Christoph Franceschini

Segretissimo, streng geheim!


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      Über vier Dutzend Agenten und Zuträger informieren den BND über die Entwicklung in Südtirol. Vor allem über alte Seilschaften aus der SS und den SD versucht der deutsche Nachrichtendienst Kontakte aufzubauen. Eine besondere Rolle spielen dabei die „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS“ (HIAG) und ein Ferienhaus in Jenesien.

      Das Schicksal der deutschsprachigen Minderheit in Norditalien und die politische Entwicklung rund um Südtirol sind auch in der jungen Bundesrepublik politisch ein immer wiederkehrendes Thema. Auch der deutsche Auslandsnachrichtendienst wirft von Anfang an ein Auge auf die ethnische Minderheit in Italien. Viele Akteure, die zuerst in der „Organisation Gehlen“ (Org.) und dann im „Bundesnachrichtendienst“ (BND) tätig sind, haben aus der Kriegszeit noch persönliche Verbindungen zu und nach Südtirol. Somit rückt das kleine Land zwischen Eisack, Etsch und Rienz unweigerlich in den Fokus des deutschen Geheimdienstes.

      Als Anfang der 1960er-Jahre der „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS) mit seinen Anschlägen gegen faschistische Denkmäler, Volkswohnbauten und Strommasten beginnt, weckt die illegale Untergrundbewegung auch das sicherheitspolitische Interesse des BND. Vor allem die Frage, ob die Anschläge der Südtiroler Separatisten vom Osten gesteuert sind, wird zu einem immer wiederkehrenden Narrativ in den Berichten des Nachrichtendienstes. Ein möglicher Konfliktherd mitten in Europa ist im beginnenden Kalten Krieg ein Gefahrenpotenzial, das nicht nur beim BND ernsthafte Befürchtungen auslöst.

      So verwundert es nicht, dass sich im BND-Archiv ein umfassender Bestand an Akten zu Südtirol findet. Es handelt sich dabei jedoch nicht um einen einheitlichen, kompakten Bestand, sondern um ein wild zusammengewürfeltes Kompendium. Darin enthalten sind Spitzelberichte, politische und wirtschaftliche Analysen, Flugblätter, aber genauso Interna aus dem „Befreiungsausschuss Südtirol“ oder aus den Unterstützervereinen für Südtirol, wie der „Stillen Hilfe“ oder dem „Kulturwerk für Südtirol“. Anhand dieser Akten lassen sich mehrere zentrale Handlungsstränge nachzeichnen.

      Man darf Nachrichtendienste grundsätzlich nicht als monolithischen Block sehen, in dem alle in eine Richtung marschieren. Zur Natur der Geheimdienstarbeit gehören diversifizierte und durchaus auch gegensätzliche Vorgangsweisen. So kann ein Teil eines Nachrichtendienstes eine Gruppe bekämpfen, während ein anderer Teil desselben Dienstes einen Spitzel oder Agenten hat, der in dieser Gruppe aktiv und führend mitwirkt. Die Herausforderung ist es, diese Gegensätze im richtigen Moment so zusammenzufügen, dass sie dem eigenen Dienst und damit dem eigenen Land zum Vorteil gereichen. Genau diese Vorgangsweise finden wir auch in Sachen Südtirol.

      Ein Teil des BND steht dem Thema Südtirol und vor allem dem Ende der 1950er-Jahre offen auftretenden Konflikt äußerst skeptisch und ablehnend gegenüber, während ein anderer Teil durchaus mit der Attentäter-Bewegung sympathisiert. Dafür gibt es einen Grund. Das BND-Personal, sowohl auf der Ebene der Mitarbeiter wie auch auf jener der Zuträger und Informanten, ist zu diesem Zeitpunkt zu einem hohen Anteil mit ehemaligen Abwehr-, SS- und SD-Funktionären durchsetzt.1 Dadurch gibt es nicht nur ideologische Bezugspunkte zum Südtirol-Terrorismus, sondern innerhalb des BND auch persönliche Bekanntschaften und Kontinuitäten tief in den Kreis der Attentäter hinein.

       Giovanni Gehlen & Südtirol

      In dieser internen Auseinandersetzung um das Thema Südtirol spielt eine Person eine zentrale Rolle: Johannes „Giovanni“ Gehlen. Johannes Gehlen (1901–1986) wird bis heute meist als Halbbruder von Reinhard Gehlen bezeichnet. In Wirklichkeit ist er aber ein leiblicher Bruder des BND-Gründers. Die falsche Darstellung resultiert daraus, dass Johannes vorehelich gezeugt wurde. Für seinen Vater Walther Gehlen, einen Leutnant, war es zu Beginn des 20. Jahrhunderts unschicklich und mit der Offiziersehre unvereinbar, ein voreheliches Kind gezeugt zu haben. Deshalb wird die Mutter Katharina zur Entbindung in die Hauptstadt Italiens geschickt. Bald nach der Geburt kehrt sie nach Erfurt zurück und heiratet Walther Gehlen. Johannes Gehlen hingegen bleibt in Rom zurück und wird dort von dem kinderlosen deutsch-jüdischen Ärzteehepaar Hans Baum als Pflegekind großgezogen. Erst mit 18 Jahren erfährt Johannes, dass sein wirklicher Vater Walther Gehlen ist. Gehlen senior erkennt seinen Sohn wenig später offiziell an.

