Hans P. Langfeldt

Psychologie


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unterscheidet sich vom »gesunden Menschenverstand« u. a. durch das transparente, nachvollziehbare methodische Vorgehen. Zwei Methoden psychologischer Erkenntnisgewinnung stellen wir in Abschnitt 2.5. vor: Experiment und Feldforschung. Durch solche Methoden werden Daten gewonnen, deren Interpretation keineswegs selbstverständlich ist. Innerhalb der Psychologie gibt es eine Reihe von Standards, mit denen Daten interpretiert und verarbeitet werden können, um auf dieser Grundlage zu empirisch gesicherten psychologischen Erkenntnissen kommen zu können (2.6.).

      von Elisabeth Baumgartner

      »Die Psychologie hat zwar eine lange Vergangenheit, aber eine kurze Geschichte.« Dieser, von dem Gedächtnisforscher Hermann Ebbinghaus (1850 – 1909) auf dem vierten Internationalen Kongress für Psychologie in Paris im Jahre 1900 vorgetragene Satz ist wohl der meistzitierte in der Geschichtsschreibung der Psychologie.

      Was wollte Ebbinghaus damit zum Ausdruck bringen? – Er beschreibt die Situation der akademischen Psychologie um die Jahrhundertwende, die bestrebt war – besser gesagt, einige ihrer Fachvertreter waren es – sich von der Philosophie, innerhalb derer die Psychologie traditionsgemäß angesiedelt war, zu lösen.

      Altertum

      Die Philosophie war seit ihren Anfängen im Altertum die Wissenschaft, die sich mit psychologischen Fragen auseinander setzte. Beispielsweise befassten sich schon die vorsokratischen Eleaten ebenso wie Heraklit mit dem Problem des Denkens und seiner Übereinstimmung mit der Wirklichkeit. Platons (427 – 347 v. Chr.) Dialoge sind, wie wir heute sagen würden, Meisterwerke »psychologischer Gesprächsführung«. Er postulierte, die wahre Wirklichkeit liege in der Welt der Ideen, nicht in der Welt der Sinne und Empfindungen. Diese Hochschätzung des Begrifflichen hatte und hat großen Einfluss auf die abendländische Tradition (vgl. Müller 1971, S. 1).

      Aristoteles

      Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) ist die Hauptquelle der Psychologie, teilweise bis in die Neuzeit, geblieben. In seiner Schrift »Über die Seele« beschreibt er die Seele (Psyche), die sich als wirkendes Prinzip auf dreierlei Weise äußere:

      

als Vitalseele (belebend, ernährend);

      

als Animalseele (empfindend, fühlend, sinnlich begehrend);

      

als Geistseele (denkend und wollend).

      Diese Einteilung hat die Psychologie lange geprägt. Die Beschreibung der »Seelenkräfte«, des »Seelenvermögens« oder der »psychischen Kräfte und Funktionen« entsprechend der Einteilung des Seelenbegriffs beschäftigte die Philosophen aller folgenden Jahrhunderte.

      Bezug zur Gegenwart

      Auch die heutige wissenschaftliche Psychologie greift auf dieses Modell zurück: die Allgemeine Psychologie mit ihren Klassifikationen des Psychischen in Emotion, Kognition und Motivation (vgl. Pongratz 1967, S. 70); Richtungen der Persönlichkeitspsychologie, die an Schichttheorien orientiert sind; in besonderer Weise aber die Psychoanalyse. Schönpflug (2000, S. 72) meint gar, dass in der Bestimmung des Aristoteles »eine Vielfalt von Domänen [...] für Forschungsprogramme vorweggenommen« sei.

      Die abendländische Beschäftigung mit der Psyche führt also, soweit schriftlich nachgewiesen, ins 3. und 4. Jahrhundert v. Chr. zurück. Auch in Asien, in Indien und China existierten Seelenlehren innerhalb des Buddhismus, des Taoismus und des Konfuzianismus, die im Sinne von praktischer Ethik als Wegweiser der Lebensführung dienten. Sie hatten für die abendländische Psychologie in ihrer wissenschaftlichen Ausrichtung wenig Bedeutung. Als Techniken der Entspannung und Meditation fanden jedoch einige Ansätze Eingang in Therapieformen der Klinischen Psychologie.

