1-9: Exemplarische Typen von Netzwerken zur Darstellung von Systemen
[38] Jede Organisation besteht aus verschiedenen Systemebenen (s. z. B. Schräder, 2000, S. 153). So hat z. B. eine Organisation wie ein Spital folgende Ebenen:
– Eine logistische Ebene, auf der die Patientenflüsse stattfinden und wo verschiedene Leistungselemente wie Röntgenabteilung, Labor, Operationssäle zu einer spezifischen Leistungskette für einen Patienten zusammengefügt werden.
– Eine Informationsebene, bei der eng verbunden mit der logistischen Ebene Daten zum Patienten gesammelt und verfügbar gemacht werden.
– Eine finanzielle Ebene, auf der die Finanzflüsse zwischen den verschiedenen Elementen stattfinden, z. B. die Verrechnung von Leistungen aus der Röntgenabteilung an die behandelnde Station und den einzelnen Patienten.
– Eine hierarchische Ebene mit den Unterstellungsverhältnissen und den Zusammenarbeitsstrukturen z. B. in Projekten.
– Eine soziale Ebene mit den persönlichen und geschäftlichen Bekanntschaften und informellen Kommunikationsbeziehungen.
Abbildung 1-10: Schematische Darstellung von System-Ebenen am Beispiel Spital
Quelle: in Anlehnung an Bieger (2010, S. 75)
[39] Diese verschiedenen Ebenen (Abbildung 1-10) beeinflussen sich gegenseitig. So kann man sich vorstellen, dass eine gute soziale Beziehung zwischen der Leitung der einen Abteilung und der Leitung einer anderen Abteilung sich positiv auf die logistische Ebene auswirkt, indem die Zusammenarbeit erleichtert wird.
Systeme lassen sich danach unterscheiden, ob sie trivialer oder komplexer Natur sind (von Foerster, 1993). Triviale Systeme charakterisieren sich durch ihre Stabilität. Es bestehen immer die gleichen Elemente mit den immer gleichen Beziehungen zwischen den Elementen. Das heisst es gibt eine stabile Wirkung von einem Element auf das andere: Wenn z. B. das eine Element wächst, gibt es auch einen Wachstumsimpuls auf das andere Element. Viele logistische Systeme gehören in die Kategorie trivialer Systeme, so z. B. eine fix gekoppelte Wertschöpfungskette zum Verkauf von Brillen, bei der eine stabile Beziehung zwischen Lieferanten von Halbfabrikaten, Fertigung der Brillen und Auslieferung der Brillen an den Detailhandel besteht. Solche Systeme lassen sich leicht analysieren und steuern. Im Sinne von Ashbys Law (Ashby, 1985) ist ihre Varietät gering und es kann mit einzelnen Interventionen wie einer Kapazitätsveränderung bei der Fertigung das ganze System gesteuert werden.
Anders ist es bei komplexen Systemen. Diese zeichnen sich aus durch:
– Offenheit: Diese Systeme empfangen laufend Impulse von aussen. Ein Unternehmen als soziotechnisches System ist z. B. betroffen von kulturellem Wertwandel aus der gesellschaftlichen Umwelt, der die Verhaltensweise der Mitarbeitenden verändert.
– Strukturelle Instabilität: Das System restrukturiert sich dauernd, indem einzelne Elemente oder Beziehungen neu entstehen oder zerfallen, z. B. wenn in einem hierarchischen System aufgrund von Konflikten Kommunikationsbeziehungen zwischen einzelnen Mitgliedern der Organisation zum Erliegen kommen oder sogar aufgrund dieser Konflikte Führungspersönlichkeiten entlassen werden und damit als Systemelemente entfallen.
– Kippeffekte: Die Beziehung zwischen den Elementen ist nicht linear, sondern es existieren Kippunkte. Zu einem Kippeffekt könnte es z. B. kommen, wenn in einer Führungsbeziehung immer mehr auf Leistungsorientierung und Kontrolle gesetzt wird und dadurch plötzlich die intrinsische Motivation verschwindet.
– Mehrschichtigkeit: Die Elemente selbst verändern sich in ihrer Wirkungsweise und ihrem Verhalten, insbesondere wenn sie von Veränderungen einer anderen Wirkungsebene respektive von einem anderen System betroffen werden. Wenn z. B. eine Fertigungsabteilung [40] aufgrund von Sparmassnahmen (Wirkung von der finanziellen Ebene) die Wartung reduziert und damit Ausfälle häufiger werden, hat das wiederum Auswirkungen auf die logistische Systemebene.
