt machte sich Köchli Gedanken über das, was er von Doktor Hiestand erfahren hatte. Dass dieser nach der Kündigung nicht gleich mit seinem Mitarbeiter gesprochen hatte, machte ihn stutzig. Und die Vermutung, dieser könnte nach Afrika zurückkehren wollen, klang für ihn doch zu sehr nach Ausrede. Beim Posten in Teufen angekommen, erhielt Köchli den Bescheid, Kollege Kaufmann aus Appenzell habe ihn gesucht und um Rückruf gebeten.

      Gleich nach der Begrüssung kam Kaufmann zur Sache. «Es dürfte dich interessieren, was ich gerade von meiner Nichte erfahren habe. Pia macht eine Ausbildung zur Physiotherapeutin und arbeitet zurzeit in der Klinik Schönbüchel.»

      «Oh! Insiderwissen kann immer nützlich sein.» Köchlis Interesse war nicht zu überhören.

      «Sie hat mich angerufen, nachdem sie, zufällig, wie sie sagt, von meinem Besuch gehört hat. Und nach einer Bemerkung der Chefsekretärin wusste sie auch, in welcher Angelegenheit ich dort war.»

      «Ich höre.»

      «Pia hat mir mitgeteilt, es gebe seit kurzem ein Gerücht, das Doktor Angerer betrifft. Er soll sich der Krankengymnastin gegenüber ungebührlich verhalten haben. Nach Pia sind die beiden zuvor freundschaftlich miteinander umgegangen, auch privat. Sie selbst habe sie einmal zusammen in einem asiatischen Lokal in St. Gallen gesehen, wo sie sich offensichtlich sehr gut unterhalten hätten.»

      «Weisst du, wie diese Frau heisst?»

      «Moment», sagte Kaufmann. «Ich habe mir den Namen notiert.» Und nach einigen Augenblicken: «Da. Ich hab’s: Anina Wagner.»

      Köchli wiederholte den Namen leise, während er ihn notierte.

      «Sie soll zwei Wochen in der Toskana zugebracht haben. Auf Einladung eines reichen Patienten, wie gemunkelt wird, der dort eine Villa besitzt. Nach ihrer Rückkehr sei sie Doktor Angerer ausgewichen, ja, sie habe ihn kaum mehr gegrüsst. Und daraufhin sei das erwähnte Gerücht aufgekommen.»

      «Ein Gerücht nennt es Pia. Das heisst, sie selbst zweifelt an der Anschuldigung?»

      «So ist es. Sie schliesst ein solches Verhalten des Arztes aus, und dabei sei sie nicht die einzige. Doktor Angerer habe sich jedem gegenüber stets zuvorkommend gezeigt. Die Art dieser Frau Wagner dagegen sei von überschwenglicher Freundlichkeit, wobei, wie Pia es sieht, viel Schauspielerei dabei sein muss, denn hintenherum töne es oft anders. Ihre Unterstellung habe den Doktor ernst werden lassen. Seine üblichen lustigen Bemerkungen seien danach ausgeblieben.»

      «Das heisst nichts anderes, als dass die Atmosphäre im Haus vergiftet war», warf Köchli ein.

      «Kann man wohl sagen. Auf meine Frage, ob Doktor Hiestand diese Verstimmung mitbekommen habe, meinte Pia, dass sie das annehme. Zumal er kürzlich bei der Klinikfeier keinen Grund für Angerers Abwesenheit angegeben habe. Sie fand das sonderbar.»

      «Passt irgendwie ins Bild. Denn nicht nur das hat der Chefarzt verschwiegen. Seit einer Stunde weiss ich, dass er dir gegenüber auch Angerers Kündigung unerwähnt liess.»

      «Was!» Erstaunen lag in Kaufmanns Ausruf. «Aha, so ist das!»

      «Ja, so ist das. Er hat wohl geglaubt, dass diese Angelegenheit mit dem Tod des Kollegen vom Tisch ist.»

      «Und weisst du, warum Angerer gekündigt hat?»

      «Eben nicht. Doch was du gerade berichtet hast, stimmt mich nachdenklich. An der ganzen Geschichte scheint etwas faul zu sein. Warum in aller Welt verheimlicht dieser Doktor Hiestand solch klare Fakten?»

      «Könnte das mit dieser Anina Wagner zu tun haben? Übrigens hat Pia gesagt, sie könne mir ein Foto von der Frau geben, falls ich es wünsche.»

      «Könnte nützlich sein», meinte