und die deutsche Innenpolitik sowie über das deutsch-italienische Verhältnis. Mit der Zeit übernimmt er auch Aufklärungsaufträge des StB zur „Sudetendeutschen Landmannschaft“, zum BAS und vor allem zu Norbert Burger.
Im Laufe der Zeit merkt die tschechoslowakische Staatssicherheit aber, dass mit ihrem Agenten „Lukas“ etwas nicht stimmt. Im StB-Akt heißt es:
Während der Zusammenarbeit entstand der begründete Verdacht, dass Lukas ein Agent des Westdeutschen Geheimdienstes BND ist. Daher wurde die Zusammenarbeit unterbrochen.25
Formal abgeschaltet wird der Agent Herbert Lucht vom StB erst 1967. Aber auch dem BND bleibt die Zusammenarbeit seines „V-3020“ mit der tschechoslowakischen Staatssicherheit nicht verborgen. Im Sommer 1963 schickt der Sachbearbeiter im Bereich „Sicherheit/Gegenspionage“ im „Strategischen Dienst“, Dietrich Praun (DN „Pranner“ und Tarnziffer „348a/II“), einen Bericht von Herbert Lucht über Norbert Burger an den persönlichen Mitarbeiter von BND-Präsident Reinhard Gehlen Eberhard Blum (1919−2003). Blum (DN „Hartig“ und Tarnziffer „106/I“) wird zwischen 1983 und 1985 selbst Präsident des BND werden. Praun schreibt über „V-3020“:
Im Nachgang zur Bezugsmeldung wird bezüglich der Beschaffungsumstände mitgeteilt, dass Dr. Burger die darin wiedergegebenen Äußerungen am 17.8.63 gegenüber einer hier GS-mäßig geführten Verbindung vertraulich angab. Hiesige GS-Quellen brachten im Laufe der nunmehr ca. 3-jährigen Verbindung wiederholt interessante und bestätigte Meldungen. Wegen erkannter Kontakte mit einem Ost-ND liegt die Führung im GS-Bereich. Trotz gegebener Vorbehalte gegen diese Quelle wird die Bezugsinformation für glaubwürdig gehalten.26
Unter dem Kürzel GS versteht man im BND den Bereich Gegenspionage. Eine GS-Quelle ist demnach eine Person, die sowohl mit dem eigenen Dienst als auch mit einem gegnerischen Nachrichtendienst (ND) in Verbindung steht. Während der Agent dem eigenen Dienst diese Verbindung offenlegt, weiß der feindliche Dienst aber nichts von der Zusammenarbeit.27
Aus den BND-Akten geht eindeutig hervor, dass „V-3020“ in Pullach zwar nicht von Beginn an, aber spätestens ab 1963 mit offenen Karten spielt. Der BND duldet die Verbindung von Herbert Lucht zum StB aus eigennützigen Motiven. Denn über die Aufträge und Interessensbekundungen, die Lucht vom StB erhält, kann der deutsche Nachrichtendienst erfahren, was die Tschechoslowaken interessiert. Zudem hofft man, über „V-3020“ auch StB-Agenten und -Informanten in Deutschland auf die Spur zu kommen. Was auch fast gelingt. 1967 aber wird Herbert Lucht alias „Lukas“ vom StB abgeschaltet. Ein Jahr später bekommt der Mann, der ihn für die tschechoslowakische Staatssicherheit angeworben hat, ernsthafte Schwierigkeiten. Otakar Svěrčina, der seit 1965 als ČTK-Korrespondent in Bonn tätig ist, wird im Oktober 1968 von der „Sicherungsgruppe Bonn“, einer Spezialeinheit des Bundeskriminalamtes, die für die Sicherung der höchsten deutschen Institutionen verantwortlich ist, wegen Spionage verhaftet. Sein Haus und sein Büro werden durchsucht. Die Bundesanwaltschaft leitet ein Ermittlungsverfahren gegen Otakar Svěrčina ein, das nach einigen Monaten aber eingestellt wird. Wenig später kehrt Svěrčina nach Prag zurück.
Es spricht vieles dafür, dass der Tipp, der zur Verhaftung führte, aus Pullach kam.
Lucht-Brief an Svěrčina: Gegenspionage-Aktion des BND.
