Weise an das Thema Persönlichkeit heran gehen:
die psychoanalytische Theorie von Sigmund Freud,
die humanistische Persönlichkeitstheorie von Carl Rogers,
die sozialkonstruktivistische Persönlichkeitstheorie von Kenneth J. Gergen.
3.2.2. Sigmund Freud: Die psychoanalytische Theorie
von Maria Langfeldt-Nagel
Sigmund Freud ist populär wie wenige andere Wissenschaftler. Seine Theorien sind von einem breiten Publikum aufgegriffen, sowie in der Literatur, der Malerei und in Filmen verarbeitet worden. In weiten Bereichen der Psychotherapie, aber auch in der Pädagogik, bilden seine Konzepte und Methoden die Grundlage für die Erklärung individuellen Verhaltens und für Interventionen.
Sigmund Freud wurde 1856 in Mähren geboren und wuchs in Wien auf, wo er Medizin studierte und die meiste Zeit seines Lebens verbrachte. Ein Studienaufenthalt in Paris beim Psychiater Jean Charcot war der erste Schritt in die Richtung, die er schließlich einschlug; ein weiterer war die Zusammenarbeit und Freundschaft mit dem Wiener Internisten Josef Breuer. Freuds Ansichten brachten ihn in der prüden Wiener Gesellschaft in mancherlei soziale Schwierigkeiten; hinzu kam offener Antisemitismus. Seine wissenschaftliche Anerkennung fand er außerhalb Wiens. Aber auch seine Anhänger wie Alfred Adler, Carl Gustav Jung oder Wilhelm Reich sagten sich von ihm los und gründeten eigene psychoanalytische Schulen. Freud emigrierte 1938 nach London, wo er ein Jahr später starb.
Zu der Zeit, als Freud anfing, als Nervenarzt zu arbeiten, war gängige medizinische Lehre, dass Neurosen durch eine genetisch bedingte Nervenschwäche bedingt seien. Möglichkeiten ihrer Behandlung sah man daher kaum. Während eines Studienaufenthaltes in Paris im Jahre 1885 beschäftigte Freud sich mit der Hysterie und lernte die Hypnose kennen.
Hypnose
Durch Hypnose konnten für kurze Zeit hysterische Symptome sowohl erzeugt als auch zum Verschwinden gebracht werden. Freud folgerte daraus, dass psychische Prozesse, die den Patienten oder Patientinnen selbst nicht zugänglich sind, Ursache für die hysterischen Symptome seien. Dies war eine völlig neue Sichtweise, die auf Ablehnung und Unverständnis stieß.
Zurück in Wien, wo er eine psychiatrische Praxis gegründet hatte, arbeitete Freud mit Josef Breuer zusammen. Dieser ließ seine Patienten und Patientinnen in den Behandlungssitzungen intensiv reden. Mit dieser Methode der »Redekur« glaubte er zu den psychischen Ursachen der Störungen vorzudringen.
freie Assoziation
Freud entwickelte die Redekur zur Methode der freien Assoziationen weiter. Die Patienten und Patientinnen wurden verpflichtet, alles, was ihnen durch den Kopf ging, mitzuteilen. Eine willkürliche Lenkung oder Zensur sollte vermieden werden. Die Annahme war, dass das, was unter diesen Umständen gesagt wurde, durch unbewusste Motive bestimmt sei. Somit konnte mit der Methode der freien Assoziationen ein Zugang zu den unbewussten psychischen Prozessen gefunden werden. Diese Methode nannte Freud Psychoanalyse. Mit ihr konnte eine neue Welt von Daten erschlossen werden.
Traumdeutung
Eine weitere psychoanalytische Methode ist die der Traumdeutung. Während des Schlafens ist die bewusste Kontrolle herabgesetzt und unbewusste Prozesse können in verschlüsselter Form im Traum wahrgenommen werden. Eine Entschlüsselung der Trauminhalte müsste daher diese unbewussten Prozesse aufdecken.
Freud unterschied zwei Gruppen unbewusster Phänomene. Einige Inhalte können durch verstärkte Aufmerksamkeit ohne größere Schwierigkeiten ins Bewusstsein geholt werden. Diese nannte er vorbewusst. Andere wiederum können erst nach einigem Widerstand und erheblichem Aufwand durch die Psychoanalyse zugänglich gemacht werden. Freud bezeichnet solche als unbewusst. Zwei grundlegende Hypothesen begründen Freuds Theorie (Zusammenfassung bei Brenner 2000 oder Gay 2006):
(1) Psychische Prozesse sind selten bewusst. Freud ist zwar nicht der Entdecker des Unbewussten. Er betonte jedoch wie kein anderer vor ihm den Einfluss des Unbewussten auf das Erleben und Verhalten.
