Christoph Franceschini

Segretissimo, streng geheim!


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Schreiben geht an Bruno Kreisky (1911–1990) persönlich. Der Absender: Herbert Lucht. Der Journalist übermittelt dem österreichischen Außenminister die Abschrift eines Interviews, das er kurz vorher mit ihm geführt hat, und einen weiteren Artikel über einen Vortrag von Kreisky in Budapest. Dass Lucht einen besonderen Draht zu Kreisky hat, geht aus dem Begleitschreiben hervor. Dort schreibt der Journalist:

       Inzwischen hatte ich durch einen Zufall mit dem übergeschnappten Dr. Burger Berührung (in der Bundesrepublik allerdings), der mir großzügig sogar ein „Interview“ gewährte. Vielleicht haben Sie in den Zeitungen darüber gelesen. In Südtirol – doch das, bitte, nur zu Ihrer persönlichen Information – lagern 2.000 kg Sprengstoff („Für weiteren Nachschub ist gesorgt …“), die durchwegs aus Österreich stammen sollen. In einem persönlichen Gespräch bin ich gerne bereit, Ihnen nähere Angaben zu machen. Interessant mag vielleicht noch sein, dass Mittelsmänner der sowjetischen Botschaft in Wien 1960, bereits vor der ersten „Terrorwelle“ also, an die „Bumser“ herangetreten seien und ihnen finanzielle und auch materielle Unterstützung unter der Bedingung zugesagt haben sollen, dass sie ihre „Aktionen“ auch auf die in Südtirol befindlichen Nato-Basen ausdehnten. Sie hätten diese Forderung abgelehnt und seither die Feindschaft der Kommunisten gegen sich.17

      Bruno Kreisky nimmt das Schreiben so ernst, dass er den Brief mit einem großen P versieht, was so viel wie „Panzerschrank“ bedeutet.

      Herbert Lucht ist ein Vollblutjournalist. Der 1925 in Danzig geborene Lucht lebt seit Mitte der 1950er-Jahre in Wien und arbeitet dort als Korrespondent für ein Dutzend deutscher Zeitungen. Seine Artikel erscheinen im „General Anzeiger“ (Bonn), im „Wiesbadner Kurier“, in der „Passauer Neuen Presse“, im „Echo der Zeit“ aber auch in der „Züricher Woche“, der Münchner Wochenzeitung „Aktuelle“ oder der Wiener „Wochenpresse“. Lucht schreibt über österreichische Innenpolitik, beginnt sich ab 1960 aber auch brennend für Südtirol zu interessieren. Immer wieder hält sich der Wiener Journalist in Südtirol auf. Im Frühjahr 1962 kommt es zu einem Zwischenfall, der internationales Aufsehen erregt. Herbert Lucht schreibt für die „Wochenpresse“ unter dem Titel „Schmutzige Hände“ einen Artikel über die Misshandlungen der Südtiroler BAS-Leute in den Carabinieri-Kasernen. Der Artikel erscheint am 17. Februar 1962 und wird in den Wochen darauf von unzähligen Zeitungen im deutschsprachigen Raum übernommen.

      Unmittelbar nach Erscheinen des Artikels leitet die Staatsanwaltschaft Bozen Ermittlungen gegen Herbert Lucht wegen Schmähung der Carabinieri und der italienischen Gerichtsbarkeit ein. Als sich der deutsche Journalist im April 1962 wieder in der Südtiroler Landeshauptstadt aufhält, wird er in die Quästur gebracht und dort vom Leiter der politischen Polizei Giovanni Peternel (*1915) verhört. Die Staatsanwaltschaft erhebt später auch Anklage gegen Herbert Lucht. Als prominente in- und ausländische Journalisten eine Solidaritätskampagne für ihren Kollegen lostreten und der Fall international zum Thema gemacht wird, schlägt man das Verfahren still und leise nieder.18

      Was niemand zu diesem Zeitpunkt ahnt: Der deutsche Auslandnachrichtendienst wirbt Herbert Lucht 1960 als „V-3020“ an.19 Der Wiener Journalist führt Aufklärungsaufträge für den BND durch, so recherchiert er 1962 in Bozen zum „Bert Brecht Verein“ (Verein und Bücherei) oder zum neu gegründeten „Südtiroler Wirtschafts- und Sozialinstitut“. Im BND-Bericht heißt es:

       Das „Südtiroler Wirtschafts- und Sozialinstitut“, gegründet etwa 1960, befasst sich mit wissenschaftlichen Analysen und Gutachten und hat nach Ansicht der Tiroler Landesregierung keinerlei Verbindung mit politischen und semipolitischen Organisationen. Es wird als „einwandfrei und harmlos“ bezeichnet. Der Geschäftsführer, Dr. Christoph Pan, ist, ebenso wie der Präsident, Dr. Otto Pattis, und der Vizepräsident, Direktor Fuchs, gläubiger und kirchentreuer Katholik.20

