quod non prius fuerit in sensu; nichts findet sich im Intellekt, was nicht vorher in den Sinnen war). Der Intellekt wird als »tabula rasa« beschrieben, der erst durch Sinneserfahrungen, Nachdenken (»Reflexion«) und durch Lernen gebildet wird.
19. Jahrhundert
Der Weg zur Psychologie, wie sie sich heute darstellt, wurde entscheidend geprägt durch das im Jahre 1871 erschienene Buch »Über die Abstammung des Menschen« von Charles Darwin (1809 – 1882). Der Mensch wird nun ganz und gar als Naturwesen gesehen. Damit scheinen auch alle seine Funktionen, Reaktionen und Erlebnisweisen mit den Methoden und Mitteln der Naturwissenschaften grundsätzlich erfassbar. Die »Seele« erweist sich als überflüssige Annahme. Dementsprechend propagiert C. G. Lange (1834 – 1900) eine »Psychologie ohne Seele«, ein mutiges Unterfangen, bedeutet »Psychologie« dem Wortsinne nach doch »Lehre von der Seele«.
experimentalpsychologische Schule
Im 19. Jahrhundert gibt es eine Fülle von psychologischen Ansätzen. An den Universitäten immer noch von Inhabern von Lehrstühlen der Philosophie vertreten, teilen sich die Interessen in traditionell geisteswissenschaftliche und experimentelle Psychologien. Die sich herausbildende experimentalpsychologische Schule lässt sich als physiologisch, evolutionär, atomistisch und quantifizierend beschreiben (vgl. Wertheimer 1970, S. 35). Ihre institutionelle 1879: Leipzig, erstes psychologisches Laboratorium W. Wundt Verankerung erfolgte im Jahre 1879, als Wilhelm Wundt (1832 – 1920) in Leipzig das erste experimentalpsychologische Laboratorium an einer deutschen Universität begründete (im gleichen Jahr wurde an der Harvard University durch William James das erste amerikanische Laboratorium eingerichtet, 1889 folgte die Sorbonne in Paris, 1894 das psychologische Institut in Graz, eingerichtet durch A. Meinong).
Auf diese Daten bezieht sich der eingangs zitierte Satz von Ebbinghaus. Philosophische Fragen wurden damals jedoch nicht ausgeklammert, wofür Wundt wie Brentano als Zeugen dienen können. Franz Brentano hatte 1874 seine Schrift »Psychologie vom empirischen Standpunkte« veröffentlicht, in der er seine These »Die Methode der Psychologie sei die der Naturwissenschaft mit Erfahrung als Grundlage« exemplifizierte. Er versuchte, der Psychologie ihren vollen Zuständigkeitsbereich zu retten, indem er zwei Teildisziplinen vorschlug: deskriptive und genetische Psychologie. Die genetische Psychologie sollte auf experimentellem Wege »das Seelenleben zergliedern«, die deskriptive Psychologie auf deduktivem Wege zu Theorien gelangen und die Ergebnisse allgemeingültig formulieren. Wundt dagegen wollte die experimentelle Methode nur auf elementare psychische Prozesse (etwa Messung von Empfindungsstärken) anwenden, »höhere« psychische Prozesse sind seiner Meinung nach der experimentellen Prüfung nicht zugänglich. Sie bedürften zur Erklärung hermeneutischer (geisteswissenschaftlicher) Verfahren.
Konsequenterweise wandten sich deshalb Wundts Schüler der experimentellen Forschung »einfacher Vorgänge« hauptsächlich aus dem Bereich der Sinnespsychologie zu. Unter Wundts Schülern gab es auch eine Reihe von Amerikanern, wovon der berühmteste E.B. Titchener (1867 – 1927) wurde, der die Wundtsche Psychologie in den USA bekannt machte.
Göttingen
Weitere Zentren entstanden in Göttingen, wo G.E. Müller (1850 – 1935) psychophysische Forschungen betrieb (er vertrat die Ansicht, dass jedem Berlin Psychischen ein Physisches entspreche) und in Berlin, wo H. Ebbinghaus seine bekannten Gedächtnisstudien betrieb. Ebbinghaus versuchte, die Länge der Gedächtnisspanne und die Gesetzmäßigkeiten beim Vergessen zu bestimmen, wozu er sich sinnarmer Silben als Material bediente.
Würzburger Schule
Eine erste große Kontroverse unter den »neuen« Psychologien entstand, als der Wundt-Schüler Oswald Külpe (1862 – 1915) mit seiner »Würzburger Schule« auch das Denken experimenteller Prüfung unterzog. Der herausragende Forscher dort war Karl Bühler (1879 – 1963), der der Frage nachging, »was erleben wir, wenn wir denken?« und seine Versuchspersonen anwies, in Selbstbeobachtung ihre Erlebnisse während der Lösung von Denkaufgaben genau zu beschreiben. Aufgrund der Auswertung der Ergebnisse kam Bühler zu dem Schluss, dass nicht mechanische Assoziationen (Verknüpfungen) von Vorstellungsinhalten das Denken ausmachen, sondern »reine Gedanken«, die unanschaulich sind. Die Problemlösung tritt als spezifisches »Aha-Erlebnis« auf (vgl. Bühler 1907). Wundt und seine Schule hielten diese Vorgehensweise für einen Missbrauch des Experiments (vgl. Ash/Geuter 1985, S. 51).