– Historizität: Komplexe oder nicht-trivale Systeme sind historische Systeme. Das heisst, ihr gegenwärtiger Zustand hängt unter anderem von ihrer Vergangenheit ab und prinzipiell kann jedes Ereignis oder jede Entscheidung den gegenwärtigen Zustand und die Arbeitsweise eines Systems verändern. Umgekehrt meint Historizität auch, dass frühere Entscheidungen sich auf spätere Entscheidungen auswirken. So können Pfadabhängigkeiten vorhanden sein, wenn Organisationen z. B. an einem bestimmten Betriebssystem festhalten, auch wenn sich über die Jahre andere, überlegene Softwarelösungen entwickelt haben.
Als Resultat sind die Verhaltensweise und Entwicklung komplexer Systeme sehr schwer vorhersehbar. Dies zeigt sich z. B. auch bei einer Pandemie. Während sich die «biologische» labormässige Vermehrung eines Virus in einem stabilen Kontext klar modellieren lässt, ist dies in einer Lebenswelt komplexer, in der viele Systemebenen zusammenspielen. Schon auf der biologischen Ebene ist die Natur offen: Viren können von ausserhalb in ein Land hineingetragen werden oder zwischen Lebewesen überspringen. Das Verhalten der Menschen ist nicht nur das Resultat der biologischen Ebene, sondern auch sehr stark von der wirtschaftlichen sowie von der politischen und gesellschaftlichen Ebene beeinflusst (z. B. von der Robustheit der Wirtschaft, vom Vertrauen in die Behörden und von der lokalen Kultur im Umgang miteinander).
Ähnliche Wechselwirkungen gelten bei Unternehmen, wenn z. B. ein auf der logistischen und finanziellen Systemebene an sich konsistentes Geschäftsmodell nicht realisiert werden kann, weil auf der sozialen und emotionalen Ebene Widerstände aufgrund von äusseren Einflüssen wie politischen Konflikten bestehen. Systemische Analysen helfen, das Verhalten von Unternehmen und Organisationen in ihrer Umwelt beschreibbar, modellierbar und damit erklärbar zu machen.
1.5.2 Prozesssicht auf Organisationen
[41] Prozesse können definiert werden als Abfolge von Aktivitäten, die von einem oder mehreren Arten Input zu einem Output führen (vgl. Porter, 1985). Grundlage und primärer Prozess jeder Organisation ist die Wertschöpfung. Jede Organisation definiert sich über die Leistungen, die sie erbringt. Diese Orientierung am Kundenwert der Leistung wird durch die Geschäftsprozesse im Zentrum des SGMM repräsentiert.
Ein Wertschöpfungsprozess muss zu einem Wertzuwachs zwischen Input und Output, einer sogenannten Wertschöpfung führen (Abbildung 1-11). Dabei kann dieser Wert materieller, monetär berechenbarer Art sein, weil Input und Output über Märkte gehandelt werden und so einen Preis haben. Diese Wertschöpfung kann an die Anspruchsgruppen verteilt oder für die Weiterentwicklung des Unternehmens eingesetzt werden. Der Wert kann jedoch auch immaterieller Natur sein, z. B. wenn durch Freiwilligenarbeit Betreuungsleistungen oder Kulturschaffen ermöglicht wird, das in dieser Qualität nicht auf dem Markt erhältlich ist. Dabei wird der Wert dann z. B. über den erforderlichen Input, die Arbeitsleistung, definiert (für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Wertbegriff s. Mazzucato, 2018).
Abbildung 1-11: Illustrative Prozesskette
Aus Managementsicht sind neben der notwendigen Steuerung der Prozessaktivitäten (Koordination der Kapazität und Qualität, usw.) folgende Aspekte von Wertschöpfungsprozessen interessant:
– Tendenz, dass sich Wertschöpfungsketten laufend restrukturieren. Aufgrund von Umfeldveränderungen (z. B. neue Technologie oder veränderte Preise für die Inputfaktoren) werden Aktivitäten anders durchgeführt oder es werden die Wertschöpfungsketten sogar neu konfiguriert. Dies ist z. B. der Fall, wenn dank der Möglichkeit des «Print on Demand» keine Ersatzteillager mehr gehalten werden müssen.
– [42] Tendenz, dass sich Wertschöpfungsketten dabei aufgrund der dahinterliegenden «Economies» (z. B. Skaleneffekte) immer mehr ausdifferenzieren und spezialisieren.
– Tatsache, dass neben der Primärwertschöpfung