entscheidendes und handelndes Organ respektive Akteur. So beschreibt Mintzberg in seiner beachtenswerten Arbeit, wie Management die Vielfalt der parallelen Aufgaben bewältigt. Auf Grund einer Beobachtungsstudie kommt er zum Schluss, dass Manager Probleme wie Jongleure kurz in den Händen halten, bearbeiten und dann wieder zur Weiterbearbeitung in den Umlauf bringen (Mintzberg, 1991, S. 33).
Auch in der St. Galler Managementforschung hat die Ausrichtung auf die Bedürfnisse und Anforderungen des Managements als handelndes Organ eine lange Tradition. So schreiben Ulrich, Krieg und Malik (1976), dass der Zweck der Betriebswirtschaftslehre darin bestehe, «handelnden Menschen das in bestimmten Problemsituationen benötigte Wissen zur Verfügung zu stellen» (S. 135).
Im Sinne der Zweckdienlichkeit steht in der Management-Forschung für lange Zeit «Relevance» (Lebens- und Zweckdienlichkeit) vor «Rigor» (wissenschaftliche Fundierung), bis die Betriebswirtschaftslehre selbst auch einen stärkeren wissenschaftlichen Ansatz zu suchen beginnt. Ab den 1950er- und 1960er-Jahren werden jene Stimmen lauter, die auch in der Managementlehre die in den anderen Sozialwissenschaften übliche theoretische Fundierung fordern (Gulati, 2007, S. 776; vgl. auch Gordon & Howell, 1959; Pierson, 1959). So orientiert sich die Forschung verstärkt an sozialwissenschaftlichen Grundlagen und Theorien (z. B. aus der Ökonomie oder aus der Soziologie). Ein Beispiel dafür ist die Entwicklung von Strategien basierend auf «Industry Ecomonics» wie den Skalen- und Verbundeffekten. Damit einher geht auch eine Ausdifferenzierung der Managementforschung, wie sie in verschiedenen Disziplinen zu beobachten ist. Verstärkt orientiert sich die Forschung an einzelnen Funktionen und Subdisziplinen. So entwickelt sich z. B. das Marketing zu einem eigenständigen Forschungsgebiet innerhalb der Betriebswirtschaftslehre, wobei innerhalb des Marketings wiederum eigene Gebiete wie Customer Insight oder Brand Management quasi als Subdisziplinen mit eigenen Forschungsgemeinschaften entstehen.
Diese Orientierung an der Wissenschaftlichkeit ermöglicht zwar eine stärkere Mikrofundierung von Erkenntnissen, erschwert aber eine [30] tiefere Problemorientierung (Nickerson & Argyres, 2018). So entwickelt z. B. die Marketingforschung immer differenziertere Erklärungen für Konstrukte und Theorien wie die wahrgenommene Fairness oder den wahrgenommenen Kundenwert. Für wesentliche Fragen der Praxis wie die Gestaltung eines integrierten Marketingmix wird in der Praxis jedoch immer noch auf Konzepte aus den 1980er-Jahren wie das Dominanz-Standard Modell zurückgegriffen (vgl. Kühn, 1985).
1.4.2 Management als professionelle Tätigkeit
Die zunehmende Ausdifferenzierung des Managements als eigenständige Tätigkeit und die Spezialisierung von Managementwissen widerspiegelt sich auch in der Management-Praxis. Management entwickelt sich zu einer eigenständigen Profession, die sich zunehmend an wissenschaftlichen Grundlagen orientiert. Management gilt auch vermehrt als Tätigkeit, die nicht nur für Unternehmen als notwendig angesehen wird, sondern die auch in immer weitere Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft vordringt. Methoden des Managements halten Einzug in Verwaltung, aber auch in Kirchen, Militär und Nichtregierungsorganisationen. In vielen dieser Organisationen galt Management lange Zeit als eine Art «Kunst» (vgl. Lynn, 1996). So wurde z. B. in einem Spital typischerweise der Chefarzt oder die Chefärztin, die aufgrund ihrer Persönlichkeit oder ihrer Lebenserfahrung (z. B. aus dem Militär) als am geeignetsten für Führungsaufgaben angesehen wurde, mit der Leitung dieser Organisation betraut.
Heute ist Management eine eigenständige Profession, die im Sinne von Bourdieu typische Merkmale aufweist wie eine eigenständige Sprache, eigenständige Rituale und professionelle Werte (vgl. Bourdieu, 1972). Führungspersonen werden heute in Managementausbildungsgängen für ihre Aufgaben vorbereitet und wechseln auch zwischen verschiedenen Unternehmen, Branchen, Regionen und Kulturen. So gibt es heute nicht nur Managerinnen, die von Fluggesellschaften zu Pharmaunternehmen wechseln, sondern auch «Professional Deans» (Dekane bzw. Rektoren), die zwischen Universitäten in verschiedenen Ländern und Kulturen wechseln.
