Hans P. Langfeldt

Psychologie


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      Charlotte und Karl Bühler

      

Wien, wo Karl Bühler (1879 – 1963) und besonders seine Frau Charlotte Bühler (1893 – 1974) entwicklungspsychologische Forschung und pädagogische Erprobung in enger Zusammenarbeit mit pädagogischen Institutionen der Stadt praktizierten. Dabei entstand u. a. der noch heute teilweise verwendete Bühler-Hetzer-Entwicklungstest für Kinder.

      1933

      Für die deutsche Psychologie bedeutete die Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahre 1933 einen verheerenden Einschnitt. Teils mit Berufsverbot belegt, teils verfolgt, mussten die meisten der angesehenen Psychologieprofessoren ihre Lehrstühle räumen. Einige waren Juden, andere in politischer Opposition. Die meisten konnten emigrieren, nach den USA, Schweden oder England. Otto Selz, der letzte Vertreter der Würzburger Schule, ein Külpe-Schüler, entkam zunächst nach Holland und wurde von dort nach Auschwitz deportiert. Wenige der Emigrierten konnten ihre früheren Forschungsarbeiten fortsetzen, sie arbeiteten dort, wo man ihnen eine Stelle anbot. Eine neue Karriere starten konnten Charlotte Bühler, die sich der Therapie widmete und in den USA zu den Mitbegründern der Humanistischen Psychologie wurde, und Kurt Lewin (1890 – 1947), der die später sehr beachteten Experimente zur Wirkung von Erziehungsstilen auf das Gruppenverhalten von Kindern durchführte und sich sozialpsychologischen Fragen zuwandte.

      Nach 1933 widmete sich die Psychologie in Deutschland, den gesellschaftlichen Umständen angepasst, vor allem den Feldern Typologie, Erbpsychologie und Rassenpsychologie. Eine Diskussion über diese Zeit hat erst spät begonnen. »Die Debatten an den Universitäten in den 60er Jahren zum Verhältnis der verschiedenen Disziplinen zum Nationalismus gingen an der Psychologie vorbei. Nichts wurde nach dem Krieg diskutiert, klammheimlich steckte man vielmehr Bereiche der Vergangenheit beiseite« (Ash/Geuter 1985, S. 173). In den Kriegsjahren wurden die psychologischen Institute geschlossen, ihre Mitarbeiter teils eingezogen, teils als Wehrmachtspsychologen (für Tauglichkeitsprüfungen und zur Auslese von Offiziersanwärtern) verwendet.

      Neuanfang

      Die Wiedereröffnung der Universitäten nach Kriegsende zeigte bei der Professorenschaft der Psychologie wenig Veränderung: Die meisten der vor dem Krieg Tätigen wurden übernommen, nur bekannt begeisterte Parteigänger wurden ausgeschlossen. Oswald Kroh (1887 – 1950), Philipp Lersch (1898 – 1972), Wilhelm Arnold (1911 – 1983) waren Vertreter der traditionellen Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie, wie sie bereits vor dem Kriege gelehrt wurde. Nach den Erfahrungen des »kollektiven Massenwahns« scheint es auch verständlich, dass die Pflege des Individuellen und die Würde der Person als Lehr- und Forschungsgegenstände populär wurden.

      Rezeption internationaler Forschung

      Ab 1950 etwa setzte sich ein neuer Trend durch, den man als die »Amerikanisierung« der Psychologie in der Bundesrepublik bezeichnen kann. Es war eine Zeit der Rezeption von Ideen, Methoden und Ansätzen, von denen die meisten zum Zeitpunkt ihrer Rezeption bereits zwei bis drei Jahrzehnte alt und in den USA längst sozial anerkannt waren. Doch waren diese Forschungen in Deutschland nicht bekannt gewesen. Erst durch jüngere Wissenschaftler, die als Stipendiaten in den USA studieren konnten und durch wenige, zögernd zurückkehrende Emigranten bekam man davon Kenntnis. Zudem sorgten von den Besatzungsmächten zur Verfügung gestellte Quellen (Bücher, Fachzeitschriften) für die Verbreitung vorher hier nicht bekannter Forschungsansätze.

      Die Lernpsychologie, die Sozialpsychologie und die Klinische Psychologie (vorher weitgehend den Psychiatern überlassen) wurden übernommen. Die Forschungen wurden teilweise repliziert. Vor allem entstand ein großes Anwendungsfeld, in dem Beratungsstellen, Schulpsychologische Dienste und Therapiezentren eingerichtet wurden.

