Kerstin Groeper

Im Eissturm der Amsel


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weil wir hübsch in Deckung geblieben sind! Wir sind doch nicht lebensmüde! Geh doch selbst, wenn dir das Zeug so wichtig ist.“

      Pierre kniff die Augen zusammen und gab zwei weiteren Trappern das Zeichen, ihm zu folgen. „Alors!“, murmelte er. „Wir rennen zu der Ausrüstung dort, gehen in Deckung – und wenn die Luft rein ist, dann treten wir den Rückzug an.“

      Die beiden nickten nur und machten sich bereit, ihm zu folgen. „Und passt auf, dass ihr niemanden erwischt, der zu uns gehört.“ Die drei warteten einen Augenblick, doch am Ufer blieb alles ruhig. „Jetzt!“, flüsterte Pierre, richtete sich auf und rannte über die Planke zum Ufer. Schwer atmend ging er hinter einer Kiste in Deckung. Schon hockten die anderen ebenfalls am Ufer. Nichts rührte sich, und so sahen sie sich verwundert an.

      „Sind die weg?“

      „Scheint so!“

      „Okay, nehmt die Ladung und geht zurück. Ich gebe euch Deckung.“

      Die beiden Männer schnappten sich die Kiste und trugen sie auf das Boot zurück. Alles blieb ruhig, und so kamen nun mehr Männer an Land und bargen die Ladung. Auch bei den anderen Booten trauten sich die Männer von Bord. Langsam verzogen sich die Rauchschwaden und gaben den Blick auf die Umgebung frei.

      „Gibt es Verletzte?“, erschallte der Ruf von den anderen Booten.

      „Hier … niemand!“, gab Pierre zurück.

      „Bei uns sind zwei verwundet!“, kam es von einem Boot weiter stromabwärts.

      „Wir haben einen Toten!“

      Nach und nach kamen die Meldungen, und es schien, als wären sie mit einem blauen Auge davongekommen. Die Indianer hatten einige Kisten gestohlen, mehrere Männer verletzt und einen getötet. Doch dann hatten sie den Angriff abgebrochen. Vielleicht hatten sie zu viele Verluste erlitten oder wollten warten, bis Verstärkung eingetroffen war.

      „Wer waren diese Rothäute?“, fragte ein Voyageur, der wohl zum ersten Mal auf so einer Expedition dabei war.

      „Pekuni-Blackfeet!“ antwortete Pierre tonlos. Er hatte es langsam satt, gegen diesen Stamm zu kämpfen. „Ausgeburten des Teufels.“

      „Nicht schon wieder!“, schimpfte der junge Mann, der von den anderen nur „Shorty“ genannt wurde. Er war eigentlich ziemlich groß und hager, sodass keiner wirklich wusste, woher er diesen Spitznamen hatte. Vielleicht lag es an dem Gewehr, das kürzer war als die Rifles, die die anderen Trapper besaßen.

      „Die sind schlimmer als Grizzlys!“, fluchte Pierre. „… Wird Zeit, dass wir in friedlichere Gewässer gelangen.“

      Sie bereiteten dem Toten ein würdiges Begräbnis und standen traurig um das kleine Holzkreuz, das ein Voyageur gebastelt hatte. Immerhin konnten sie diesen Mann beerdigen, während andere ihre letzte Ruhe vermutlich bei den Fischen gefunden hatten. Manuel Lisa sprach ein Gebet, und alle murmelten „Amen“.

      Dann ließen Lisa und Vasquez die Ladung wieder verladen und gaben den Befehl zum Aufbruch. Mit Stangen stießen sie die Boote in die tiefere Rinne des Flussarms und nahmen ihre Fahrt wieder auf. Nach zwei Meilen vereinigte sich der Arm wieder mit dem Yellowstone, und die Männer manövrierten die Boote in die Mitte des Flusses. Wachsam behielten sie die Ufer im Auge. Sie waren immer noch in Schussweite. Pierre ließ die Kisten im Laderaum verstauen und gab dann Befehl, dass die Trapper mit geladenen Waffen Ausschau nach Indianern halten sollten, während die Voyageure wieder an den Stangen standen und das Boot vorwärts bewegten. Die Barkassen hatten keinen Aufbau und wurden von den Männern gerudert.

      Gegen Mittag trieben sie an dem gekenterten Boot vorbei. Es war auf eine Sandbank aufgelaufen, und die Männer konnten sehen, dass es leer war. Entweder hatte es die Ladung verloren, oder die Indianer hatten es geplündert. Vorsichtig manövrierten sie ihre Boote um die Sandbank herum und blickten schweigend auf das gekenterte Boot. Immer noch fehlten sechs Mann der Besatzung. Dann wurde das Schweigen zum Entsetzen, als sie sahen, dass am Aufbau einer ihrer Trapper festgenagelt worden war. Er hing dort nackt, mit ausgestreckten Armen, und teilweise war ihm die Haut abgezogen worden. Sein Kopfhaar fehlte, und Pfeile ragten aus dem Körper hervor. Es war eine Warnung: Kommt nicht mehr zurück, oder euch passiert das Gleiche!

