Kerstin Groeper

Im Eissturm der Amsel


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rufen, ging es ihm bereits wieder so gut, dass er reiten konnte. Kundschafter wurden in alle Richtungen ausgesandt, um die Ankunft der Bisons zu melden und damit den Beginn der Jagd zu verkünden. Die Zeremonien hatten etwas warten müssen, weil die Familien vier Tage um die Getöteten trauern mussten. Die herzerweichenden Schreie der Verwandten drangen durch das Dorf und erinnerten die Lebenden daran, wie schnell der Tod einen ereilen konnte. Die Leichen wurden aufgebahrt, und nach vier Tagen fanden sie ihre letzte Ruhestätte in den Hügeln und wurden mit Steinen bedeckt.

      Schließlich versammelten sich die Männer, um die Wana-sapa, die traditionelle Bisonjagd, durchzuführen. Eine riesige Herde war gesichtet worden und die Akicitas verhinderten mit eiserner Disziplin, dass jemand das Dorf vorzeitig verließ. Der gesamte Jagderfolg wurde gefährdet, wenn jemand gegen diese Regeln verstieß, und so waren die Akicitas nicht zimperlich. Besonders einige Knaben, die trotz aller Warnungen ihren Mut beweisen wollten, wurden von ihren Peitschen getroffen und in die Zelte der Eltern zurückgeführt. Obwohl die Jungen noch um ihre Freunde trauerten, schien der Angriff der Arikara schon vergessen zu sein.

      Wambli-luta versuchte indessen, seinen Bogen zu spannen, und musste einsehen, dass ihm dazu noch die Kraft fehlte. Also blieb es dem Vater überlassen, genügend Bisons für seine Familie zu schießen. Gebrochene-Lanze war zwar Wakincun, aber immer noch jung genug, die Waffe zu heben. Er hatte ein Gewehr, zog es jedoch vor, mit dem Bogen zur Bisonjagd zu gehen. Er setzte sich zu seinem Sohn, der bedrückt zu sein schien, weil er nicht teilnehmen konnte. „Du bist Tokala! Deine Aufgabe ist es, das Volk zu beschützen. Du bist der Erste im Kampf und der Letzte, der sich zurückzieht. Deshalb wurdest du verwundet! Das ist eine Ehre! Sorge dafür, dass du bald wieder kämpfen kannst, und ich sorge dafür, dass wir im Winter alle satt werden.“

      Wambli-luta nickte einsichtig. „Ich schütze das Volk!“ Er sah seinem Vater nach, der – nur mit einem Lendenschurz bekleidet – das Tipi verließ. Trotzdem wurmte es Wambli-luta, bei den Frauen, Kindern und alten Leuten bleiben zu müssen. Er massierte den verletzten Muskel am Arm und hoffte, dass er bald seine Stärke wiederfinden würde.

      Die nächsten Tage verbrachte er damit, zumindest über die Frauen und Mädchen zu wachen, die überall in der Nähe des Flusses an den Fellen arbeiteten, die sie am Boden festgepflockt hatten. Der Sommer war heiß, obwohl stets eine leichte Brise wehte. Die Jagd war gut gewesen, und überall standen Gerüste, an denen das Fleisch trocknete. Darunter brannten schwelende Feuer, um die Fliegen zu vertreiben. Der ewige Wind fegte über das Land und trocknete Fleisch und Beeren in kurzer Zeit. Auch der Vater hatte zwei junge Bisonkühe, einen Stier und ein Kälbchen geschossen, sodass die Familie gut versorgt war.

      Die Mutter wollte die Häute nutzen, um später das Tipi auszubessern und einige Rohhauttaschen herzustellen, die sie mit bunter Farbe bemalen würde.

      Als es Wambli-luta besser ging, schoss auch er noch zwei Weißwedelhirsche, sodass die Mutter aus den Häuten ein schönes Kleid für Anpao-win nähen konnte. Das Hirschfleisch war ein besonderer Genuss nach all dem Bisonfleisch, und so kamen oft Freunde, um an dem Essen teilzunehmen. Hübsche-Nase kochte es mit wilden Zwiebeln, Prärierüben und Beeren, die sie tagsüber sammelten und trockneten. Die Natur zeigte sich großzügig gegenüber den Menschen. Überall reiften Kirschen, Beeren, wilde Zwiebeln, selbst Kürbisse und Bohnen, die von den Frauen gesammelt wurden. Nur Maisfelder legten die Tituwan keine an. Vor einigen Jahren, als die Zeit der Hungerwinter gekommen war, hatten sie es versucht, doch dann wieder aufgegeben. Sie folgten lieber den Herden der Bisons.

