Kerstin Groeper

Im Eissturm der Amsel


Скачать книгу

      Am Abend legten sie an einer der vielen Inseln an, die dadurch entstanden waren, dass der Fluss Nebenarme bildete. Sie waren vollständig vom Wasser umschlossen und konnten so gut verteidigt werden, weil Angreifer erst den Fluss überwinden mussten, und sich nicht im Schutz von Büschen und Bäumen anschleichen konnten. Die Männer verzichteten darauf, Lodges aufzubauen, da der Himmel klar war. Es blies immer noch ein kalter Wind, sodass die Männer sich gern um die Feuer setzten und aufwärmten. Kaffee wurde ausgeschenkt und dann die warme Suppe verteilt. Jeder hatte seine Tasse und seine Schüssel dabei und sorgte selbst dafür, dass sie gesäubert wurde. Dann wurden die Läufe der Waffen mit dem Ladestock sorgfältig gereinigt. Das Überleben hing davon ab, dass die Vorderlader reibungslos funktionierten, und so nahmen sich die Männer hierfür Zeit. Auch die Pistolen hatten Steinschlösser, die regelmäßig geputzt werden mussten. Nach dem Kampf mit den Indianern waren die Läufe verrußt, und auch die Mechanik des Hahns musste überprüft werden. Leises Gemurmel erhob sich über dem Wasser, als die Männer über die letzten Tage sprachen. Ihre Gedanken galten den Freunden, die nicht heimkehren würden.

      Pierre saß mit Arnel und Shorty zusammen, die nachdenklich ins Feuer starrten. Sie hielten ihre Waffen in den Händen, obwohl sie mit der Reinigung schon fertig waren. Wie oft hatten sie mit den anderen gesungen und Karten gespielt? Sie dachten an Huey, der so gerne beim Kartenspielen geschummelt hatte, oder an Louis, der zuhause eine Frau und zwei Kinder hinterließ. Manuel Lisa wollte die Familien benachrichtigen und ihnen den Lohn auszahlen. Sie beneideten den Mann nicht, denn traurige Nachrichten zu überbringen, war niemals leicht. „Scheiß Injuns!“, meinte Shorty ernüchtert.

      Arnel zuckte etwas zusammen. „Pass auf, was du sagst!“

      „Ich meine ja nicht dich!“, entschuldigte sich Shorty. „Du bist ein guter Indianer!“

      Arnel presste traurig die Lippen zusammen. „Na ja … nur zur Hälfte. Aber es stimmt schon … es gibt halt solche und solche.“

      Pierre schüttete den Kopf. „Es gibt solche und Blackfeet!“, betonte er.

      Die beiden nickten wortlos. Kurz breitete sich Schweigen aus, dann schenkte Pierre erneut Kaffee aus. Shorty tat mindestens drei Löffel Zucker hinein und leckte sich die Lippen. „Gutes Zeug!“, lobte er gedankenverloren. „Der weckt Tote auf.“

      „Nicht Louis und Huey oder die anderen armen Teufel.“

      „Non!“, stimmte Pierre ihm zu. „Hoffen wir auf bessere Beziehungen zu den Mandan und Arikara.“

      „Hmh!“, grunzten Arnel und Shorty.

      Nach weiteren zwei Wochen, die ohne Zwischenfälle verliefen, erreichten die Boote schließlich die Mündung des Yellowstone in den Missouri. Der Yellowstone hatte unendlich viele Biegungen, sodass sie immer wieder hatten kreuzen müssen, um die optimale Linie zu fahren. Das hatte Zeit gekostet. In der Vogelfluglinie waren es nur 250 Meilen, doch mit den vielen Windungen verdoppelte sich die Entfernung. Sie waren ohne weitere Probleme vorangekommen und blickten nun auf den beeindruckenden Zusammenfluss, der sich vor ihnen öffnete. Auch hier wäre ein geeigneter Ort für einen Handelsposten gewesen, aber nach dem Geschmack der Teilhaber war er noch zu nah an den kriegerischen Blackfeet oder Assiniboine. Also trieben sie weiter den Strom flussabwärts. Hier wurde die Fahrt leichter, denn der Missouri hatte etwas mehr Tiefgang und weniger Windungen. Die Umgebung war hügelig, teilweise mit Gras, teilweise mit Fichten bewachsen. An den Ufern lagen oft Treibholz und angeschwemmte Kadaver. Hin und wieder sahen sie in der Ferne Jagdgruppen von vorbeiziehenden Indianern, die jedoch nicht näher kamen. Am Ufer standen oft Gabelbockantilopen, und einmal sahen sie sogar einen Elch. Die Ufer des Flusses und seiner Nebenarme war inzwischen wieder von Enten, Gänsen und Reihern bevölkert, die dort ihre Nester bauten. Die Männer suchten abends nach den Eiern und erlegten die eine oder andere Ente.

