Ursula Walser-Biffiger

Bergmütter, Quellfrauen, Spinnerinnen


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      Der Dolomitmarmor ist das auffälligste Gestein des Binntals. Weiss und hellgrau leuchten seine Felsen. Und milchig-weiss rauschen die Bäche zu Tal. Für die Menschen der frühen Zeiten hatten solche Erscheinungsformen der Natur ihre Bedeutung. Weisses Land galt als heiliges Land, Beispiele sind die Kreidefelsen bei Dover in Südengland und auf der Insel Rügen oder die Kalkhänge des Juras.

      Es war die Erd- und Mondgöttin selbst, die sich hier in den Formen und Farben der Landschaft zeigte, die sie mit ihrem Licht zum Strahlen brachte. Sie war die Grosse Ahnfrau, die für die Lebensgrundlagen sorgt – vor allem für Wasser. Anna, der Name der Ahnfrau, ist denn auch mit diesem Element in Verbindung zu bringen (siehe S. 32 und 39).

      In christlicher Zeit sind die lebensfördernden und beschützenden Eigenschaften der Urahnin oft auf Heilige oder auf eine historische Person übertragen worden. Das wird auch mit Anna, der Ahnin im Goms, geschehen sein – sie wurde im Laufe der Zeit zur Gräfin. Doch auch diese ist historisch kaum fassbar, und die Geschichten um sie wurden immer wieder ein wenig anders erzählt. Einmal zeigt sich Anna als die wohltätige Tochter eines Junkers aus dem 14. Jahrhundert. Dann wieder erscheint sie als die untröstliche Verlobte eines Ritters, die sich aus lauter Gram über seinen Tod in die Berge zurückzieht. In einer anderen Variante ist sie eine der drei Töchter, die im Goms Land erben und es unter sich mittels Losentscheid aufteilen: Eine bekommt das Erner Feld, die andere den Feldboden und die dritte das Ochsenfeld, hoch oben am Albrunpass.

      Das Motiv der Schwestern, die Land besitzen, kommt auch in anderen Sagen im Alpenraum vor. Es verweist womöglich auf mutterrechtliche Zeiten. Interessanterweise sind auf alten Landkarten im Binntal Flurnamen verzeichnet wie Damenschloss und solche, die direkt mit Anna in Verbindung gebracht werden. Auf der Alp Furgge trägt ein Hügel den Namen Annabiel, und die Bergkante am Nordrand des Hochplateaus, die sich vom Übergang der Furgge bis zum Breithorn hinzieht, heisst Annagrat.23

      Eines erzählen alle diese Geschichten und Verortungen: Gräfin Anna ist gänzlich mit der Landschaft verbunden und mit ihrem Volk, das es gut hat mit ihr. Der Teufel selbst macht dem glücklichen Leben ein Ende, indem er das Vieh wegtreibt. So erzählt es eine weitere Sage. Selbst Gräfin Anna soll bei diesem Aufstand zu Tode gekommen sein – ein eindrückliches Bild des Untergangs einer alten Religion.

      Die Quellfrau Blanka

       Leukerbad, Leuk

      Blanka war eine junge, wunderschöne Frau. Zwei adelige Brüder kämpften um sie. Jeder wollte ihr Gatte werden, und deswegen gab es Streit. Mit einem Wässerbeil erschlug Rudolf den anderen und musste dann fliehen: Blanka zog mit ihm ins wilde, damals unbewohnte Tal von Leukerbad. Hier bauten sie sich ein Haus, und bald war Blanka schwanger.

      Eines Tages, als ihre Niederkunft nahte, verliess Rudolf die Hütte und ging auf die Jagd. Als er sich am Abend verspätete, fürchtete sich Blanka und rief laut schluchzend nach ihm – kein Wunder, schliesslich lag sie in den Wehen mit ihrem ersten Kind und war allein. In ihrem Kummer schleppte sie sich hinaus, sank an einer Quelle nieder und weinte vor Schmerzen. Doch bald schenkte sie im dunklen Wald einem munteren Knaben das Leben.

      Rudolf war inzwischen zurückgekehrt und fand Blanka mit ihrem Kind. Die Quelle ihr zur Seite floss jetzt heiss – erwärmt durch ihre Not und ihre Tränen. Rudolf jedoch, der das Schlimmste und das Schönste verpasst hatte, liess sich auch durch das warme Wasser nicht beeindrucken. Er war ein wackerer Christ und taufte seinen Sohn und die Quelle an Ort und Stelle auf den Namen Lorenz.

      Nun, wem diese Geschichte seltsam vorkommt, begibt sich am besten in ein Quellgebiet, lässt sich am Wasser nieder – mitternachts, in der Dämmerung oder in der flirrenden Hitze des Mittags. Dann ist die Zeit günstig, um dem geheimnisvollen Ursprung der ewig sprudelnden Lebenskraft zu lauschen. Um der Quellfrau zu begegnen und sich von ihr die wahre Geschichte erzählen zu lassen.

      Nach Guntern 1965, Nr. 313

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