Hans P. Langfeldt

Psychologie


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und vorherzusagen. Dies wird durch die nachfolgende Abbildung noch einmal verdeutlicht.

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      Schema: Der Zusammenhang von Indikatoren und hypothetischen Konstrukten

      Wenn beispielsweise ein Kind weint, kann es viele Gründe dafür geben: Es hat vielleicht Bauchschmerzen, es ist geschlagen worden oder es ist traurig. Wir werden es sicherlich zu trösten versuchen. Wir haben aber zunächst keine Möglichkeit, vorherzusehen, welche Konsequenzen folgen. Nehmen wir an, wir kämen zu der Hypothese, dies Kind sei besonders schulängstlich und fürchte sich vor der angekündigten Mathematikarbeit. Wir werden dann erwarten, dass das Kind zwei Tage später bei der Klassenarbeit aufgeregt sein wird, vielleicht wieder weinen und nicht seine optimale Leistung zeigen wird oder sich sogar weigern wird, in die Schule zu gehen.

      Schematisch lässt sich der Zusammenhang des Erklärens und Vorhersagens folgendermaßen darstellen:

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      Schema: Der Zusammenhang von Schlussfolgerungen und Vorhersagen

      Daten über hypothetische Konstrukte bergen eine Vielzahl von Problemen in sich: Sind die konkret beobachteten Verhaltensweisen wirklich Hinweise auf das hypothetische Konstrukt? Ist das hypothetische Konstrukt hinreichend definiert? Sind die notwendigen Beobachtungen angemessen? Solche Probleme können nur gelöst werden, wenn der Zusammenhang zwischen Empirie (Daten) und Theorie erhalten bleibt.

      Theorie und Empirie

      Zusammenfassend kann man also sagen: Nur Theorien systematisieren die empirischen Sachverhalte (Daten) und geben ihnen einen Sinn. Nur aufgrund von Theorien sind Vorhersagen über empirische Sachverhalte möglich. Andererseits entscheidet sich nur in der Empirie das Zutreffen von Theorien.

      Messen

      Bleiben wir beim Beispiel der Frage nach Aggressivität und dem Konsum von Horror-Videos. Will man diese Frage im Sinne der Frage nach einem Ursache-Wirkungs-Zusammenhang verfolgen, kommt man an einen Punkt, an dem man die Jugendlichen miteinander vergleichen muss: Wer hat mehr Videos konsumiert? Wer ist aggressiver als die anderen? An diesem Punkt kommt man zur Quantifizierung von Daten bzw. zur Messung. Messen bedeutet zunächst nichts anderes als »vergleichen«. Personen werden in irgendeiner Weise hinsichtlich eines bestimmten Merkmals miteinander verglichen. Wer sagt »Frau Maier ist mir sympathischer als ihr Mann« hat nach dieser Definition bereits eine (einfache) Messung durchgeführt und die Ungleichheit zweier Personen unter dem Aspekt »meine Sympathie« festgestellt. Wenn die Psychologie von Messen spricht, so beansprucht sie damit also keinesfalls, den Menschen als solchen auszumessen, wie gelegentlich geargwöhnt wird. Messvorgänge geben Auskunft über Gleichheit oder Ungleichheit von Personen hinsichtlich eines bestimmten definierten Merkmals. Nun sind die Ergebnisse solcher Vergleiche nicht bei jedem Merkmal gleich informativ. Am wenigsten informativ ist das Messergebnis, wenn es nur aussagt, ob etwas gleich oder ungleich ist. Wesentlich informativer wird das Messergebnis, wenn es zusätzlich anzugeben vermag, wie stark die Ungleichheit ausgeprägt ist. Psychologie als Wissenschaft strebt möglichst informative Messergebnisse an. Deshalb ist die Entwicklung von Theorien über Messvorgänge und eine »Instrumentenkunde« zur Entwicklung und Bewertung psychologischer Messinstrumente eine wesentliche Aufgabe der Psychologie. Die Bewältigung größerer Mengen gemessener Daten erfolgt durch Verfahren der Statistik.

      deskriptive Statistik

      Betrachten wir mehrere Daten einer oder mehrerer Personen, so sind wir schnell überfordert und verlieren leicht den Überblick. In dieser Situation hilft die beschreibende oder deskriptive Statistik: Sie systematisiert und stellt Daten so dar, dass ein Überblick möglich wird. In dieser Form begegnet uns Statistik nahezu täglich. Arbeitslosenquote, Anstieg der Kriminalität, Marktanteile bei Pkw-Zulassungen, Prozentzahl vermeintlich verhaltensgestörter Grundschüler, Wachstum des Bruttosozialproduktes und vieles mehr sind statistische Informationen in den Tageszeitungen oder Nachrichtensendungen.

