sowie Interessierte im Sinne der Transparenz längst geöffnet worden.
Gerade hier aber prallen zwei Welten aufeinander: auf der einen Seite das Interesse der Forschung, Aktionen, Operationen und Hintergründe möglichst detailliert nachzuzeichnen, auf der anderen Seite die natürliche Aufgabe der Nachrichtendienste, ihre Arbeitsweise, ihre Methodik und vor allem ihre Spitzel, Agentinnen, Mitarbeiter, Informanten und Quellen vor einer Offenlegung zu schützen. Dass daraus ein kaum überbrückbarer Konflikt entsteht, wurde in den vergangenen Jahren im Rahmen der Arbeit der „Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945−1968“ (UHK) deutlich.
Doch trotz vieler Steine, die einem in den Weg gelegt werden, ist heute anhand der zugänglichen Akten und in Italien anhand vieler Akten aus verschlossenen Archiven der verschiedenen Sicherheitsbehörden, die in Gerichtsakten Hunderter Verfahren eingeflossen und damit zum größten Teil „deklassifiziert“, also freigegeben worden sind, eine seriöse Aufarbeitung dieser Vergangenheit und teilweise auch Gegenwart möglich.
Südtirol ist ein kleines und unter einigen Gesichtspunkten auch provinzielles Land an der Schnittstelle zwischen zwei Kulturen. Als wichtigste Alpentransversale war dieses Gebiet historisch dazu prädestiniert, zu einer Operationszone für Nachrichtendienste und zum Schauplatz verdeckter Aktionen verschiedenster in- und ausländischer Sicherheitsbehörden zu werden. In dieser Buchreihe werden einige dunkle und bisher unbekannte Kapitel dieser klandestinen Geschichte aufgearbeitet.
Es handelt sich um Regionalgeschichte mit einem klaren Bezug zur nationalen und internationalen Welt der Nachrichtendienste, aber auch um den Versuch, Akten aus Archiven in Deutschland, Italien, Österreich, der Schweiz, Tschechien und den USA zu einem Gesamtbild zu fügen, das dem Anspruch wissenschaftlicher historischer Forschung gerecht wird. Ob dieses Unterfangen erfolgreich war, wird die Zukunft weisen. Vor allem aber mögen das Berufenere beurteilen.
Auch im vorliegenden Band liegt der Fokus auf den sogenannten Südtiroler Bombenjahren. Dabei zeigt sich, dass aufseiten der Dienste immer wieder dieselben Personen am Werk waren und sich die Handlungsweisen in vielen Fällen mehr als nur ähneln. Südtirol war jahrelang die Trainingshalle für unorthodoxe, „schmutzige Aktionen“ vor allem der italienischen Nachrichtendienste. Hier wurde das vorbereitet, was man später die „Strategie der Spannung“ nannte, nämlich jene zahlreichen Terroranschläge der 1970er- und 80er-Jahre, die unter „falscher Flagge“ von italienischen Geheimdiensten, Rechtsextremisten und der Geheimloge P2 (Propaganda Due) ausgeführt wurden – mit dem Ziel, die Linke nach der Einbindung der Kommunistischen Partei (PCI) in die Regierung zu diskreditieren und den Staat zu destabilisieren. Bevor diese Aktionen auf nationaler Ebene umgesetzt wurden, erfolgte quasi der Probelauf in Südtirol.
Daraus aber den allzu einfachen Schluss zu ziehen − wie es heute von politisch motivierten Kräften immer wieder geschieht −, dass die Männer des „Befreiungsausschusses Südtirol“ (BAS) allesamt Engel und gewissermaßen gewaltlos agierende Idealisten waren und alle Attentate und Vorfälle, bei denen es Tote gab, von den Geheimdiensten verübt wurden, ist nicht nur historisch falsch, sondern fahrlässig.
Was aber sicher stimmt: Einiges hat sich nicht so abgespielt, wie es bis heute dargestellt oder auch in den Gerichtsakten festgehalten wird. So etwa findet sich in diesem Buch unter anderem eine neue Lesart des blutigen Anschlages auf der Porzescharte, die sich weniger mit den Tätern als mit der Möglichkeit befasst, dass man im Nachhinein Beweise fabriziert hat, um ihrer habhaft zu werden.
Mit besonderer Genugtuung erfüllt es mich, dass das Interesse der Leserinnen und Leser an diesem Thema überwältigend ist. Zusammen mit dem vorliegenden Buch geht nämlich die dritte Auflage des 2020 erschienenen ersten Bandes „Geheimdienste, Agenten, Spione. Südtirol im Fadenkreuz fremder Mächte“ in Druck. Der erste Band hat weit über Südtirol hinaus Interesse und Aufmerksamkeit erregt.
