Räume, verändern ihr Mobiliar (die Ersetzung von Bänken durch Stühle) und führen persönliche Gerätschaften ein (z. B. Essbesteck). Diese Lebensweise und dieses Lebensgefühl befördern den Gedanken des inneren persönlichen Raumes, der für die Vorstellung des inneren privaten Ichs Pate gestanden hat.
Die Bedeutung des Spiegels
Im Zuge der zivilisatorischen Entwicklung können außerdem bestimmte, einzelne technische Erfindungen von besonderer Bedeutung für die Förderung des modernen Selbstverständnisses gewesen sein. »Der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan meint, dass die Entwicklung des »Je« durch die Spiegelherstellung gefördert wurde, (es) lässt sich nicht entscheiden, ob die Überzeugung des Menschen, ein »Je« zu sein, sich herausbilden konnte, weil die venezianischen Handwerker gelernt hatten, wie man Spiegelglas herstellt, oder ob umgekehrt das Bedürfnis nach Spiegeln diese technische Neuerung angeregt hat« (Trilling 1980, S. 31).
Autobiographie als Modell
Die Entstehung – oder Erfindung – des eigenen, persönlichen, individuellen Ichs wird weiterhin gefördert durch die Entwicklung einer neuen Schreibform, der Autobiographie, der Selbstbeschreibung, des Tagebuchs. Autobiographien lieferten den Menschen gleichsam Modelle, wer sie sind und wie sie sind, an denen sie sich orientieren konnten angesichts der neuen Frage: »Wer bin ich?«. Diese Frage wird den modernen Menschen nicht mehr loslassen. Psychologische Persönlichkeitstheorien sind Versuche, auf sie eine Antwort zu finden.
Philosophie | Politik/Wirtschaft | Alltagspraxis | Gesellschaft | |
traditionelle Auffassung | Ordnung in der Welt | Mensch Bestandteil einer größeren Gemeinschaft | kollektiver Lebensvollzug | regelloses Handeln |
Veränderung | reflexive Wende | Atomismus | Privatisierung | Überwachung |
neuzeitliche Auffassung (17. Jhdt.) | Ordnung im Subjekt | Einzelsubjekt autonom, souverän mit eigenem Willen | private Räume privates Mobiliar private Geräte | Institutionalisierung (Militär, Schule, Anstalten) u. Bürokratisierung |
Leitbegriff | Vernunft | Autonomie | Individualität | Kontrolle |
Schema: Zivilisatorische Entwicklungslinien der Ausbildung des modernen Selbstkonzeptes
3.1.3. Person als Gegenstand der Psychologie
Gleichheit und Verschiedenheit können als grundsätzliche Charakteristika allen Lebens gesehen werden. Trotz vieler Gemeinsamkeiten sind die Angehörigen einer Art durch mindestens ebenso viele Unterschiede gekennzeichnet. Jeder Mensch erlebt sich auf seine Weise einzigartig und unterscheidet sich darin von allen anderen Menschen, von welchen Gemeinsamkeiten mit anderen, wie etwa Rasse, Geschlecht, Fähigkeiten Vorstellungen, Vorlieben oder Abneigungen er auch sonst geprägt sein mag. Unverwechselbar, »Ich selbst«, ein »Individualist« zu sein und eben nicht »Rädchen im Getriebe« oder »Teil einer Masse« sein zu wollen, diese Zielvorstellung bestimmt in vielen Situationen unser tägliches Leben. Wir betonen die Unterschiede zwischen uns und unseren Mitmenschen. Gleichzeitig betonen wir aber auch unsere Gleichheit. Kleidung, Sprache, Hobbys oder Freizeitverhalten zeigen häufig unser Bemühen, so zu sein wie andere. Für viele von uns ist es wichtig, zu wissen, was »in« und was »out« ist.
Die Frage von Gleichheit oder Verschiedenheit ist vorwiegend die Frage der Genauigkeit, mit der wir Personen wahrnehmen. Je genauer wir einzelne Personen beobachten und kennen, desto mehr kann sich eine zunächst wahrgenommene Gleichheit zur Ähnlichkeit oder gar Unterschiedlichkeit auflösen. Umgekehrt ist es ebenso möglich, dass wir erst nach intimer Kenntnis von Personen Ähnlichkeiten wahrnehmen, die uns vorher verborgen geblieben waren.
Differenzielle Psychologie
Die Suche nach Gleichheit und Verschiedenheit zwischen Menschen führt zwangsläufig zur Beobachtung einzelner, möglicherweise immer spezifischeren Charakteristika oder Merkmalen von Personen. In der Regel nehmen wir in unserem Bekanntenkreis deutliche Unterschiede zwischen den Personen wahr. Wir haben Eindrücke über ihre Intelligenz, ihr Selbstvertrauen, ihre Sportlichkeit oder Musikalität, über ihre Ängstlichkeit oder Aggressivität und vieles mehr. Solche wahrgenommenen individuellen Unterschiede beeinflussen wesentlich die soziale Interaktion im Privatleben, ebenso wie im Erziehungswesen oder im Berufsleben. Spätestens wenn Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion auftreten, können Theorien und Befunde der Differenziellen Psychologie hilfreich sein. Dabei geht es um:
die Beschaffenheit von Merkmalen mit interindividuellen Differenzen,
das Ausmaß und die Ursachen dieser Differenzen,
die wechselseitigen Abhängigkeiten differierender Merkmale sowie
deren Beeinflussbarkeit durch Erziehung, Training oder Umwelteinflüsse (siehe Amelang/Bartussek 2010, S. 4).
Es gelingt nicht, eine generelle Bedeutsamkeit einzelner Persönlichkeitsmerkmale festzulegen, einfach deswegen, weil sie immer nur für etwas wichtig sind. Es hängt im Wesentlichen von der Situation ab, in der nach bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen gefragt wird. Bei Berufswahlsituationen mag »Intelligenz« sehr wichtig sein, bei der Rehabilitation von Alkoholikern etwa »Aggression« und bei Adoptionsentscheidungen »prosoziales Verhalten«.
Für die Angehörigen sozialer Berufe wird die psychologisch-wissenschaftliche Betrachtungsweise von Persönlichkeitsmerkmalen und den interindividuellen Unterschieden immer dort bedeutsam, wo zu irgendwelchen Zwecken psychologische Gutachten erstellt und interpretiert werden müssen. Während das Erstellen solcher Gutachten eindeutig eine ausschließliche Aufgabe von Psychologen ist (oder zumindest sein sollte), sind Angehörige sozialer Berufe nicht selten vor die Aufgabe gestellt, solche Gutachten zu interpretieren und daraus Schlussfolgerungen ziehen zu müssen. Dazu sollen zwei grundlegende Gesichtspunkte der psychologischen Personenbeschreibung diskutiert werden:
Die Annahmen über Art und Ausmaß von Personenunterschieden und
die speziellen Schwierigkeiten der sprachlichen Formulierung.
3.1.4. Die Normalverteilung als Modell zur quantitativen Beschreibung von Unterschieden
Wenn sehr viele Personen gemessen werden, dann ergibt sich bei vielen Merkmalen als charakteristische Verteilungsform der Messwerte eine Normalverteilung oder Gaußsche Glockenkurve.
Beispiel
Betrachten wir zur Demonstration einmal die relative Häufigkeitsverteilung des komplexen psychischen Merkmals emotionale Erregbarkeit. Dazu bearbeiteten 1.237 Jugendliche 21 Fragen entsprechenden Inhalts. Die Abbildung zeigt, wie viele Jugendliche wie viele Fragen im Sinne von emotionaler Erregbarkeit beantworteten.
empirische Häufigkeitsverteilung, mit der Jugendliche Fragen zur »emotionalen Erregbarkeit« beantworten (nach Daten von Seitz/Rausche 1976, S. 65)
hypothetische Verteilung
Die Häufigkeitsverteilung lässt erkennen: Die meisten Jugendlichen liegen in einem mittleren Bereich (etwa 5 – 13 Fragen), einige liegen darüber oder darunter, Extremwerte 0 oder 1 bzw. 20 oder 21 Fragen sind selten.
Solche Befunde führen zur sinnvollen Hypothese, dass psychische Merkmale sich häufig auf der Grundlage von Normalverteilungen beschreiben lassen. Sie wird so zum grundlegenden Modell zur quantitativen Beschreibung von Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit bei Personen hinsichtlich eines definierten Merkmals. Die Mehrzahl der Personen