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Mord in Switzerland


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Du weisst, der Todesfall bei Gais wurde inzwischen als Unfall mit unbekannter Ursache klassiert. Und es gehört nicht zu meinen Pflichten herauszufinden, was genau dahintersteckt. Doch es interessiert mich nun mal persönlich, da ich den Mann gekannt habe. Für deine Information bin ich dir jedenfalls dankbar. Ich habe keine Ahnung, ob ich der Sache damit auf die Spur komme. Sollte sich aber etwas ergeben, was über eine Vermutung hinausgeht, werde ich dich informieren. Ich würde es übrigens schätzen, wenn du unser Gespräch vertraulich behandeltest.»

      «Aber klar. Übrigens, beim nächsten Fussballturnier stehe ich wieder auf der Gegenseite.»

      Lächelnd ob dieser Bemerkung legte Pirmin Köchli den Hörer auf. Und während er sich einige Notizen machte, fragte er sich, ob er Kollege Tobler in die neuesten Entwicklungen einweihen sollte. Da er Zweifel an dessen Verschwiegenheit hegte, liess er es. Er wollte nicht, dass seine Ermittlungen in dieser Sache bekannt wurden.

      Es war eine schlichte Feier auf dem Friedhof von Teufen. Viel mehr als zwei Dutzend Leute hatten sich nicht eingefunden. Wohl weil der Verstorbene noch nicht lange in der Gemeinde ansässig war, legte sich Köchli zurecht, der in sicherem Abstand die Menschen am Grab beobachtete. Er wollte das Aufkommen eines weiteren Gerüchts vermeiden. Der Bruder des Verstorbenen hielt gerade eine Ansprache. Einige Anwesende mochten Mitarbeitende der Privatklinik sein – er sah das Ehepaar Hiestand –, Anina Wagner befand sich, wie erwartet, nicht unter ihnen. Sie wäre Köchli aufgefallen. Er hatte inzwischen jene Aufnahme erhalten, die sie an Angerers Seite zeigte. Vermutlich aufgenommen bei einer früheren Klinikfeier, zu einer Zeit, in der sie sich sichtlich gut verstanden hatten: Die blauäugige Blondine suchte auf dem Bild unübersehbar die Nähe des Arztes.

      Unter den Trauernden war auch jene Frau, die sich vor Tagen von der Unfallstelle entfernt hatte. Köchli erhoffte sich von einem Gespräch mit ihr, mehr über Philipp Angerers Wesen zu erfahren. Ein zweites Mal mit Doktor Hiestand zu sprechen, hielt er trotz dessen fragwürdigem Verhalten für zwecklos. Offensichtlich war es dem Chefarzt entgegengekommen, dass sein Kollege beabsichtigt hatte, die Klinik zu verlassen. Dieses Wissen genügte Köchli vorerst.

      Am Samstagnachmittag der folgenden Woche kam es in einem Modegeschäft in der St. Galler Altstadt zu einer überraschenden Begegnung. Jene Frau, die Pirmin Köchli gern gesprochen hätte, deren Namen er aber nicht kannte, kam auf ihn zu, um nach seinem Wunsch zu fragen. Er hatte den Laden betreten, um sich nach einem Geburtstagsgeschenk für seine Frau umzuschauen. Während ihn Frau Heller – wie er auf ihrem Namensschild las – freundlich bediente und ihm nach einigen Fragen zu einem seidenen Halstuch riet, überlegte sich Köchli, wie er ihr nach dem Kauf auf zurückhaltende Weise sein Anliegen unterbreiten könnte.

      «Darf ich Sie noch etwas Persönliches fragen, Frau Heller», versuchte es Köchli, als sie das Geschenk einpackte, für das er etwas mehr ausgelegt hatte als geplant.

      «Wie Sie möchten», sagte Valerie Heller mit einem fragenden Lächeln.

      «Sie haben Doktor Angerer gut gekannt, nicht wahr?» Köchli sah, wie die Fröhlichkeit augenblicklich aus ihrem Gesicht wich. «Ich habe Sie an der Unfallstelle gesehen.»

      «Ja», sagte sie leise, «ziemlich gut.»

      Pirmin Köchli tat es leid, mit seiner Frage Traurigkeit in ihre dunklen Augen gebracht zu haben. «Köchli ist mein Name. Ich bin Polizeibeamter in Teufen und hatte mit dem Unfall zu tun. Eigentlich habe ich es noch immer. Daher möchte ich gern mit Ihnen über Philipp Angerer sprechen.»

      «Aber nicht hier.» Sie nahm ein weisses Taschentuch hervor – eines mit Spitzen, wie Köchli auffiel –, um die feucht gewordenen Augen abzutupfen.

      «Nein, natürlich nicht. Entschuldigen Sie bitte meine direkte Frage.»

