Abt und Chef-Latinist Karl Egger: Jahrelang Spitzenquelle des BND im Vatikan.
Carolus Egger hat als Abtprimas − darunter versteht man den obersten Leiter einer Ordensgemeinschaft − der Augustiner Chorherren 1961 die Windesheimer Kongregation der lateranensischen Chorherren wiederbelebt und 1963 in Tor Lupara bei Rom ein erstes Kloster errichtet. 1974 folgt dann eine weitere Klostergründung in Paring bei Regensburg. Dort verstirbt Karl Egger am 1. September 2003.
Während des Zweiten Weltkriegs wird Karl Egger von Papst Pius XII. beauftragt, in Rom als eine Art Vermittler zu den deutschen Besatzern zu fungieren. Da Egger deutscher Muttersprache ist, gelingt es ihm, in direkten Kontakt mit deutschen Generälen zu kommen. Egger kann so vielen Flüchtlingen helfen − vor allem Juden. Unmittelbar nach Kriegsende ist er auch als Seelsorger in den Gefangenenlagern tätig, in denen die Alliierten deutsche Nazis und Soldaten in Italien internieren.
Aus dieser Zeit dürften auch die Kontakte stammen, die in den 1950er-Jahren den Lateinexperten aus dem Vatikan schließlich zur Sonderverbindung des BND machen. Der hohe Status, den „SV EGG“ beim deutschen Nachrichtendienst einnimmt, hat einen einfachen Grund. Im Vatikan ist Latein die Amtssprache, alle Dokumente werden auf Latein verfasst und dann erst in die verschiedenen Sprachen übersetzt. Das heißt: Mit dem Chef-Latinisten hatte der BND einen Mann im Vatikan, der jede öffentliche Stellungnahme des Papstes oder des Staatssekretariats, jede Enzyklika und sämtliche Dokumente der römischen Kurie zu sehen bekommt, lange bevor diese an die Öffentlichkeit gehen. Karl Egger nimmt in diesem Sinne auch beim Zweiten Vatikanischen Konzil und bei der anschließenden Reform der katholischen Liturgie eine führende Rolle ein. Eine solche Spitzenquelle ist für jeden Nachrichtendienst unbezahlbar.
Sonderverbindung „EGG“ dürfte bei mehreren Operationen des BND aktiv mitgewirkt haben, so etwa bei der Operation „Pomeranze“, die der Autor aus den ihm vorliegenden Akten leider nicht rekonstruieren kann. Sicher ist jedoch, dass General Wolfgang Langkau alias „Langendorf“ „seine Sonderverbindung EGG“ ab 1960 vermehrt in Südtirol-Angelegenheiten einsetzt. Eggers Lageberichte und Stellungnahmen zeugen von beeindruckendem Detailwissen. So ist etwa die Darstellung der SVP-internen Kämpfe zwischen der Gruppe um Silvius Magnago und der Gruppe „Aufbau“, die „EGG“ im Herbst 1961 nach Pullach schickt, eine politische Analyse, die sich wie ein Krimi liest. Hier ist ein Gelehrter am Werk, der schreiben kann. Der Mann hat direkte Verbindungen zu Südtiroler Geistlichen und zu Politikern, die dem Chef-Latinisten immer wieder vertrauliche Informationen aus erster Hand liefern. Einer davon ist der SVP-Gründer und Parlamentsabgeordnete Friedl Volgger. So heißt es in einer Stellungnahme von „EGG“ zur „kommunistischen Taktik in Südtirol“:
Dr. Fr. Volgger hat dem Berichterstatter persönlich über seine Kontaktaufnahme mit jugoslawischen Stellen berichtet. Der Berichterstatter hat Dr. Volgger in keiner Weise kommunistische Gesinnung unterstellt, da er ihn ja kennt.18
Dass sich Friedl Volgger und Karl Egger bestens kennen, hat einen einfachen Hintergrund. Beide stammen aus dem Sterzinger Raum und sind 1914 geboren. Volgger und Egger haben auch gemeinsam das Gymnasium Vinzentinum in Brixen besucht.
Viktoria Stadlmayer alias „Stasi“
Anfang Mai 1963 wird der Innsbrucker Universitätsassistent und BAS-Mann Norbert Burger von der deutschen Polizei verhaftet. Bei der Durchsuchung einer konspirativen Wohnung in München am 7. Mai 1963 stellen die Beamten des Bayerischen Landeskriminalamtes auch ein Buchmanuskript sicher. Das Schriftstück mit dem Titel „Die Nachfolger des Judas von Tirol“ ist über 100 Seiten lang. Norbert Burger gibt im Verhör vor der Polizei zu, der Verfasser des Werkes zu sein.19 Im Manuskript geht Burger auch auf die Rolle von Viktoria Stadlmayer, der Leiterin des Südtirol-Referates in der Tiroler Landesregierung, im sogenannten Südtiroler Freiheitskampf ein. Burger erinnert an eine Aussprache mit Stadlmayer, die über Vermittlung des Innsbrucker BAS-Mannes Helmuth Heuberger im Juli 1961 im Haus des damaligen Chefs der Innsbrucker BAS-Gruppe Heinrich Klier stattgefunden haben soll. Dann schreibt Norbert Burger:
Immer wieder taucht die Vermutung auf, dass der Bundesdeutsche Nachrichtendienst, die Organisation Gehlen, ihre Hand bei der Aufdeckung der Südtiroler Freiheitskämpfer im Spiel haben könnte. Die mannigfaltigsten Spekulationen und Kombinationen wurden angestellt. Warum aber in die Ferne schweifen, wenn das Gute (oder hier das Böse) liegt so nah?
