Ihr Ziel ist die Emanzipation von Frauen aus den gegebenen, als patriarchalisch betrachteten Verhältnissen. Dieses Ziel der Aufhebung von Ausbeutung und Unterdrückung von Frauen bestimmt ihr wissenschaftliches Handeln. Sie ist entschieden parteiisch. Sie betrachtet bisherige Vorgehensweisen in der Wissenschaft als »Instrument zur Herrschaftssicherung« (Mies 1987, S. XX) und propagiert statt dessen »aktive Teilnahme an emanzipatorischen Aktionen und die Integration von Forschung in diese Aktionen. Dies bedeutet ferner, dass die Veränderung des Status Quo als Ausgangspunkt wissenschaftlicher Erkenntnis angesehen wird. Das Motto für diese Vorgehensweise könnte sein: »Um ein Ding kennenzulernen, muß man es verändern« (Mies 1987, S. XX). Der prinzipielle Herrschaftsverdacht traditionellen Formen und Verfahren wissenschaftlicher Tätigkeit gegenüber stellt auch das Prinzip der Beobachtung in Frage, da die Erkenntnisgewinnung über das Beobachten, d. h. das Sehen, als männlich geprägte Erkenntnisweise betrachtet wird (Mies 1987). Erkenntnismöglichkeiten über andere Sinnesmodalitäten (Hören, Fühlen) werden diskutiert.
Konstruktivismus
Der Konstruktivismus hat sich im Zuge der Postmoderne als Wissenschaftsauffassung etabliert; eine programmatische Darstellung in der Psychologie ist die von Gergen (1985). Die Konstruktivistin will das Selbst- und Weltverständnis von Menschen zum einen in Frage stellen und zum anderen zeigen, dass dieses auf der Grundlage kulturell vorgegebener Muster erfolgt. Sie nimmt psychologische Phänomene gleichsam nicht für bare Münze, sondern fragt nach den Redeweisen, in denen solche Phänomene erwähnt werden. Sie hält solche Phänomene – kurz gesagt – für gesellschaftliche Erfindungen, z. B. die Erfindung der »Mutterliebe« (vgl. Badinter 1999). Den Gründen und Folgen solcher Erfindungen sucht sie auf die Spur zu kommen. Ein Verfahren, das sie dabei einsetzt, ist die Dekonstruktion, d. h. das kritische Hinterfragen selbstverständlich erscheinender Annahmen, Vorstellungen und Denkgewohnheiten. Die Konstruktivistin hat in besonderer Weise Abstand zu den Dingen, die sie untersucht, und nimmt eine Haltung an, die auch als ironisch gekennzeichnet wird – sie betrachtet Phänomene nicht als real, sondern als kulturell ausgedachte Konstruktionen, die entsprechend nicht ernsthaft als Gegenstände der Wirklichkeit untersucht werden können.
2.4.2. Zusammenfassende Übersicht
Im Schema Übersicht über verschiedene Wissenschaftstheorien auf S. 33 stellen wir die verschiedenen Auffassungen stichwortartig noch einmal gegenüber. Um die Unterschiedlichkeit deutlich zu machen, wählen wir ein psychologisches Untersuchungsphänomen, »Liebe«, und zeigen, wie dieses Phänomen in den verschiedenen Wissenschaftsauffassungen zum Thema gemacht werden würde.
2.5. Forschungsmethoden in der empirischen Psychologie
Wissenschaftliche Tätigkeit zeichnet sich durch ein begründetes und kontrolliertes Vorgehen bei der Gewinnung von Erkenntnissen aus. Eine Wissenschaftlerin muss bei der Mitteilung ihrer Erkenntnisse die Frage »Woher weißt Du das?« sehr genau und ausführlich beantworten können. Innerhalb der Psychologie haben sich bestimmte Vorgehensweisen oder Methoden eingebürgert bzw. durchgesetzt, die die Wissenschaftlerin bei ihrer Erkenntnisgewinnung anleiten. Die Leistung solcher Methoden besteht darin, dass sie den Erkenntnisprozess systematisieren und kontrollieren. Im Rahmen der empirischen Psychologie spielen u. a. die folgenden Bewertungskriterien eine Rolle:
Objektivität: die Methode soll Ergebnisse liefern unabhängig von der Person, die die Methode einsetzt. Das bedeutet: Wenn mehrere Personen ein und denselben Gegenstand untersuchen, sollte jeweils dasselbe Ergebnis herauskommen.