      1962 nimmt Herbert Lucht Kontakt zu Norbert Burger auf. Der österreichische BAS-Mann vertraut dem Wiener Journalisten und gewährt ihm mehrere Interviews. „V-3020“ berichtet darüber pflichtbewusst nicht nur an Bruno Kreisky, sondern auch an seinen Dienstgeber nach Pullach. So heißt es in einem seiner Berichte für den BND im Sommer 1962:

       Die Angaben Dr. Burgers über die bezeichneten Vorgänge scheinen nicht übertrieben zu sein. Bei Zusammenkünften mit Quelle im Café „Landmann“ und Café „Eiles“ waren jeweils an Nachbartischen Studenten, die immer wieder zu Dr. Burger kamen, ihm Fragen stellten und Weisungen erbaten. Quelle entnimmt daraus, dass Dr. Burger noch weiterhin sehr aktiv konspirativ tätig ist. Dr. Burger versprach Quelle, ihr 12 Stunden vor der geplanten Flugzettelaktion in Österreich ein Exemplar zuzustellen.21

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      Journalist und Doppelagent Herbert Lucht: Bewusste Annäherung an Norbert Burger.

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      StB-Agent Otakar Svěrčina: Wirbt Herbert Lucht für die tschechoslowakische Staatssicherheit an.

      Im August 1963 organisiert Norbert Burger eine Art Exklusiv-Gespräch. In einer Wohnung in Garmisch-Partenkirchen sollen drei Südtiroler BAS-Männer und ein Innsbrucker Helfer ausgewählten Journalisten Rede und Antwort stehen. Doch die vier Männer erscheinen an diesem 18. August nicht. So gibt Norbert Burger Herbert Lucht ein Interview – und vier Tage später liegt die Abschrift des Gesprächs in Pullach. Im Begleitschreiben heißt es:

       In der Anlage wird der Entwurf eines Interviews zwischen dem Wiener Journalisten Herbert Lucht und Dr. Norbert Burger überreicht. Lucht will versuchen, dass dieses Interview publiziert wird. Falls Aufklärungswünsche bestehen, wird um eilige Mitteilung gebeten.22

      Die Annäherung von Herbert Lucht an Norbert Burger entspringt nicht eigenem Interesse, sondern ist ein Dienstauftrag. Doch es ist kein Auftrag des deutschen Nachrichtendienstes an seinen „V-3020“, sondern eines anderen geheimen Arbeitgebers. Herbert Lucht beschäftigt sich journalistisch zeit seines Lebens mit dem Osten. Er schreibt mehrere Bücher und längere Beiträge über Ungarn, die Tschechoslowakei und Bulgarien. Jahrelang versucht er als Korrespondent nach Prag zu gehen, erhält aber keine Aufenthaltsgenehmigung.

      Bereits 1956 freundet sich Lucht mit dem Prager Journalisten Otakar Svěrčina (* 1925) an. Dieser arbeitet von 1948 bis 1989 für die tschechische Nachrichtenagentur ČTK, von 1964 bis 1969 als Korrespondent in Bonn und danach als ČTK-Generaldirektor. Der Prager Journalist ist auch Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei und sitzt von 1971 bis zur „Samtenen Revolution“ 1990 in der tschechischen Abgeordnetenkammer. Otakar Svěrčina arbeitet aber auch gut 40 Jahre lang für den tschechoslowakischen Nachrichtendienst „Státní bezpečnost“ (StB). Unter den Decknamen „Othmar“ und „Veverka“ liefert der Journalist Informationen und wirbt Informanten für den StB an.

      Vier Jahre lang treffen sich Svěrčina und Lucht immer wieder in Wien und Prag. Im StB-Akt von Herbert Lucht findet sich ein ausgedehnter privater Briefwechsel zwischen den beiden. Otakar Svěrčina dürfte dabei von Anfang an die Aufgabe gehabt haben, den deutschen Journalisten als Auslandsagenten für den StB anzuwerben.23 Im Jänner 1960 ist es soweit: Herbert Lucht unterzeichnet in Wien eine Verpflichtungserklärung. Ursprünglich soll Agent „Lukas“ für den StB nach Deutschland gehen und von dort für die tschechoslowakische Staatssicherheit spionieren. Herbert Lucht ist aber skeptisch. In einem Brief an Otakar Svěrčina („Lieber Otik“) vom September 1960 schreibt er:

       Ungeachtet dessen, dass ich mich einfach nicht mit dem Gefühl befreunden kann, eine so verantwortungsvolle und für mich befremdliche Aufgabe von heute auf morgen zu übernehmen, sind mir auch Bedenken gegen die praktischen Möglichkeiten gekommen. Seid ihr da nicht etwas zu optimistisch? […] Ich bin Journalist, genauso wie du; ein Mann also, der von Haus aus skeptisch ist und immer nur Konkreta gelten lässt. Die sehe ich hier für mich nicht, noch nicht.24

      Tatsache ist, dass sich Herbert Lucht 1960 gleich an zwei Nachrichtendienste bindet. Zum einen wird