      Augustinus

      Im Zuge der Christianisierung des Abendlandes wird auch die Philosophie »getauft«, ja schließlich als »ancilla theologiae«, als Magd der Theologie aufgefasst. Die altgriechischen Seelenvorstellungen werden im Licht des neuen Glaubens gesehen. Die Seele wird als göttliche Einhauchung verstanden; als nicht dem Körper zugehörig, wohl aber von ihm, seinen Bedürfnissen und Strebungen beeinflusst. Augustinus (354 – 430) beschreibt in seinen »Confessiones«, in »Selbstgespräche« und in »Über die Größe der Seele« die neue Auffassung, die Platonismus und christliche Glaubenslehre zu vereinbaren versucht. Gewissensforschung und Selbstbeschreibung sind seine Methoden. Die seelischen Funktionen sieht er (nach Hehlmann 1982, S. 33) als »wohl verbunden mit den äußeren Sinnen und ihren Organen... Daneben aber stehe der innere Sinn mit den bewahrenden und beziehenden Funktionen des Gedächtnisses, des Denkens, des Wollens. Sie seien spezifisch menschlich. Sie entsprechen der Trinität Gottes und repräsentieren gleichzeitig die Einheit in der Mannigfaltigkeit. Von der niederen Form der Vernunft, die sich an die Sinneserkenntnisse knüpft, unterscheidet Augustin die höheren Seelenvermögen. Mit ihrer Hilfe könne der Mensch zur Schau der ewigen Ideen aufsteigen. Diese seien jedoch nicht, wie Platon meinte, Erinnerungen aus einem früheren Leben im Ideenreiche. Der Mensch habe sie durch ›göttliche Erleuchtung‹ erhalten, und in ihnen besitze er zugleich das Werkzeug, ständig aus dem Leben im Vergänglichen aufzusteigen, um an der unveränderlichen Wahrheit teilzunehmen.«

      Mittelalter

      Die letzte Erkenntnis wird also nicht aus den Sinneserfahrungen gewonnen, sondern sie ist als Innewerden unveränderlicher Wahrheit göttlichen Ursprungs. Der Gedanke, dass der inneren Erfahrung einzig Gewissheit zukomme, dass ich an allem zweifeln könne, nur nicht daran, dass ich denke, nimmt das »cogito ergo sum« des Descartes (1596 – 1650) vorweg. Im 19. Jahrhundert greift Franz Brentano (1838 – 1917) mit seiner Bestimmung der »Intentionalität« des Psychischen wieder darauf zurück. Die Psychologie des Augustinus war bestimmend für das Mittelalter. Sie wurde weiter ausgeformt von Thomas von Aquin (1225 – 1274), den vor allem das Leib-Seele-Problem interessierte, also die Frage, wie Leib und Seele aufeinander wirken, wie die Verknüpfung vorgestellt werden kann, ob jeder Teil des Körpers beseelt sei.

      Gegen Ende des Mittelalters (bzw. der Scholastik) wendet sich das Interesse von der bis dahin vorherrschenden Beschäftigung mit den Möglichkeiten des Erkennens dem Phänomen des Wollens zu. Duns Scotus (vor 1270 – 1308) und Wilhelm von Occam (um 1300 – 1349) betonen: Der Mensch ist in erster Linie ein wollendes Wesen. Wollen ist »radikale Spontaneität« (nach Hehlmann 1982, S. 55).

      Neuzeit

      Damit ist der Übergang zur Neuzeit eingeleitet, zur Renaissance, in der nun der »ganze Mensch« im Mittelpunkt des Interesses stand. Von psychologischem Interesse sind nun die Individualität, der Einzelmensch, die Charaktererfassung. Die Leidenschaften und Affekte werden nicht mehr als »niedrige Regungen«, die es zu unterdrücken gilt – wie im theologischen Kontext des Mittelalters – aufgefasst, sondern auch sie werden untersucht. Gelehrte Ärzte verfassen Abhandlungen zur Psychologie, so Paracelsus (1493 – 1541), der den Dualismus von Leib und Seele ablehnt und den Menschen als ganzheitliches Wesen, als Mikrokosmos betrachtet. Praktischen Fragestellungen (im heutigen Sinne) widmete sich schon Juan Huarte (um 1520 – 1589). In seinen Untersuchungen über die »Prüfung der Anlagen für die Wissenschaft« findet er humorale, klimatische und zerebrale Bedingungen für die Unterschiede in Begabung und Intelligenz und schließt pädagogische und eugenische Ratschläge an.

      Die Zeit der Renaissance kann als Zeit der großen Horizonterweiterung betrachtet werden. Es war eine Zeit geographischer Entdeckungen, der Umwälzungen im Wirtschaftssystem (Einführung der Geldwirtschaft), der (eingeschränkten) sozialen Mobilität, des Aufblühens der Naturwissenschaften (Galilei, Newton), die in die Aufklärung mündete. Hier standen die Rechte des Individuums, vor allem in politischer Hinsicht, im Mittelpunkt des kämpferischen Interesses der Philosophen. Wieder geht es um die Erkenntnisfähigkeiten des Menschen, nun aber nicht mit Blick auf die Erkenntnismöglichkeit Gottes durch den Menschen,