      Johannes „Giovanni“ Gehlen geht in Rom zur Schule und nimmt dort ein Studium der Volkswirtschaft auf. Anschließend beginnt er eine Ausbildung in der Banco di Roma und der Barclays Bank. Von 1920 bis 1935 ist er als Bankbeamter tätig. 1934 tritt Gehlen der NSDAP bei. Von 1935 bis 1942 absolvierte er ein Zweitstudium der Physik, Mathematik und Astronomie an der Universität Leipzig, das er mit einer Promotion abschließt. Im Jahr 1938 wird er für eine kurze Übung bei der Nachrichtentruppe in München eingezogen, bleibt aber vom Kriegseinsatz verschont. Vom Studienende bis 1945 ist er als wissenschaftlicher Assistent am Kaiser-Wilhelm-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg tätig.2

      Nach Kriegsende kehrt Johannes Gehlen nach Rom zurück, wo er anfänglich als Sekretär im Malteserorden tätig ist, aber schon bald ins Nachrichtengeschäft einsteigt. Ab Ende der 1940er-Jahre ist Gehlen hauptberuflich zuerst für die Org. und dann für den BND tätig, jenem deutschen Nachrichtendienst, den sein Bruder Reinhard aufbaut und leitet. Johannes Gehlen (DN „Bruder Hans“ oder „Gustav“, Tarnziffer „L 752“ oder „AK 14“) leitet bis zum Ende der Ära seines Bruders als sogenannter Resident das BND-Büro in Rom. Einer seiner engsten Mitarbeiter ist dabei ein österreichischer Adeliger mit Südtiroler Wurzeln, über den wir in diesem Buch noch lesen werden.3

      Als Italienrepräsentant des BND beeinflusst Johannes Gehlen jahrzehntelang die Gangart seines Dienstes in Sachen Südtirol nachhaltig. Giovanni Gehlen ist ob seiner Herkunft sehr italophil und hat engste private und berufliche Beziehungen zum italienischen Nachrichtendienst „Servizio Informazioni Forze Armate“ (SIFAR). Vor allem in der heißen Phase der Südtirol-Attentate wird diese enge Freundschaft und Zusammenarbeit aber auf eine harte Probe gestellt. Offizielle Stellen im italienischen Innenministerium und im SIFAR beschuldigen Deutschland und selbst den BND mehrmals direkt, aktiv bei den Attentaten in Südtirol mitzumischen. „L 752“ alias Giovanni Gehlen versucht durchzusetzen, dass alle BND-Aktionen in und um Südtirol über seinen Schreibtisch gehen müssen. Was ihm jedoch keineswegs gelingt.

      Gleichzeitig forciert der römische BND-Mann die Zusammenarbeit BND-SIFAR in Sachen Südtirol. Jahrelang leitet Giovanni Gehlen Aufklärungswünsche des italienischen Nachrichtendienstes über Südtirol und den BAS nach Pullach weiter, mit dem innigen Wunsch, diesen zu entsprechen. Gehlens Ziel: Der BND soll dem SIFAR im Kampf gegen die Südtirol-Attentäter zur Seite stehen und helfen. Mehrmals interveniert auf Wunsch der SIFAR-Spitze Giovanni Gehlen direkt bei seinem Bruder Reinhard Gehlen in diesem Sinne.

      Doch Pullach kommt diesem Ansinnen nicht nach. Der BND beantwortet zwar immer wieder Anfragen aus Rom, Reinhard Gehlen & Co lassen sich aber weder in die Karten schauen noch von den italienischen Sicherheitsbehörden vor den Karren spannen. Dem BND gelingt so jahrelang eine Gratwanderung: Man gibt kaum etwas vom eigenen Wissen über die Entwicklung in Südtirol preis, schafft es aber, den italienischen Partnerdienst trotzdem bei der Stange zu halten.

      Wie weit man dabei geht, zeigt eine Episode, die Hans Langemann Anfang der 1980er-Jahre dem deutschen Journalisten Frank Peter Heigl schildert. Hans Langemann alias „Lückrath“ ist Anfang der 1960er-Jahre innerhalb des BND einer der wichtigsten Akteure im „Strategischen Dienst“ und enger Vertrauensmann von Reinhard Gehlen. Anfang 1963 reist „Lückrath“ zusammen mit dem BND-Präsidenten nach Rom. In der Wohnung des BND-Statthalters Giovanni Gehlen treffen die drei BND-Männer den damals mächtigen italienischen General Giovanni De Lorenzo (1907–1973). Dieser ist von 1955 bis 1962 Leiter des SIFAR, von 1962 bis 1966 Generalkommandant der Carabinieri und von Februar 1966 bis April 1967 Generalstabschef des italienischen Heeres. Weil De Lorenzo die Spitze des SIFAR mit eigenen Vertrauensleuten besetzt hat, ist der General in Wirklichkeit in diesen Jahren mit einer Machtfülle ausgestattet wie niemand vor und auch nicht nach ihm. Giovanni De Lorenzo steht jahrelang sowohl an der Spitze der Carabinieri wie auch des italienischen Nachrichtendienstes.

      Beim