      Nach weiteren zehn Tagen kamen sie an der Mündung des Little Missouri vorbei. Hier hatte Manuel Lisa bereits gute Erfahrungen mit den Stämmen gemacht, und so gab er Befehl, nach einem geeigneten Lagerplatz Ausschau zu halten. Die Gegend war zerklüftet, mit vielen Tälern und kargen Hügeln. Der Fluss war hier breit, manchmal mit Untiefen und dann wieder mit Sandbänken, auf die man auflaufen konnte, wenn man nicht aufpasste. Viele kleine Bäche mündeten in den Fluss, doch wenn eine Barkasse den Bach näher in Augenschein nahm, war es oft nur eine Ausbuchtung des Missouri mit schlammigem Boden. Die Hochwasserlinie an den Felsen und Ufern zeigte, dass das Gebiet weiträumig überschwemmt wurde und es daher nicht ratsam war, ein Fort zu bauen. Sie wollten ihren Stützpunkt aber auch nicht zu weit weg vom Wasser errichten, da sonst alles über eine weite Entfernung geschleppt werden musste.

      Sie fanden schließlich eine Stelle, die zumindest einen langen Strand hatte, an dem die Boote anlegen konnten. Im Hinterland gab es viele Bäume und die Umgebung war flach genug, dass es nicht möglich war, von oben unter Beschuss genommen zu werden. Ein Boot nach dem anderen rutschte auf das sandige Ufer, und die Männer sprangen an Land. Einige Springmäuse suchten das Weite, und eine Familie Stinktiere verschwand erhobenen Schwanzes. Sofort brachen einige Trapper auf, um die Umgebung gegen Überfälle zu sichern. Sie besetzten zwei kleinere Hügel in der Ferne und gaben dann mit Winken zu verstehen, dass alles ruhig war. Erst einmal wurde nur die Ausrüstung für ein kleines Nachtlager ausgeladen, weil man prüfen wollte, ob der Standort wirklich geeignet war. Es wurde inzwischen sommerlich warm, sodass die Männer keine Lodges aufbauten, sondern nur ihre Decken am Boden ausbreiteten. Es hatte seit Tagen nicht mehr geregnet, und so war der Lagerplatz trocken. Schnell wurden Feuer entzündet, Kessel darübergehängt, Wasser vom Fluss geholt und Essen gekocht.

      Vazquez und Lisa waren bereits unterwegs, um noch ein wenig die Umgebung zu erkunden. Ihr erster Eindruck war nicht schlecht. Der Boden stieg schnell an, und die Wasserlinie zeigte, dass das höher gelegene Gelände nicht überflutet wurde. In der Umgebung gab es genug Holz, sodass ein Fort samt Häusern und Palisaden errichtet werden konnte. Für den Handel mit den Indianern war das optimal. In der näheren Umgebung fanden die Trapper keine Spuren von Bibern, aber in den vielen Buchten wären bestimmt welche zu finden.

      In den nächsten Tagen waren die Männer emsig damit beschäftigt, Holz für das Fort zu schlagen. Die Voyageure entluden die Schiffe und stapelten die Waren unter den Planen, die über einfache Gerüste gezogen wurden. Erste Indianer trafen ein, die sich neugierig dem entstehenden Handelsposten näherten. Lisa verteilte großzügig Geschenke, um die Kunde verbreiten zu lassen, dass hier ein Handelsposten entstand. Sehr zufrieden rückten die Indianer ab und versprachen, mit Pelzen zurückzukehren.

      Pierre besuchte bei seinen Erkundungen ein befestigtes Dorf der Hidatsa, die von William Clark seit seiner Expedition „Minnitari des Missouri“ genannt wurden. Sie lebten in Erdhütten wie die Mandan, sprachen aber eine andere Sprache. Die Frauen befanden sich bereits auf den Feldern, um den Mais anzubauen. Kinder rannten herum und beobachteten ihn mit ihren schwarzen Augen. Obwohl es noch recht frisch war, liefen sie fast nackt herum. Einige Männer saßen auf den Erdhütten in der Sonne und unterhielten sich.

      Pierre hatte ein besonderes Anliegen, konnte sich aber in dieser Sprache nur mit Gesten verständlich machen. Er rauchte mit einigen Männern eine Pfeife und tauschte harmlose Neuigkeiten aus, ehe er mit seinem wahren Anliegen herausrückte. „Ich möchte eine Frau eintauschen!“, zeigte er in Zeichensprache, was die Männer aber kaum beeindruckte. Entweder gab es hier keine Mädchen im heiratsfähigen Alter, oder dieses Volk sah es nicht so gerne, wenn ihre Frauen weiße Trapper heirateten. Pierre war enttäuscht, denn für den Winter wünschte er sich eine Squaw an seiner Seite. Sie waren fleißig und wärmten einem im Winter das Bett. Er hatte nicht vor, sie eines Tages in die Zivilisation mitzunehmen, sondern wollte sie ihrem Volk zurückgeben, wenn er erst genug verdient hatte. Er hatte das schon bei anderen Trappern erlebt und empfand es als eine gute Sache. Ein Handel auf Zeit.

      Unverrichteter Dinge kehrte er zum Fort zurück, bei dem immerhin schon die Palisaden standen. Manuel Lisa nannte es stolz „Fort Lisa“. Inzwischen waren die Männer dabei, das Haupthaus mit dem Handelsraum zu bauen. Es hatte zwei Stockwerke: unten den Handelsraum und oben mehrere Kammern, in denen die Anführer und einige der Trapper schliefen. Gleichzeitig entstanden weitere Hütten, in denen die anderen Männer untergebracht wurden. Das Schlagen der Äxte hallte durch das Tal und kehrte