Am Rande soll noch vermerkt werden, dass es bei den damaligen Kontroversen nicht nur um sachliche oder methodische Fragen ging, sondern dass auch standes- und wissenschaftspolitische Interessen eine Rolle spielten. Die Philosophen fürchteten, dass durch die Zunahme an experimentalpsychologischer Ausrichtung die »eigentlichen« philosophischen Disziplinen wie Metaphysik, Erkenntnistheorie, Logik und Ethik in den Hintergrund gedrängt würden, dass »die großen Lebensfragen, die politischen, religiösen und sozialen Fragen« nicht mit Hilfe von Experimentalpsychologie zu lösen seien (Windelband zit. n. Ash/Geuter 1985, S. 52). Der Einwand war sicher nicht unberechtigt; letztlich förderte der Protest der Philosophen die institutionelle Trennung der Psychologie als eigene Disziplin von der Philiosophie.
Gestaltpsychologie
Als dritte bedeutsame Schule ist die Gestaltpsychologie zu nennen. Ihr Ausgangspunkt waren wahrnehmungspsychologische Untersuchungen und die Untersuchung von »Denkgestalten«. Hauptvertreter waren Ch. von Ehrenfels (1859 – 1932), Max Wertheimer (1880 – 1943), Kurt Koffka (1886 – 1941), Wolfgang Köhler (1887 – 1967) und Kurt Lewin (1890 – 1947). Das kennzeichnende Schlagwort für die Gestaltpsychologie lautet »Das Ganze (oder die Gestalt) ist mehr als die Summe seiner (ihrer) Teile«. Charakterisiert werden die Gestalten durch die Ehrenfels-Kriterien »Transponierbarkeit« und »Übersummativität«. Als Beispiel dient die Melodie: Ich erkenne sie auch in einer anderen Tonart. Ich höre nicht nur einzelne Töne, sondern eine »Gestalt«. In der Wahrnehmungslehre wandten sich die Gestaltpsychologen gegen die Auffassung, Wahrnehmungsgebilde seien aus atomhaften Empfindungen zusammengesetzt, also gegen den Atomismus und die »Elementenpsychologie«. Ebenso lehnten sie eine Vorstellungsmechanik (Gedanken als nur mechanisch-summative Verknüpfung von Vorstellungen) ab und wurden so zu Verbündeten der Würzburger Schule gegen die Assoziationstheorie (vgl. Müller 1971, S. 9).
Bedeutsam ist, dass »Gestalten« in einem »Feld« (einer Umgebung) eingebettet sind, das die Wahrnehmung beeinflusst, wie an einer Vielzahl von optischen Täuschungen nachgewiesen wurde.
Als kleines Beispiel diene die 9-Punkte-Aufgabe von Wertheimer.
● ● ● | Diese 9 Punkte sind durch vier gerade Linien so zu verbinden, dass jeder Punkt getroffen wird. Der Bleistift ist nicht abzusetzen. |
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Die Lösung gelingt, sobald die »Gestalt« des Quadrats durchbrochen wird.
Problemlösen, Denken, und Lernen sind also Produkte einer »Umstrukturierung« des Feldes. Nicht »trial and error«, Versuch und Irrtum im Sinne von Probieren führen zur Lösung, sondern Um-Organisation von Gestalten. Wolfgang Köhler postulierte denn auch ein »Lernen durch Einsicht«, das er den Affen in seinen Tierexperimenten zuschrieb, die Gegenstände ihrer Umgebung als Hilfsmittel benutzten, um an Futter zu gelangen, das Feld also im Sinne einer »guten Gestalt« (der Lösung der Aufgabe) umstrukturierten.
Anwendungen
Neben den mehr akademisch-theoretisch ausgerichteten Schulen etablierten sich in den 20er und 30er Jahren einige Institute, die sich auch praktischen Fragen zuwandten. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang:
William Stern
Hamburg, wo ab 1920 William Stern (1889 – 1953) entwicklungspsychologische Studien betrieb (er gilt als »Erfinder« des Intelligenzquotienten; sein mit seiner Frau Clara herausgegebenes Buch über die Kindersprache, in dem die Beobachtungen an den eigenen Kindern Grundlage waren, war weit verbreitet).
Wilhelm Peters
Jena, wo mit Wilhelm Peters (1880 – 1963) ein Entwicklungspsychologe