Schließlich wissen es nicht nur die Nachrichtenoffiziere in München, dass Frau Doktor Stadlmayer zum Chef dieses Nachrichtendienstes, General Gehlen, intime Beziehungen pflegt.20
Ein harter und absurder Vorwurf? Eine Verleumdung? Könnte sein, denn das Verhältnis zwischen Viktoria Stadlmayer und Norbert Burger gleicht jenem zwischen Hund und Katze. Die Nordtiroler Leiterin des Südtirol-Referates hat alles nur Mögliche unternommen, um den Einfluss des Rechtsradikalen und späteren Gründers der österreichischen Nationaldemokratischen Partei (NDP) Norbert Burger in und um Südtirol zu schmälern. Andererseits hatte Norbert Burger durchaus Kontakte zu BND-Mitarbeitern, demnach könnte einer dieser BND-Leute, die mit den rechten Kreisen um Burger sympathisiert haben, diese Geschichte durchgestochen haben. Tatsache ist, dass der Kontakt Gehlen-Stadlmayer nicht aus der Luft gegriffen ist. Das belegen die Akten aus dem BND-Archiv.
Fast alle Berichte aus und über Südtirol gehen direkt zum Leiter des Nachrichtendienstes Reinhard Gehlen. Der Chef der Org. und des BND hat ein besonderes Interesse an Südtirol, er selbst und sein engstes Umfeld sind in den 1950er- und 1960er-Jahren in Sachen Südtirol nachrichtendienstlich aktiv tätig. Das zeigt neben vielen anderen Dokumenten auch eine unscheinbare Notiz in den Pullacher Akten zu Südtirol. Anfang 1965 verfasst der Leiter der Abteilung „Gegenspionage“, Hans Georg Langemann alias „Lückrath“, einen Übersichtsbericht über den „Kommunistischen Einfluss in der Südtirol-Frage“, der für Reinhard Gehlen persönlich bestimmt ist. „Nach Abflauen der Hauptattentatswellen war der BND in der Südtirol-Frage nur mehr rezeptiv tätig, ohne aktive Aufklärungsoperationen zu betreiben“, schreibt Lückrath einleitend. Der Bericht geht wenig später an den Verfasser zurück, versehen mit einer handschriftlichen Anmerkung seines Vorgesetzten Wolfgang Langkau genau an dieser Stelle. Langkau schreibt: „Laut 106 nicht zutreffend, da eigene Quellen bzw. Operationen bei 106 laufen.“21 Hinter der Tarnziffer „106“ verbirgt sich Reinhard Gehlen, der Gründer und erste Präsident des BND. Gehlen ist tatsächlich jahrelang persönlich in die Nachrichtenbeschaffung rund um Südtirol involviert und er kann dabei auf eine ganz besondere Quelle zurückgreifen.
Gehlen-Notiz zu Norbert Burger: Das geschwungene G des BND-Präsidenten als Signatur.
Viktoria Stadlmayer (1917–2004) wird bis heute als die Grande Dame der Südtirol-Politik bezeichnet. In Brixen als Tochter des österreichischen Offiziers Rüdiger Stadlmayer und der Gräfin Elisabeth von Wolkenstein-Trostburg geboren, wächst sie im Netz des europäischen Hochadels auf. Ihre Kindheit und Jugend sind durch häufige Ortswechsel geprägt. So lebt sie in Korneuburg, Bad Reichenhall, Aigen bei Salzburg, Eisenerz, Wien, Wallsee, Dortmund, Kramsach, Berlin und Ostpommern. Die Sommerwochen verbringt sie dabei immer wieder auf der Trostburg in Waidbruck.22
Bereits als junges Mädchen sympathisiert Viktoria Stadlmayer mit dem NS-Regime. Noch als Schülerin am Innsbrucker Mädchengymnasium wird sie 1934 Mädelschaftsführerin im „Bund Deutscher Mädchen“ (BDM) und im Juni 1935 wegen ihrer illegalen NS-Aktivitäten aus der Schule ausgeschlossen. Stadlmayer legt deshalb 1936 ihre Reifeprüfung in Berlin ab und beginnt dort an der Deutschen Hochschule für Politik ein Studium der Politikwissenschaft. Nach dem Anschluss Österreichs wechselt sie an die Uni Wien, wo sie Geschichte und Volkskunde studiert. Nebenbei fungiert sie als Blockwart der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt. 1938 tritt sie der NSDAP bei. Ihren Mitgliedsantrag stellt sie als „alte Kämpferin“23.
Nach der Promotion in Wien 1941 wechselt sie in die Gauverwaltung nach Innsbruck, wo sie im „Institut