      «Schon gut. Sie können mich anrufen. Ich wohne in Gais.»

      «Ich danke Ihnen.» Köchli streckte ihr zum Abschied die Hand hin.

      Mein Abstecher in die Stadt hat sich gelohnt, sagte sich der Polizeibeamte auf der Rückfahrt nach Teufen, und zwar in jeglicher Hinsicht. Und zum Bild, das man sich zwangsläufig von einem Menschen macht, kam die Erkenntnis, dass sich Doktor Angerer offensichtlich gern mit gutaussehenden Frauen abgegeben hatte.

      Am folgenden Donnerstagmorgen traf sich Köchli mit Valerie Heller zur vereinbarten Zeit im Café beim Gaiser Bahnhof. Sie setzten sich an einen Ecktisch, um ausser Hörweite der anderen Gäste zu sein.

      «Ich danke Ihnen, dass Sie bereit sind, mir Auskunft zu geben», begann Köchli das Gespräch.

      «Gern, wenn ich Ihnen damit behilflich sein kann.»

      Die junge Frau schien ihm gefasst. «Sie sind meine letzte Hoffnung, etwas Licht in diese unglückselige Angelegenheit zu bringen.»

      «Was möchten Sie denn wissen?»

      «Können Sie mir sagen, ob sich das Verhalten von Doktor Angerer in letzter Zeit verändert hat?»

      «Das kann man wohl so ausdrücken. Er litt sichtlich unter dem, was sich um ihn herum abspielte.»

      «Sie meinen die üble Nachrede, die, wie ich vernommen habe, von einer Klinik-Mitarbeiterin ausgegangen ist.» Auf ihr Nicken hin fragte Köchli: «Kennen Sie diese Frau Wagner?»

      «Nein, nicht wirklich. Ich habe sie mal kurz mit Philipp getroffen, als sie zusammen im ‹Falken› beim Essen waren.»

      «War sie seine Freundin?»

      «Nicht eigentlich. Sie hätten sich einfach gut verstanden, hat mir Philipp gesagt. Sie hätten die gleichen Interessen und deshalb gelegentlich etwas zusammen unternommen. Ich weiss von Theaterbesuchen. Weiter aber ging die Freundschaft nicht. Und wie ich Philipp verstand, war es beiden recht so.»

      «Konnte er sich erklären, was die Frau veranlasst hatte, plötzlich schlecht über ihn zu sprechen?»

      «Nein. Philipp meinte, sie müsse ein riesengrosses Problem mit sich herumtragen. Ein Problem mit sich selbst. Und nun könnte etwas vorgefallen sein, das sie nicht mehr habe verkraften können. Weil es aber nicht ihre Art sei, je die Schuld bei sich selbst zu suchen, sagte Philipp, müsse er wohl als Sündenbock herhalten. Dafür sprechen auch Unterstellungen, die offenbar weit zurückreichen, in eine Zeit, in der alles noch in Ordnung schien.»

      «Könnte das mit jenem Mann zu tun haben, der sie in die Toskana eingeladen hat?»

      «Das wissen Sie also auch schon. Es war Philipps Vermutung. Genaueres aber wollte er gar nicht wissen.»

      «Warum hat er nicht Klage wegen Rufschädigung eingereicht?»

      «Philipp meinte, das sei sinnlos, da Aussage gegen Aussage stände. Und wie er sie kannte, gehörte Ehrlichkeit nicht gerade zu ihren Stärken.»

      «Ich verstehe. Können Sie mir mehr über Doktor Angerer erzählen, über sein Wesen?»

      «Er war zuvorkommend. Zu jedermann. Immer hilfsbereit.»

      Als Valerie ihr Taschentuch hervornahm, das nach Köchli so gut zu ihrer eleganten Erscheinung passte, dachte er sich, dass sich so auch Angerers Einsatz in Äthiopien erklären liess.

      «Er war ein angenehmer Unterhalter», fuhr Valerie fort, nachdem sie sich eine Träne weggewischt hatte, «liebenswürdig, immer einen flotten Spruch auf den Lippen, der meist geistreich war, manchmal ironisch, aber gewiss nie verletzend. Nein, es ergibt einfach keinen Sinn, dass er dieser Frau gegenüber ausfällig geworden sein soll.»

      «Sie glaubten ihm vorbehaltlos?»

      «Absolut. Zudem hat diese Anina seine eindringlichen Bitten, sich doch mit ihm auszusprechen, ignoriert. Philipp ging immer von einem Missverständnis aus. Ihr Verhalten sagt doch genug aus?»

      «Wie ich Sie verstehe, haben diese Vorkommnisse Doktor Angerer zu schaffen gemacht.»

      «Er hat es zu überspielen versucht, doch die Folgen konnte er nur schwer ertragen. Solche Wunden heilen langsam, wenn überhaupt, weil sie immer wieder aufgerissen werden.