ließen. Nach diesen Ergebnissen (Bromley 1977, zit. n. Schneewind 2010, S. 19 – 22) werden in Alltagsbeschreibungen von Personen folgende Inhalte verwendet:
Dimensionen von Personenbeschreibungen
(1) interne Aspekte der Person (z. B. Eigenschaften, Fähigkeiten, Motive, Emotionen),
(2) externe Aspekte der Person (z. B. äußere Erscheinung, biographische Daten, materielle Situation),
(3) soziale Beziehungen (z. B. familiäre und freundschaftliche Beziehungen, Wirkung auf andere Personen, Reaktionen anderer Personen),
(4) Beziehung zwischen beschreibenden und beschriebenen Personen (z. B. Betonung von Gemeinsamkeiten oder Unterschieden),
(5) Bewertungen und Sonstiges.
Nun wird es allerdings nicht so sein, dass immer alle Inhalte verwendet werden. Selbstverständlich werden die mehr oder weniger deutlich erkennbaren Eigenarten der beschriebenen Personen bestimmte Inhalte nahe legen. Aber auch der Beschreibende selbst mit seinen Vorlieben und Eigenheiten, sowie die Situation (z. B. Zweck der Personenbeschreibung) haben einen Einfluss auf die Inhalte der Personenbeschreibung.
Eine Untersuchung von Huber/Mandl (1979) an Lehrern bestätigt diese allgemeine Aussage. In Schülerbeschreibungen konnten 36 Inhaltsklassen identifiziert werden, die sieben Aspekten zugeordnet wurden:
(1) sozioökonomischer Hintergrund
(2) familiäre Bedingungen
(3) schulische Bedingungen,
(4) allgemeine Persönlichkeitscharakterisierungen,
(5) abweichendes Sozialverhalten,
(6) interaktive Merkmale und
(7) Leistungsmerkmale.
Eine detaillierte Betrachtungsweise der Ergebnisse zeigte, dass nicht alle Lehrer alle Inhalte in gleicher Weise nutzten. Es ließen sich vier Gruppen von Lehrern identifizieren: Lehrer, die eher allgemeine Persönlichkeitscharakterisierungen verwendeten, die familiäre Bedingungen betonten, die Leistungsmerkmale in den Vordergrund rückten oder die ihr Augenmerk auf abweichendes Verhalten und Konformität richteten. Es ist leicht zu erkennen: Die Inhalte von Persönlichkeitsbeschreibungen richten sich nach dem Beschreibenden, dem Beschriebenen und der Situation (vgl. auch Kapitel 5). Deshalb wurde Persönlichkeit eingangs als »schillernder Begriff« bezeichnet.
3.1.2. Persönlichkeit – Eine neuzeitliche Erfindung
Selbstverständnis – selbstverständlich
Für uns heutzutage ist die Vorstellung, dass wir eine individuelle, von unseren Mitmenschen unterschiedene Persönlichkeit besitzen, so selbstverständlich, dass jede andere Vorstellung schwerfällt. Wir begreifen uns als komplexe Persönlichkeit, mit einer differenzierten – vielleicht nicht ganz durchschauten – Gefühlswelt, mit Vernunft und Rationalität ausgestattet, mit inneren Werten, einem besonderen Charakter und einem Wesenskern (dem wir »im Grunde unseres Herzens« treu sind). Diese ganze Ausstattung begreifen wir zudem als in uns liegend, als etwas, was höchstens teilweise für andere sichtbar ist, als unseren eigenen, unveräußerlichen privaten Wesenskern. »In unseren Sprachen der Selbstverständigung spielt der Gegensatz ›innen/außen‹ eine wichtige Rolle. Unsere Gedanken, Vorstellungen oder Gefühle sind nach unserer Auffassung ›in‹« uns, (...). Außerdem meinen wir, unsere Fähigkeiten oder Möglichkeiten seien etwas ›Inneres‹, das auf die Entwicklung wartet, durch die dieses Potentielle in der öffentlichen Welt kundgetan oder verwirklicht wird. Das Unbewusste befindet sich nach unserer Vorstellung innen; und die Tiefen des Ungesagten, des Unsagbaren, der sich anbahnenden heftigen Gefühle, Neigungen und Ängste, mit denen wir um die Beherrschung des eigenen Lebens ringen, fassen wir ebenfalls als etwas Inneres auf. Wir sind Geschöpfe mit innerer Tiefe, mit einem Inneren, das zum Teil unerforscht und dunkel ist« (Taylor 1996, S. 207).