(2) Alle psychischen Prozesse sind durch vorhergehende bedingt. Nichts geschieht zufällig. Bei jedem Phänomen, und sei es noch so unverständlich, kann daher gefragt werden, wodurch es verursacht wurde. Dies gilt für »normales« Verhalten und Erleben ebenso wie für Auffälliges.
Verführungstheorie
Die Verführungstheorie: Im Jahre 1896 hielt Freud vor dem Verein für Psychiatrie und Neurologie in Wien einen Vortrag mit dem Titel »Zur Ätiologie der Hysterie« (Freud 1896). Darin entwickelte er die Theorie, dass Hysterien auf sexuelle Verführung im Kindesalter zurückzuführen seien.
Mit Hilfe der analytischen Methode war er bei Patientinnen und Patienten mit hysterischen Symptomen (zwölf Frauen und sechs Männer) auf sexuellen Missbrauch in der Kindheit durch Väter, Lehrer oder Dienstpersonal gestoßen. Den Patienten und Patientinnen waren die traumatischen sexuellen Erlebnisse zunächst nicht bewusst und es war ein langer und schwieriger Weg, die Erinnerungen daran freizulegen.
Freud versuchte eindringlich und mit großer Klarheit, den Zuhörern seine Ergebnisse auseinander zu setzen. Er ging selbst auf mögliche Einwände ein. Er führte aus, dass die massive Abwehr der Erinnerungen dagegen spräche, dass die Misshandlungen phantasiert worden waren. Zudem sprächen eine Reihe weiterer Gründe für die Richtigkeit seiner Entdeckung. So wurden die Symptome durch die Art der Misshandlung verständlich und durch das Erinnern und nochmalige Durchleben konnten Teilerfolge in der Therapie erreicht werden. In zwei der Fälle konnte die sexuelle Misshandlung durch dritte Personen bestätigt werden (Masson 1991).
Reaktion
Die Reaktion auf den Vortrag war eisig. Er stieß auch bei seinen Befürwortern und Freunden auf einhellige Ablehnung. Wenige Jahre nach diesem Vortrag nahm Freud von seiner »Verführungstheorie« Abstand. Als Grund gab er an, dass sexueller Missbrauch von Kindern so häufig gar nicht vorkommen könne. Da das Unbewusste ohnehin nicht zwischen Realität und Phantasie unterscheiden könne, sei es auch nicht wesentlich, ob der sexuelle Missbrauch tatsächlich stattgefunden habe oder nicht. Die Verführungstheorie wurde durch die bekanntere Triebtheorie ersetzt.
Triebtheorie
Die Triebtheorie: Freud blieb bei seiner Annahme, dass neurotische Symptome durch Verdrängungen von Regungen aus dem Sexualleben stammen. Diese seien jedoch nicht in realen Erlebnissen begründet, sondern in Wunschvorstellungen der Kinder. Dazu musste allerdings postuliert werden, dass der Sexualtrieb bereits bei Säuglingen ausgeprägt ist.
Triebe sind das, was die Psyche antreibt. Sie werden von Freud als psychische Energie verstanden, die in Handlungen verbraucht wird. Wenn eine bestimmte Menge an Energie vorhanden ist, bilden sich Triebspannungen. Die Sexualtrieb Psyche strebt danach, diese Spannungen zu lösen und drängt auf Triebabfuhr. Der wichtigste, alles dominierende Trieb ist in Freuds Sicht der Sexualtrieb, der sich nicht nur genital äußert. Seine Energie nannte er Libido (Später stellte Freud dem Sexualtrieb einen Todestrieb gegenüber.). Der Begriff der Sexualität wurde in diesem Konzept sehr ausgeweitet. Berühren, Beißen, Zeigen usw. können als sexuelle Betätigungen aufgefasst werden. Auch der Wunsch nach Nähe und Geborgenheit und die Bindung der Kinder an ihre Eltern ist nach Freud sexuellen Ursprungs.
Freud (1921, S. 85) formuliert dies selbst so: »Der Kern des Liebe geheißenen bildet natürlich die Geschlechtsliebe mit dem Ziel der geschlechtlichen Vereinigung. Aber wir trennen davon nicht ab, was auch sonst an dem Namen Liebe Anteil hat, einerseits Eltern- und Kindesliebe, die allgemeine Menschenliebe, auch nicht die Hingabe an konkrete Gegenstände oder abstrakte Ideen. Unsere Rechtfertigung liegt darin, dass die psychoanalytische Untersuchung uns gelehrt hat, alle Strebungen seien Ausdruck der nämlichen Triebregungen, die zwischen den Geschlechtern zur geschlechtlichen Einigung hindrängen.«
Entwicklung
Die psychosexuelle Entwicklung: