Stadlmayer lässt Personen abklären, schwärzt andere an und betreibt im wahrsten Sinne des Wortes Ermittlungsarbeit. Die Südtirol-Referentin der Tiroler Landesregierung schießt dabei vor allem gegen Norbert Burger und Wolfgang Pfaundler. Im November 1962 etwa teilt sie mit, dass ein Freund von Wolfgang Pfaundler mit einem falschen deutschen Personalausweis nach Südtirol fährt. Stadlmayer übermittelt die Daten des Ausweises nach Pullach. Annelore Krüger alias „Kunze“ lässt die involvierten Personen vom BND in München und Ingolstadt überprüfen, um herauszubekommen, wer den Ausweis ausgestellt hat. In einem internen Vermerk gibt „Kunze“ das Ergebnis wieder und schreibt dann:
Es wird gebeten, ohne Absprache mit 106/II [also mit ihr selbst – Anm. d. Autors] Maßnahmen zu treffen und zunächst keine Polizeidienststellen oder Behörden einzuschalten.38
Auch diese Dienstanweisung macht deutlich, dass man an der Spitze des deutschen Nachrichtendienstes nicht direkt gegen den BAS vorgehen will. Am 15. August 1963 findet eine weitere Besprechung zwischen „Kunze“ und „Stasi“ statt:
[Name geschwärzt – Anm. d. Autors] ist beunruhigt über die Entwicklung der Lage in Südtirol. Sie hat erfahren, dass in Kürze mit weiteren Sprengstoffanschlägen zu rechnen ist, die auch vor Blutvergießen nicht zurückschrecken, z. B. Attentate gegen Züge usw.
[Name geschwärzt – Anm. d. Autors] bittet dringend um Unterstützung bei der Klärung der Hintermänner dieser Aktion. Sie wusste, dass Pfaundler wieder beteiligt sei, aber die eigentlichen Drahtzieher seien noch unbekannt.39
Gleichzeitig ersucht Stadlmayer den BND um Entsendung eines Beobachters zum Prozess gegen die Carabinieri, die wegen der Misshandlungen der BAS-Leute in Trient Ende August 1963 vor Gericht stehen.
Aus den BND-Akten geht klar hervor, dass die resolute Hofrätin einen besonderen Status in Pullach hat, der auch darauf gründen dürfte, dass es zwischen Reinhard Gehlen und Viktoria Stadlmayer von Beginn an eine gemeinsame Grundüberzeugung gibt. Beide gehen davon aus, dass die Südtirol-Attentate aus dem Osten gesteuert und angefeuert werden.
Diese Überzeugung ist auch ein immer wiederkehrendes Narrativ in Stadlmayers Berichten. So berichtet Hans Georg Langemann alias „Lückrath“ in einem internen Schreiben Ende April 1963:
Als Anlage 3 wird ein Schreiben der Dienststelle Reinhard vom 2.4.1963 beigefügt, in dem erklärt wird, dortige Qu. [= Quelle – Anm. d. Autors] Stasi habe unmissverständlich geäußert, ihr lägen einwandfreie Informationen vor, dass der nach eigenen Aussagen für einen Großteil der Sprengstoffattentate verantwortliche Dr. Norbert Burger aus der SBZ [Sowjetische Besatzungszone, später DDR – Anm. d. Autors] gesteuert werde. Da durch diese Feststellung, falls sie beweiserheblich untermauert werden könnte, der zu Beginn der Südtirol-Krise im Jahre 1960 durch 106 [Reinhard Gehlen – Anm. d. Autors] pers. erteilte Auftrag – Feststellung möglicher Oststeuerung der Attentate – erfüllt werden könnte, wird vorgeschlagen, Qu. Stasi baldmöglichst in dieser Angelegenheit aufzusuchen.40
Das Schreiben der Dienststelle „Reinhard“, auf das „Lückrath“ hier hinweist, fasst einen Bericht eines anderen österreichischen BND-Agenten zusammen, der in engem Kontakt mit Viktoria Stadlmayer steht.