Wegen der Spezialisierung der Managementforschung und weil die immer grösseren Managementaufgaben in den Unternehmen eine Arbeitsteilung und damit Spezialisierung des Managements selbst verlangen, besteht auch in der Praxis eine ausgeprägte Funktionenorientierung. Für Funktionen wie Personalmanagement, Marketing, Strategiemanagement [31] oder Finanzmanagement existieren heute eigenständige Forschungsinstitute, Lehrstühle und Ausbildungsgänge in der Grund- und Weiterbildung (Abbildung 1-6).
Abbildung 1-6: Lehrstühle an der School of Management der Universität St. Gallen (2020)
Diese Differenzierung zeigt sich auch in der Entwicklung der Universitätsstudiengänge. Noch in den 1970er-Jahren werden an vielen Universitäten Studiengänge in Wirtschaftswissenschaften angeboten, die Betriebswirtschaftslehre (BWL) und Volkswirtschaftslehre (VWL) integrieren. Später differenzieren sich Studiengänge auf die Fachgebiete VWL oder BWL aus. Mit der Einführung des Bologna-Systems anfangs der 2000er-Jahre werden vor allem auf Masterstufe funktional spezialisierte Studiengänge angeboten (z. B. in Strategie, Marketing oder Accounting und Controlling). In der Weiterbildung folgen spezifische Lehrgänge und Zertifikate wie CFA (Chartered Financial Analyst) oder auch CMA (Certified Marketing Analyst). Diese erlauben eine weitere professionelle Spezialisierung und sind in einzelnen Ländern zum Teil auch rechtliche Voraussetzung für die Übernahme einer Führungsfunktion in einem Unternehmen (z. B. in Rechnungswesen und Finanzen).
1.4.3 Umgang mit Komplexität
[32] Die Forderung, die funktionalen oder in der Forschung subdisziplinären Silos zu überwinden, erfolgt vielfach und früh (z. B. Aldrich & Herker, 1977). So wird kritisiert, dass sich Forschung an immer spezialisierteren Forschungsfragen ausrichtet (z. B. am Verhalten von Konsumentinnen und Konsumenten in isolierten Laborsituationen) und dass integrative Themen, die das Topmanagement herausfordern und die eine disziplinübergreifende Sichtweise erfordern, vernachlässigt werden. In der Praxis ist festzustellen, dass das immer spezialisiertere Management der einzelnen Funktionen schlussendlich durch das Topmanagement «integriert» werden muss, was zu einer Überlastung desselben und zu einem Wachstum von Stabsfunktionen führen kann.
So können Konflikte zwischen Abteilungen entstehen, z. B. zwischen der Funktion Marketing, die eine stärkere Flexibilisierung der Produktion entsprechend den Bedürfnissen von individuellen Kundinnen und Kunden fordert, und der Produktion, die aus Effizienzgründen eine möglichst weitgehende Standardisierung wünscht. Wenn die Anreizmechanismen (z. B. die Erfolgsbeteiligungen der Kadermitarbeitenden) auf den Erfolg der eigenen Abteilung ausgerichtet werden, bestehen starke Interessen, für die Sicht der eigenen Abteilung zu kämpfen. Das Topmanagement muss dann eine Entscheidung treffen, welche die beiden Sichtweisen integriert und das Gesamtsystem optimiert. Dazu braucht es Informationen, die wiederum von eigenen Stäben gewonnen werden müssen.
Die isolierte Optimierung einzelner Funktionsbereiche und die dann erforderliche aufwändige Gesamtabstimmung auf oberster Ebene reduziert auch die Agilität von Organisationen. Die Forderung nach einem integrativen Management ist gerade in der heutigen Zeit, die oft als «VUCA-Zeit» charakterisiert wird, von besonderer Bedeutung. VUCA steht dabei für eine Situation mit hoher «Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity» (vgl. Bennett & Lemoine, 2014). Volatil sind Entwicklungen heute, weil eine Vielzahl möglicher Schocks, in Finanzmärkten, Politik oder Gesundheit, rasch weltweit durchschlagen können. Dies führt zu Unsicherheit. Immer mehr mindestens vordergründig widersprüchliche Ziele, z. B. günstige Produktion und gleichzeitig Umweltschutz oder die Forderung nach «High Performance Teams» und gleichzeitiger «Work Life Balance», führen zu Mehrdeutigkeiten und damit auch zu Komplexität für das Management. Aufgabe des Managements ist es, mit diesen Spanungsfeldern umzugehen und integrative Lösungen und Vorgehensweisen zu definieren.
[33] Verschiedene Autoren identifizieren Managementpraktiken und Instrumente um Grenzen (Boundaries) zwischen den einzelnen «Professional Communities» und Disziplinen zu überwinden (vgl. Spee & Jarzabkowski, 2009; Levina & Vaast, 2005). So zeigt sich, dass die Nutzung von Praktiken und Instrumenten, wie z. B.