      Obwohl man inzwischen von einer Internationalisierung der psychologischen Forschung sprechen kann, blieb die akademische Psychologie an den USA orientiert. Neben den Inhalten waren es vor allem die Methoden, die anfangs noch gegen den Widerstand der »Alten« übernommen wurden. Zum einen ging es um die Dominanz der Experimentalverfahren. Dass darüber gestritten wurde, so 1956 zwischen Peter R. Hofstätter (1913 – 1994), einem USA-Rückkehrer, und Albert Wellek (1904 – 1972), einem der dienst-ältesten deutschen Professoren damals, der auf »Intuition« als der wahren Methode zur Gewinnung psychologischer Erkenntnisse bestand, muss einen mit der Geschichte Vertrauten eigentlich wundern, waren doch die berühmten deutschen Schulen vor 1933 bereits sehr stark experimentell orientiert gewesen. Zum zweiten ging es in diesem Streit um den Wert statistischer Verfahren.

      kognitive Wende

      Die Hochschätzung quantitativer Verfahren setzte sich durch, institutionell festzumachen an der ersten Tagung experimentell arbeitender Psychologen 1959 in Marburg. Die Ausklammerung des Subjekts aus der Psychologie, die Vermeidung mentalistischer Begriffe wie beispielsweise »Intentionalität«, konnte allerdings nicht durchgehalten werden. Die kognitive Wende oder gar kognitive Revolution, wie Herzog (1984) sagt, hat eine Neuorientierung bewirkt. Dies soll anhand der Motivationspsychologie illustriert werden.

      Begriffe wie Wille oder Wollen waren zu Zeiten behavioristisch orientierter Forschung verpönt, zum einen, weil sie introspektiv zu erfassende Vorgänge darstellten, die mit der Methode der Fremdbeobachtung nicht zugänglich zu machen sind. Zum zweiten, weil der Wille den Aspekt der freien Entscheidung beinhaltet. Der sich frei entscheidende, der »autonome Mensch« war jedoch von Skinner zur Fiktion erklärt worden.

      Miller, Galanter und Pribram veröffentlichten 1960 ihr Buch über »Plans and the structure of behavior«, in dem sie den Begriff »intention« als »unvollständige Teile eines Planes, dessen Ausführung gerade begonnen hat« einführten (Miller/Galanter/Pribram 1960, S. 61, Übers. d. Verf.). Handlung entsteht aus dem Zusammenwirken von »plans«, zu deren Bestandteilen »intentions« und »images« gehören, die als interne Repräsentationen charakterisiert werden (S. 7).

      Attributionstheorie

      Weitere Impulse erhielt die kognitionspsychologische Richtung durch die Attributionstheorie. Ausgangspunkt war 1958 Fritz Heiders Buch »The Psychology of Interpersonal Relations« (deutsch 1977), in dem er den Alltagsmenschen zum Gegenstand der Psychologie machte. Seine Erforschung sogenannter naiver Konzepte und Erklärungsmodelle wies in eine neue Richtung, die sich in Deutschland beispielsweise im »Forschungsprogramm Subjektive Theorien« (Groeben/Wahl/Schlee/Scheele 1988) durchgesetzt hat.

      Heider

      Heider, der bei Meinong in Graz promoviert hatte, in Berlin bei Stern Assistent gewesen war, dort mit Kurt Lewin und Max Wertheimer, später in den USA wieder mit Lewin zusammengearbeitet hatte, ist den gestalt- und feldtheoretischen Ansätzen verbunden. Sein Ansatzpunkt geht jedoch über Lewin hinaus. Erklärte Lewin Verhalten als Funktion von Person und Umwelt, so verändert Heider den Aspekt. Anders als Lewin bezieht er sich nicht auf die tatsächlichen, auf eine Person einwirkenden psychologischen Kräfte und Verhaltensdeterminanten, sondern auf die wahrgenommenen Ursachen von Verhalten; die wahren und die wahrgenommenen Verhaltensursachen müssen keineswegs identisch sein. Mit der Betonung der »wahrgenommenen« Ursachen spricht Heider nichts anderes an als den Vorgang der »inneren Wahrnehmung« im Sinne von Meinong und Brentano. So lässt sich also für diese Zeit (dem allmählichen Aufkommen der Kognitionspsychologie) mit Pinker (1998, S. 110) feststellen:

      »Bevor Newell und Simon sowie die Psychologen George Miller und Donald Broadbent in den fünfziger und sechziger Jahren Ideen aus der Computertechnik aufgriffen, war die Psychologie nur langweilig. Ihr Studiengang bestand aus physiologischer Psychologie (das heißt Reflexe) und Wahrnehmung (das heißt Piepser), Lernen (das heißt Ratten), Gedächtnis (das heißt sinnlose Silben), Intelligenz (das heißt IQ) und Persönlichkeit (das heißt Tests). Seitdem hat die Psychologie viele Fragen der klügsten Denker der Menschheitsgeschichte ins Labor geholt und Tausende von Entdeckungen gemacht, die alle Aspekte des Geistes betreffen.« Kluwe (2001, S. 1) hält diese Einschätzung »bezüglich der Entwicklung nach 1960 auch für den deutschsprachigen Raum für zutreffend.«

      Neben der Kognitionspsychologie, die Wissen und Denken, Sprache und Textverarbeitung, Motivation und Handlung untersuchte, etablierten sich die Biologische Psychologie (Pinel/Pauli 2007) und die Neuropsychologie,