Selbstverständnis – nicht natürlich
Dieses Selbstverständnis empfinden wir so tiefsitzend, so elementar, so »bis in die Knochen«, dass es weit mehr ist als nur ein Selbstverständnis – es ist ein elementares Gefühl für uns selbst, das die Basis unseres Denkens, Erlebens und Handelns ist, uns ein elementares Sicherheitsgefühl verleiht und uns zur inneren Natur geworden ist. Gerade weil uns dieses Gefühl so selbstverständlich, so natürlich ist, ist es wichtig, festzustellen, dass es sich hier um ein »modernes« Lebensgefühl handelt, das in dieser Form erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Europa auftaucht. Es ist ein Resultat gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse, »... ist abhängig von einer historisch begrenzten Art der Selbstinterpretation, die im neuzeitlichen Abendland zur Vorherrschaft gekommen ist und sich von da aus freilich auch auf andere Teile der Erdkugel ausbreiten kann, (...) aber dennoch einen Anfang in Raum und Zeit hat und vielleicht auch ein Ende« (Taylor 1996, S. 207f.). Dass dieses Gefühl aber so elementar für uns werden konnte, ist das Ergebnis des Zusammenwirkens unterschiedlicher zivilisatorischer Entwicklungsstränge aus Philosophie, Naturwissenschaft, Technik, Politik und Stadtentwicklung. Diese Stränge haben dieses Selbstgefühl so tief in uns eingeschrieben, dass es auch die Basis unseres Nachdenkens über uns selbst ist. »So ist es ganz natürlich, dass wir zu der Auffassung kommen, wir hätten ein Selbst in der gleichen Weise, in der wir einen Kopf oder Arme haben, oder innere Tiefe in der gleichen Weise wie Herz oder Leber« (Taylor 1996, S. 208).
Natürlich haben Menschen schon immer über sich selbst oder über Menschen im Allgemeinen nachgedacht. Zu Beginn der Moderne kommt es aber zu einer wesentlichen Zuspitzung dadurch, dass die eigene Person in besonderer Weise zum Gegenstand der eigenen Betrachtung gemacht wird.
Das Ich als Mittelpunkt
»Vor dem siebzehnten Jahrhundert betrachteten die herrschenden Kosmologien das Universum als eine sinnhafte Ordnung« (Taylor 1992, S. 246). Diese Vorstellung wird nunmehr fragwürdig. Innerhalb der Philosophie gelangte man zu der Einsicht, dass wahre Erkenntnis erfordert, die eigenen Denkprozesse in ihrem Funktionieren zu beobachten und zu kontrollieren. Dazu war es erforderlich, einen Schritt aus sich heraus zu machen und sich selbst von außen als Gegenstand zu betrachten. Dieser Schritt wurde als »reflexive Wende« bezeichnet. Diese reflexive Wende zu den eigenen Denkprozessen ist die Geburtsstunde des modernen Selbst-Konzepts, seit der wir von dem »Selbst«, dem »Ich« oder dem »Ego« sprechen.
Kontrolle als Leitgedanke
Diese reflexive Wende konnte sich durchsetzen, weil sie in der damaligen Zeit von einer allgemeinen Geisteshaltung der Disziplinierung und Überwachung aller gesellschaftlichen Bereiche getragen wurde. Diese Haltung führte zur Ausbildung entsprechender Praktiken und prägte die Entwicklung von Militär, Anstalten wie z. B. Hospitälern, Irrenhäusern, Schulen, etc., und förderte bürokratische Kontrolle und Organisation (vgl. Foucault 1993). Die reflexive Wende »(...) dürfte sich den treuen Befürwortern dieser Praktiken empfehlen, diesen eine rationale Grundlage verschaffen, sie rechtfertigen und überdies recht weitreichende Hoffnungen wecken auf ihre Wirksamkeit im Bereich der menschlichen Angelegenheiten. Die Theorie hat ohne Zweifel dazu beigetragen, dass sich die Praktiken auf ihrem Marsch durch die Kultur von heute alles haben unterwerfen können« (Taylor 1996, S. 314).
Das Autonome Ich
Parallel zu dieser reflexiven Wende bildet sich die Vorstellung eines individuellen Einzelsubjekts aus. Während man sich selbst bis zu diesem Zeitraum wesentlich als Bestandteil einer größeren Gemeinschaft, der Familie, der Sippe, des »Hauses« oder des Dorfes empfand und sich dieser gegenüber im eigenen Handeln verpflichtet fühlte, begreift man sich nun zunehmend als autonomes, mit eigenem freien Willen begabtes Einzelsubjekt. Diese Idee des Atomismus entwickelt sich simultan in verschiedenen Gesellschaftsbereichen, sie wirkt innerhalb der sich etablierenden Naturwissenschaften, innerhalb moderner Auffassungen über das Politische, im Bereich des Religiösen und im Bereich der Ökonomie.
Entwicklung zum Privaten
Zur gleichen Zeit gibt es eine entscheidende Entwicklung in der Lebensweise der Menschen zur Privatisierung – vom »Leben vor aller Augen« (Taylor 1992, S. 254) hin zum Leben im Privaten. »Wenn der Mensch Individuum wird, beginnt