SS-Seilschaften im Einsatz
Die Geschichte des BND ist geprägt von persönlichen und ideologischen Kontinuitäten aus der NS-Zeit. Innerhalb der „Organisation Gehlen“ und später im BND dominieren von Anfang an Reinhard Gehlens Kriegskameraden aus der Abteilung „Fremde Heere Ost“ und aus der Abwehr, dem Militärgeheimdienst der Wehrmacht. Gleichzeitig werden aber auch überproportional viele Personen verpflichtet, die zuvor in Institutionen des NS-Regimes und -Staates tätig gewesen waren, etwa in der Gestapo (Geheime Staatspolizei), in der SS (Schutzstaffel) oder im „Sicherheitsdienst des Reichsführers SS“ (SD), also dem Geheimdienst der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und der SS. Viele von ihnen hatten sich auch an Kriegsverbrechen beteiligt. Heute geht man davon aus, dass bis in die 1960er-Jahre über 50 Prozent der BND-Mitarbeiter aus diesem Personenkreis stammten.28 Diese ideologische Schlagseite findet man deckungsgleich auch unter den Zuträgern und Informanten des deutschen Nachrichtendienstes. Im Nachhinein lassen sich ganze Seilschaften von SS- und SD-Leuten innerhalb des BND ausmachen, die von der Leitungsebene bis zur operativen Beschaffung reichen. Dass gerade in diesen Seilschaften ein ganz besonderes Interesse und eine Affinität zu Südtirol bestehen, ergibt sich aus der ideologischen Überhöhung der deutschen Volksgemeinschaft durch die Nazis und der Tatsache, dass das deutschsprachige Südtirol auch für den deutschen Nachrichtendienst das Einfallstor für Italien ist. Dazu kommt, dass die während der Kriegsjahre geknüpften Beziehungen und Freundschaften zu Südtiroler SS- und SD-Männern jetzt in diesen Kreisen für die operative Nachrichtenbeschaffung hergenommen werden.
In genau dieses Schema fällt auch die BND-Seilschaft um Hartmann Lauterbacher. Hartmann Lauterbacher (1909–1988) wird in Reutte in Tirol als Sohn eines Tierarztes geboren. Bereits als Gymnasiast ist er von den Nationalsozialisten begeistert. Laut eigener Darstellung begegnet er am 19. April 1925 als 16-Jähriger in Rosenheim erstmals Adolf Hitler. 1927 beginnt Lauterbacher eine Ausbildung zum Drogisten in Braunschweig. Er tritt dort der NSDAP bei und baut ab 1929 die Hitlerjugend (HJ) des Gaus Süd-Hannover-Braunschweig auf. Lauterbacher macht innerhalb der HJ eine steile Karriere. 1934 wird er zum HJ-Stabsführer und Stellvertreter von Reichsjugendführer Baldur von Schirach ernannt. Welche prominente Rolle der Tiroler in der NS-Hierarchie damit einnimmt, wird deutlich, wenn man bedenkt, wer ein Jahr später sein Trauzeuge ist: Josef Goebbels.
Ehemaliger Gauleiter Hartmann Lauterbacher: Mitarbeiter und Verbindungsführer im BND.
1940 verlässt Lauterbacher die HJ und tritt der SS bei, wo er bis zum Obergruppenführer aufsteigt. Der fanatische Nationalsozialist wird im Dezember 1940 zum Gauleiter des Gaus Süd-Hannover-Braunschweig ernannt. In dieser Funktion ist er führend an der Ghettoisierung und an der Deportation der jüdischen Gemeinde von Hannover beteiligt. Zu Kriegsende flieht Hartmann Lauterbacher nach Österreich und wird schließlich in Kärnten von den Briten verhaftet. In den Jahren danach werden insgesamt acht Verfahren gegen den SS-Mann eingeleitet, die allesamt ergebnislos enden. 1948 kann er aus einem US-Kriegsgefangenenlager in Norddeutschland fliehen und sich nach Rom absetzen. Dort lebt und arbeitet er in den nächsten Jahren zusammen mit seinem Bruder Hans.
Sicher ist, dass Hartmann Lauterbacher bereits damals im Dienst des amerikanischen Militärnachrichtendienstes „Counter Intelligence Corps“ (CIC) steht. Er soll für das CIC eine „internationale anti-bolschewistische Organisation“ in Ungarn aufbauen. Auch in Rom ist Lauterbacher nachrichtendienstlich tätig. Lauterbacher lebt in der italienischen Hauptstadt unter dem Decknamen „Leo Bauer“, verkehrt in neofaschistischen Kreisen und beteiligt sich an der Ausschleusung führender Nazis über die sogenannte Rattenlinie nach Südamerika. Gleichzeitig fungiert er als Agent des Leiters der römischen SIFAR-Zentrale Eugenio Piccardo und liefert dem italienischen Nachrichtendienst Informationen aus diesen Kreisen. Der SIFAR hält dafür schützend seine Hand über den ehemaligen SS-Mann.29
Ansuchen Lauterbachers: Genehmigung einer Reise nach Südtirol für „V-6300“.
Dennoch wird Lauterbacher im April 1950 von den italienischen Sicherheitsbehörden verhaftet und als „unerwünschter Ausländer“ im Lager Le Fraschette in der Nähe von Rom interniert. Auch dort gelingt ihm schließlich die Flucht und er schafft es, mit Südtiroler Hilfe – einer der Helfer dürfte der Brixner Willy Acherer (1920–2016) gewesen sein − nach Deutschland zu gelangen.
Obwohl