„Kontakt mit der Firma“
Der Wiener Adelige Otto von Eiselsberg (1917–2001) studiert Rechtswissenschaften und besucht zwischen 1936 und 1938 die Konsularakademie Wien. 1949 tritt er in den Dienst des österreichischen Außenministeriums ein, wird Sekretär von Außenminister Karl Gruber (1909−1995) und arbeitet dann als Diplomat, Vizebotschafter und Botschafter in London, Genf, Canberra, Moskau, Tokio und Paris. Ab Ende der 1950er-Jahre arbeitet Otto von Eiselsberg unter dem Decknamen „Talon“ und der Decknummer „V-7331“ als bezahlter Informant für den BND. Ab 1960 wird der damals an der österreichischen Botschaft in Paris stationierte Diplomat für den BND zu einer wichtigen Quelle in Sachen Südtirol.41
Otto von Eiselsberg ist ein profunder Kenner des Südtirol-Problems, vor allem aber hat er in Nordtirol einen engen Freundeskreis, der sich aktiv mit Südtirol beschäftigt. Zu nennen sind hier Franz Gschnitzer (1899−1968), Staatssekretär im österreichischen Außenamt und Obmann des Bergisel-Bundes (BIB), der Tiroler Landesrat und BAS-Vertraute Aloys Oberhammer (1900−1983) sowie der Diplomat Carl Heinz Bobleter (1912–1984), damals Leiter der österreichischen Mission bei der OECD in Paris und ehemaliger Mitschüler Eiselsbergs. Einen ganz besonderen Draht hat der BND-Mitarbeiter aber vor allem zu Viktoria Stadlmayer. In einem der BND-Berichte wird eingangs festgehalten:
Quelle sprach in Innsbruck am 20.6. nachm. die Südtirol-Referentin der Tiroler Landesregierung, mit der er seit Kindheit eng befreundet ist, Frau Dr. Vict. Stadlmayer.42
Jahrelang erhält „V-7331“ in diesem informellen Netzwerk absolut vertrauliche Informationen über die österreichische Südtirol-Politik, die politischen Spannungen zwischen Wien und Innsbruck, aber auch über die Entwicklung innerhalb des BAS. Zudem erfüllt der BND-Informant auf Weisung seines Dienstgebers in Pullach immer wieder Ermittlungsaufträge und stellt konkrete Nachforschungen über Personen oder Vorgänge rund um den BAS an, etwa über die Rolle des Wiener Verlegers Fritz Molden oder über Wolfgang Pfaundler und die Affäre um das aufgeflogene Waffenlager am Innsbrucker Haydnplatz.43 Den Großteil seiner Berichte lässt „V-7331“ von seinem Dienstsitz an der österreichischen Botschaft in Paris, wo er von 1960 bis Ende 1963 als Legionsrat tätig ist, per Kurier nach München liefern. Geführt wird der BND-Agent von Siegfried Ungermann (DN „Schröder“ und Tarnziffer „512“), der bereits in der Kriegszeit zusammen mit Reinhard Gehlen in der Abteilung „Fremde Heere Ost“ (FHO) als Nachrichtenoffizier tätig war und danach mit Gehlen zuerst zu Org. und dann in den BND wechselt. In einem internen BND-Vermerk über den Mitarbeiter Otto von Eiselsberg heißt es:
Diplomat und BND-Informant Otto von Eiselsberg (1979 in Nizza): „Stadlmayer ist mit dem Berichter durch Abstammung und Erziehung seit Kindheit verbunden.“
V-7331 ist Anfang August 1961 in München. […] Es besteht die Möglichkeit, V-7331 zu dem Gesamtkomplex Südtirol, das dem MA [Abkürzung für Mitarbeiter – Anm. d. Autors] besonders am Herzen liegt, zu befragen. Weiterhin ist es möglich, V-7331 spezielle Fragen und Themen, die der Klärung bedürfen, vorzulegen, da er über sehr gute Beziehungen zur österreichischen Regierung, resp. zur Tiroler Landesregierung in Innsbruck verfügt, die eine eingehende Klärung ermöglichen und erleichtern.44
Otto von Eiselsberg ist innerhalb des BND für den „Strategischen Dienst“ tätig. Als Berufsdiplomat fühlt er sich berufen, die Südtirol-Krise im globalen Zusammenhang zu analysieren. So schreibt „V-7331“ im August 1961:
In Südtirol besteht ein zunehmend stärkerer Wille, sich gegen die italienische Bedrückung aufzulehnen. Diese Auflehnung wird insbesondere von solchen Personen getragen, die während des 2. Weltkrieges in der deutschen Wehrmacht gekämpft haben und vielleicht z. Z. des Dritten Reiches eine mehr als minder bedeutende Rolle in nationaler Richtung gespielt haben. Über diese emotionelle Aufstandsbewegung lagern sich im Verlauf der Zeit verschiedene andere Elemente, u. a. eine nicht ausschließbare Ostblockeinwirkung […], genauso wie es auch denkbar ist, dass z. B. die USA über Fritz Molden in den Komplex eingreift. Vor einigen Monaten wurde V-7331 von dem sog. „Gesandten Libik“ (in Wahrheit CIA-Exponent bei der US-Botschaft in Paris) auf das Südtirol-Problem angesprochen.45
Ende 1963 kehrt Otto von Eiselsberg nach Wien ins österreichische Außenministerium zurück, wo er bis 1966 tätig ist, zuerst als Personalchef und dann als Leiter der Ostabteilung. Ende 1967 wird der BND-Informant dann zum österreichischen Botschafter in Japan ernannt. Eiselsberg bleibt bis Mai 1971 in Tokio.46
In all diesen Jahren berichtet „V-7331“ dem BND nicht nur über Österreichs Außenpolitik oder