Was mich dabei am meisten überrascht hat, sind die vielen Rückmeldungen, die ich erhalten habe und immer noch erhalte. Es haben sich Dutzende Menschen gemeldet, um mir Fakten, Erlebnisse und Details mitzuteilen, die mit jenen Personen und Ereignissen zusammenhängen, die im ersten Band beschrieben werden. Es sind zum Teil Ergänzungen, aber auch neue, äußerst interessante Aspekte, die einer Vertiefung bedürfen und ganz sicher in meine weiteren Arbeiten einfließen werden.
Jenen Kollegen, Mitstreiterinnen und Freunden, die mir bei meiner Forschungsarbeit in den vergangenen zwei Jahrzehnten selbstlos und kompetent mithilfe und Rat zur Seite gestanden haben und immer noch stehen, danke ich von Herzen. Ohne sie wären diese Bücher nie erschienen.
Den Leserinnen und Lesern wünsche ich eine aufschlussreiche und spannende Lektüre.
Christoph Franceschini
General Gehlen, Magnago & die „Stasi“
Südtirol-Expertin Viktoria Stadlmayer: „Direkter Draht zur Firma nach München“.
Reinhard Gehlen, Gründer und erster Präsident des BND hat ein persönliches Interesse und Naheverhältnis zu Südtirol. Aus seinem Vorzimmer wird jahrelang eine Informantin geführt, die über besonders exklusive Informationen zu Südtirol und dem „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS) verfügt: Viktoria Stadlmayer. Es ist ein Kapitel der Tiroler Zeitgeschichte, das bis heute im Dunkeln liegt.
Es ist nicht einfach, das Schriftstück zu entziffern, das der Autor im März 2015 im Lesesaal in Pullach in den Händen hält. Zwei Jahre hatte er nach der Antragstellung gewartet, bis er Zugang zum Archiv des „Bundesnachrichtendienstes“ (BND) erhalten hat. Nun liegen die Akten endlich vor ihm. Über 2.500 Seiten zum Thema Südtirol, die vom Bereich Archivwesen des BND nach eingehender Prüfung deklassifiziert und mit etlichen Schwärzungen freigegeben wurden. In dem schmalen Akt geht es um eine Anfrage des Bayerischen Landeskriminalamtes (BLKA) an den BND in Sachen Südtirol und um die „Frage der Federführung in der Südtirol-Angelegenheit“.1 Darin enthalten ist eine handschriftliche Notiz, datiert auf den 28. November 1961:
Bei Rücksprache mit Dr. Lückrath habe ich den Eindruck gewonnen, dass unser Dienst viel mehr Verbindungen nach Südtirol hat, als in der uns vorliegenden Meldungsübersicht erscheinen. […] Dr. L. glaubt z. B. sicher zu sein, dass Dr. Magnago selbst in irgendeiner Verbindung zum BND steht. Bevor man die Vielzahl dieser möglichen Indiskretionspunkte nicht in den Griff bekommt, ist die Frage von L 180 aus hiesiger Sicht mir nicht möglich zu beantworten.2
Südtirols Landeshauptmann Silvius Magnago soll persönlich mit dem BND in Verbindung gestanden sein? Das wäre ein Clou. Aber zuerst ist es vor allem akribische Recherchearbeit, um die vielen Verbindungslinien zusammenzuführen und das komplexe System von Deck- und Tarnnamen zu enthüllen. Denn bereits diese wenigen handschriftlichen Zeilen machen eine grundsätzliche formale Schwierigkeit in der Beschäftigung mit den Nachrichtendiensten im Allgemeinen und mit dem BND im Besonderem deutlich: Die Abschottung nach außen aber auch nach innen gehört zur Natur von Nachrichtendiensten. Grundsätzlich versucht man die eigene Struktur so zu verschleiern, dass Außenstehende sich äußerst schwertun, die Organisation zu durchschauen und einzelne Dienststellen und Mitarbeiter zu identifizieren. Wie obiges Zitat zeigt, sollen sich Verbindungslinien auch intern nur einem kleinen Kreis erschließen. Alle Geheimdienste greifen deshalb nicht nur für ihre Spione und Agenten auf Deckbezeichnungen zurück, sondern auch das eigene Personal bekommt Decknamen, die es im Dienst verwenden muss. Diese Namen werden mit DN abgekürzt, was offiziell für „Dienstnamen“ steht.3 Ebenso werden alle Dienststellen und Abteilungen mit Tarnnamen oder Tarnchiffren versehen.
Heraus kommt dabei ein Gewirr an Zahlen, Bezeichnungen und Namen, das nur sehr schwer zu durchschauen und nachzuvollziehen ist. Erschwert wird das Ganze zudem dadurch, dass die gesamte Struktur periodisch immer wieder umbenannt wird – auch das eine Vorsichtsmaßnahme gegen eine Enttarnung durch feindliche Dienste – und dass eine Person oder eine Dienststelle gleichzeitig unter mehreren verschiedenen Decknamen und Tarnziffern operiert.