      Die gegenwärtige psychologische Literatur ist nur noch mit Kenntnis einschlägiger deskriptiv-statistischer Begriffe zu verstehen. Dies wird auch im weiteren Text dieses Lehrbuches teilweise so sein. Statistische und methodische Begriffe lassen sich im umfangreichen Lexikon der Psychologie (Wirtz 2014) nachschlagen. Im Folgenden werden einige häufig auftretende Grundbegriffe kurz erläutert.

      Häufigkeiten

      Einsicht in die Struktur von Daten und damit über die Ergebnisse sind im Wesentlichen durch Häufigkeitsangaben, Angaben über zentrale Tendenzen und Variation sowie über Zusammenhänge (Korrelationen) von Merkmalen zu erhalten. Häufigkeiten geben an, wie oft bestimmte Merkmale oder Merkmalsausprägungen vorkommen. Die Darstellung geschieht in Tabellen oder Diagrammen; absolute und relative (Prozent-)Angaben sind möglich.

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      zentrale Tendenz

      Maße der zentralen Tendenz beschreiben einen Wert, der für eine Gruppe von Objekten (Personen) typisch ist. Bekanntestes Beispiel ist das arithmetische Mittel oder Mittelwert (umgangssprachlich: Durchschnitt). Im Beispiel der Mathematiknoten ergibt sich als Mittelwert: M = 2,94.

      Variation

      Maße der Variation enthalten die Information, wie weit die einzelnen Messwerte vom festgestellten Mittelwert abweichen. Diese Information ist wichtig; schließlich können die einzelnen Messwerte sehr stark oder sehr wenig vom Mittelwert abweichen. Das bedeutsamste Maß ist die Standardabweichung (bzw. die Varianz als quadrierte Standardabweichung). Geometrisch dargestellt entspricht die Standardabweichung dem Abstand zwischen Höhepunkt und Wendepunkt in der Normalverteilung (auch bekannt als Gaußsche Kurve). Je höher der Wert der Standardabweichung, desto stärker streuen die einzelnen Messwerte um den Mittelwert.

      Im vorigen Beispiel der Schulnoten ergibt sich eine Standardabweichung von s = 1,03 bzw. eine Varianz von s2 = 1,06.

      Korrelation

      Korrelationsmaße beschreiben den Zusammenhang zwischen zwei Merkmalen. Er wird durch Korrelationskoeffizienten ausgedrückt. Diese bewegen sich im Zahlenbereich von -1,0 bis +1,0. Eine Korrelation mit positivem Vorzeichen beschreibt eine gleichsinnige Variation der Merkmale (wenn A ansteigt, dann steigt auch B an). So besteht beispielsweise eine positive Korrelation zwischen »Intelligenz« und »Schulleistung«. Je höher die Intelligenz einer Person, desto höher ist, mit bestimmter Wahrscheinlichkeit, auch ihre Schulleistung. Eine negative Korrelation beschreibt eine gegenläufige Variation der beiden Merkmale (wenn A ansteigt, dann sinkt B ab). Ein Beispiel einer negativen Korrelation ist der Zusammenhang zwischen Nikotinkonsum und Lebenserwartung. Je höher der Nikotinkonsum einer Person, desto niedriger wird, mit bestimmter Wahrscheinlichkeit, ihre Lebenserwartung.

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      Schema: Mittelwert und Standardabweichung in einer Normalverteilung

      Korrelationen sagen nichts über Ursache-Wirkungs-Beziehungen aus. Man erfährt nur, dass ein bestimmter Zusammenhang zwischen zwei Merkmalen besteht und nicht warum. Zur sprachlichen Kennzeichnung von Korrelationskoeffizienten hat sich folgende Konvention herausgebildet (ohne Berücksichtigung des Vorzeichens):

0,0 bis 0,2:»kein Zusammenhang«
0,2 bis 0,4:»geringer Zusammenhang«
0,4 bis 0,6:»mittlerer Zusammenhang«
0,6 bis 0,8:»hoher Zusammenhang«
0,8 bis 0,9:»sehr hoher Zusammenhang«
1,0:»perfekter Zusammenhang«

      Beschreibende Statistik ist nur ein Hilfsmittel, einen Überblick zu erhalten, der sonst nicht erreichbar wäre. Wichtiger jedoch ist die Frage, ob die damit beschriebenen Ergebnisse auf Regeln oder Gesetzmäßigkeiten schließen lassen, die verallgemeinert werden können. Dieses Problem wird in der Schließenden