       Fort Lisa

       Am Missouri-Fluss im Frühjahr und Sommer 1809

      Am Morgen nach dem verheerenden Eissturm der Amsel im späten Frühjahr näherte sich die nächste Katastrophe: Kriegerisch bemalte Gestalten schlichen sich an die Gestrandeten heran, die in den Booten oder am Ufer des Yellowstone Unterschlupf gesucht hatten, und wenn die Anführer nicht in weiser Voraussicht Wachen aufgestellt hätten, wäre es schlimm um die Expedition bestellt gewesen. Der Warnruf riss auch den letzten Abenteurer aus dem Schlaf, und im Nu hatten die Männer hinter Kisten und Bäumen Deckung gesucht. Keine Sekunde zu früh, denn ein Pfeilhagel prasselte auf die Männer nieder. „Nur schießen, wenn ihr ein Ziel vor Augen habt!“, schrie Vazquez. Nach dem ersten Pfeilhagel hechteten einige Männer auf die Boote und gingen hinter dem Aufbau in Deckung. So wollten sie verhindern, dass die Indianer die Boote enterten. Sie hatten es mit Sicherheit auf die Ladung abgesehen. Wieder schlugen Pfeile in das Holz der Kisten und Boote ein und die Männer duckten sich tiefer. Dann erklang ohrenbetäubendes Kriegsgeschrei. „Was für Indianer sind das?“, fragte Pierre, der ebenfalls auf sein Boot geklettert war.

      „Scheißegal!“, knurrte ein Trapper. „Ich habe die Schnauze voll von denen!“

      Einige Krieger lösten sich aus der Deckung von Büschen und Bäumen und kamen auf Pierres Boot zugerannt. „Achtung, Leute! Sie kommen!“ Er sah, wie einige Männer ihre Gewehre hochrissen, auf das Dach des Laderaumes legten und die Angreifer ins Visier nahmen. „Wartet, bis sie nahe genug sind“, warnte Pierre die Männer.

      „Wie nahe denn?“, zischte ein Voyageur. „Die haben uns ja gleich.“

      Pierre wartete, bis die Krieger die Planken erreicht hatten, und gab den Befehl zum Schießen. „Feuer!“ Auch von den anderen Booten stieg der Rauch der Salven auf. Gleichzeitig feuerten die Männer, die an Land geblieben waren. Stöhnen und Schmerzensschreie waren zu hören, als mehrere Indianer sich am Boden wälzten. Offensichtlich hatten sie nicht mit einer derartigen Kampfkraft gerechnet. Krieger, die noch laufen konnten, traten den Rückzug an, doch einige blieben am Ufer liegen oder fielen ins Wasser. Pierre fackelte nicht lange. Mit seiner Pistole kletterte er an Land und gab einem Feind mit einem gezielten Schuss den Rest. „Nachladen!“, befahl er gleichzeitig mit überschnappender Stimme. Mit einem Sprung hechtete er in die Deckung einer Kiste am Ufer – gerade noch rechtzeitig, ehe die nächsten Pfeile neben ihm einschlugen.

      Dieses Mal waren die Indianer vorsichtiger. Sie nutzten die Deckung und versuchten es mit Ablenkungsmanövern. Ein Indianer zeigte sich kurz und hechtete dann sofort wieder in Deckung, während einige andere versuchten, den Bug des Bootes zu erreichen. Sie wateten durch das Wasser und schossen auf die Männer, die hinter den Aufbauten saßen. „Sie kommen von der Seite!“, schrie Pierre gerade noch rechtzeitig. Mehrere Schüsse dröhnten über das Wasser, und Pierre sah, wie die Indianer wegtauchten. Mit grimmigem Gesicht beobachtete er, wie zwei Männer von einem anderen Boot die Krieger unter Beschuss nahmen. Ihre Köpfe tauchten aus dem Wasser auf, und die Trapper trafen sie mit wohlgezielten Schüssen. Der Rauch des Schwarzpulvers sammelte sich über den Booten, sodass die Männer mit ihren Gewehren kaum noch zu erkennen waren. Auch am Ufer stieg Qualm auf, sodass Menschen, Ausrüstung und Bäume miteinander verschwammen. Jetzt hieß es aufpassen, wenn man nicht die eigenen Leute erwischen wollte. „Alle Mann auf die Boote!“, erschallte nun der Befehl. Pierre kniff die Lippen zusammen, denn damit gaben sie die Ausrüstung preis. Aber wahrscheinlich war es besser, auf ein paar Planen und Kisten zu verzichten, als eigene Leute zu opfern.

      „Rückzug auf die Boote!“, gab auch Pierre den Befehl. „Nehmt ein paar Kisten mit!“

      Einige Männer, die hinter den Kisten in Deckung gegangen waren, griffen nach den Transportschlaufen und liefen über die Planke auf das Boot zurück. Dann ließen sie die Kisten einfach fallen und hechteten in Deckung. Mehrere Pfeile schlugen ein, und zum ersten Mal pfiffen auch Kugeln über das Wasser. Einige Indianer hatten offensichtlich Gewehre. Eine Salve aus den Gewehren der Trapper antwortete ihnen. Am Mündungsfeuer hatten die Männer erkannt, wo die Indianer sich versteckten, und daraufhin gezielt in diese Richtung geschossen. Niemand konnte sehen, ob sein Schuss irgendwelchen Schaden angerichtet hatte, denn es wurde plötzlich still. Auch bei den anderen Booten kehrte Ruhe ein. „Was ist jetzt los?“, wunderte sich Pierre.

      Ein Trapper richtete sich etwas auf und blickte vorsichtig über den Rand des Daches. „Alles still!“, meldete er.

      Pierre nickte. „Okay, wir geben Feuerschutz und ihr holt noch ein paar Kisten!“, ordnete er an.

      Die Voyageure schüttelten