      „Armer Teufel!“, flüsterte Shorty. „Ob sie die anderen auch erwischt haben?“

      „Hoffentlich nicht. Gott sei ihren armen Seelen gnädig!“

      „Wollen wir ihn nicht begraben?“ Unsicher blickten einige Männer ihren Kapitän an. Dieser schüttelte nur stumm den Kopf, wandte den Blick von dem Misshandelten ab und konzentrierte sich wieder auf den Fluss. Das war wahrscheinlich nur ein Trick, um die Männer näher ans Ufer zu locken. Der arme Teufel war tot. Es hatte keinen Sinn, das Leben der anderen zu gefährden. Auch die anderen Boote setzten die Fahrt fort, ohne sich in die Falle locken zu lassen. Am Ufer blieb es still. Entweder waren die Indianer schlau genug, sich zu verstecken, oder sie waren wirklich verschwunden. Pierre hoffte, dass ihnen niemand mehr in die Hände gefallen war. Aber wenn die Blackfeet die anderen erwischt hatten, würden sie es die Weißen garantiert wissen lassen. Arnel stellte sich neben ihn und sah ihn vorwurfsvoll an. „Findest du das richtig?“

      Pierre ignorierte seinen Blick. „Vasquez und Lisa halten ja auch nicht an … weil sie genau wissen, dass es eine Falle ist.“

      Arnel nickte unglücklich. „Diese dreckigen Injuns!“ Aus seinem Mund klang das irgendwie seltsam, und Pierre sah ihn verblüfft an.

      „Wirklich!“, rechtfertigte sich Arnel. „Meine Mutter war eine Yankton … die sind friedlich!“

      „Behauptest du!“, brummte Pierre.

      Dann horchte er auf, als sich plötzlich am Ufer ein völlig nackter Mann aufrichtete, der mit Winken auf sich aufmerksam machte. Auch auf den anderen Booten sichtete man den Mann und forderte ihn mit Rufen auf, zu ihnen zu schwimmen. Der Mann zögerte kurz, sah sich um und watete dann ins Wasser. Mit einem Satz tauchte er unter und verschwand kurz aus dem Blickfeld der anderen. Keine Sekunde zu früh, denn am Ufer tauchten wie aus dem Nichts Blackfeet auf, die mit Pfeilen auf die Stelle schossen, an der der Mann zuletzt gestanden hatte.

      Sofort wurden sie von den Männern an Bord unter Beschuss genommen, sodass sie sich unter Geschrei zurückziehen mussten. Kurz tauchte der Kopf des Mannes auf, dann tauchte er wieder unter. Wieder fielen Pfeile ins Wasser, und die Männer erkannten, dass die Indianer sich einen Spaß daraus machten, den Weißen vor sich her zu hetzen.

      „Hierher!“, schrien sie, als der Kopf wieder aus den Fluten auftauchte. Mit letzter Kraft erreichte der Mann ein Boot und klammerte sich an der Bordwand fest. Ihm fehlte jedoch die Kraft, sich hochzuziehen. Wieder flogen Pfeile, und einer traf den Mann am Arm.

      „Helft mir!“, brüllte dieser verzweifelt. Eine Salve nahm die Indianer am Ufer unter Beschuss, die sich lieber in Deckung begaben. Sie lachten höhnisch und machten Drohgebärden. Sie sprangen auf ihre Pferde und galoppierten am Ufer entlang. Von dort schossen sie weiter mit Pfeilen auf die Boote. „Helft mir doch!“, rief der Mann. „Ich rutsche ab!“

      Zwei Mann nahmen sich schließlich ein Herz: Sie verließen die Deckung, beugten sich über die Bordwand und zogen den Mann mit einem Ruck ins Boot.

      Dann ließen sie sich platt auf den Boden fallen, als weitere Pfeile in ihre Richtung flogen. Einer der Männer hielt eine Plane hoch und lenkte so einen Pfeil ab, der ihn sonst getroffen hätte.

      Pierre schnaufte durch, als er erkannte, dass der Mann es geschafft hatte. Wie er die kalte Nacht überlebt hatte, wäre eine spannende Geschichte! Ein Mann mehr, der gerettet werden konnte. Dann wurde sein Gesicht grau vor Entsetzen, als sie an einem weiteren Mann vorbeitrieben, der auf entsetzliche Weise entstellt und an einem Baum gefesselt zur Schau gestellt wurde. Fehlten noch drei! Er betete, dass es ihnen nicht ähnlich ergangen war. Immer wieder schaute er zu den Ufern auf beiden Seiten und hoffte, dass dort jemand auftauchte und durch Winken zu verstehen gab, dass es ihm gutging.

      An diesem Tag geschah weder das eine noch das andere. Die Indianer blieben unsichtbar, und