Reliabilität
Reliabilität: die Methode sollte beim Untersuchungsobjekt immer wieder zu demselben Ergebnis führen. Das bedeutet: Wenn ein und derselbe Gegenstand mit der Methode zu unterschiedlichen Zeiten untersucht wird, sollte sich jeweils dasselbe Ergebnis finden – vorausgesetzt, dass der Gegenstand selbst sich nicht verändert.
Validität
Validität: die Methode soll den Gegenstand erfassen können, der untersucht werden soll. Das bedeutet: Wenn ein bestimmtes Merkmal (z. B. »Intelligenz«) einer Person untersucht werden soll, dann sollte die Methode wirklich genau dieses Merkmal erfassen und nicht noch ein anderes (z. B. »Aufmerksamkeit«).
Diese Gütekriterien sind im Rahmen des Kritischen Rationalismus (siehe Abschnitt 2.4.) entwickelt worden. Inwieweit sie auf das Vorgehen im Rahmen anderer Methodologien angewendet werden können, ist daher umstritten (zur Entwicklung anderer Gütekriterien vgl. Nothdurft 1998, S. 54ff.). Aber selbst wenn die Kriterien anerkannt werden, gilt: Psychologische Methoden erfüllen diese drei Kriterien niemals vollständig, sondern jeweils nur annäherungsweise. Dies macht es notwendig, stets abzuwägen, unter welchen Umständen welches Kriterium am wichtigsten ist.
Kritischer Rationalismus | Kritische Theorie | Grounded Theory | Feminismus | Konstruktivismus | |
Selbstverständnis als Wissenschaftlerin | objektiv analytisch Distanz zum Untersuchungsobjekt | politisch-kritisch dialektisch | verstehende Haltung Untersuchungsobjekt gegenüber ethnographisch | parteiisch emanzipatorisch Identifikation mit Untersuchungsobjekt | historisch-kritisch dekonstruktivistisch ironisch sprachanalytische Haltung zum Untersuchungsobjekt |
Prinzipien des Vorgehens | Ableitung von Hypothesen aus Theorien kontrollierte Beobachtung kritische Prüfung des Vorgehens Wertfreiheit der Erkenntnis | allgemeine gesellschaftliche Widersprüche an Phänomenen des Psychischen aufzeigen und bewusst machen | empirisch geleitete Hypothesenbildung Beobachtung Binnenperspektive des Untersuchungsobjekts rekonstruieren (subjektiver Sinn) | »Um ein Ding kennenzulernen, muss man es verändern« Forschung muss Beitrag zum Emanzipationsprozess leisten Integration von Forschung in politische Aktion | Aufzeigen des untersuchten Phänomens als historisch-kulturell konstruiert |
Vertreter | Karl Popper | Theodor W. Adorno | Anselm Glaser & Barney Strauss | Carol Gilligan | Kenneth Gergen |
typischer Text | Quantitative Studie | Essay Qualitative Studie | Qualitative Studie | Manifest | Essay |
Beispiel »Liebe« | »Messung emotionaler Erregungszustände von Jugendlichen in Abhängigkeit von …« | »Das Durchschlagen kapitalistischer Grundwidersprüche auf die Entwicklung intimer Beziehungen von Jugendlichen« | »Das interaktive Management von Flirtbeziehungen in US-amerikanischen Großstadtbars« | »Maßnahmen gegen die Unterdrückung weiblicher Empfindungsfähigkeit in patriarchalischen Arbeitsstrukturen« | »Die Konstruktion erotischer Handlungsmuster im französischen Film der 30er Jahre« |
Schema: Übersicht über verschiedene Wissenschaftstheorien
Zwei wichtige Methoden in der Psychologie werden im Folgenden vorgestellt:
das Experiment
die Feldforschung.
Experiment
Im Experiment werden Individuen, Versuchspersonen (Vpn) im Rahmen eines experimentellen Designs systematisch und kontrolliert Reizen ausgesetzt und dann ihre Reaktionen beobachtet und erfasst (gemessen). Ziel ist die Feststellung von Ursache-Wirkungsbeziehungen (»wenn ..., dann ...«).
Die Vorteile von Experimenten liegen auf der Hand. Es kann präzise das untersucht werden, was untersucht werden soll. Im Idealfall können Ursache-Wirkungs-Beziehungen eindeutig identifiziert werden. Dies gelingt um so besser, je restriktiver, also »künstlicher« die experimentelle Situation ist. Experimente eignen sich so vorzüglich zur Prüfung spezifischer Hypothesen. Dieser Vorteil muss mit einem Nachteil erkauft werden: Je künstlicher die Experimentalsituation ist, desto schwieriger wird die Übertragung der Ergebnisse auf natürliche Situationen.
Das experimentelle Vorgehen soll an einem Beispiel näher