vorschlägt und anwirbt, ist in diesem Fall Hans Lutz (DN „Roth“ „V-4100“). Der Oberst gehört zur Gründermannschaft der Org. und leitet damals die „Generalvertretung G“ in Frankfurt, die vor allem in der Spionage gegen die DDR tätig ist. Hartmann Lauterbacher erhält die V-Nummer „6300“ (später in „V-6400“ geändert) und den DN „Leonhard“ sowie die Tarnziffer „586“. Er ist danach 14 Jahre lang hauptberuflich für den deutschen Nachrichtendienst tätig. Auch sein Bruder Hans arbeitet für die „Organisation Gehlen“. Hartmann Lauterbacher leitet in der Org. zuerst die Unterabteilung „Rohproduktionsgenossenschaft“ (RPG) und wird im BND 1957 dann in die Abteilung 27/VK „Politische Beschaffung“ unter der Leitung von Kurt Weiß alias „Winterstein“ versetzt. Sowohl die Org. wie der BND decken ihre Außenstellen jahrelang als Unternehmen ab. Das heißt, es werden Firmen gegründet, die Angestellte, Büros und formal auch eine Geschäftstätigkeit haben. In Wirklichkeit sind dies aber BND-Filialen, wie etwa die genannte „Rohproduktionsgenossenschaft“. Am 5. Jänner 1952 gründet Lauterbachers Bruder Hans zusammen mit dem damals ebenfalls für die Org. tätigen Fritz von Bomhard („V-4430“) in München die „Labora Außenhandelsgesellschaft Hans Lauterbacher & Co“. Die Firma, offiziell im Import und Export von technischen Geräten tätig, ist ebenfalls ein Tarnunternehmen der Org. und später des BND. Als Hans Lauterbacher 1955 stirbt, tritt Hartmann an die Stelle des verstorbenen Bruders. Auch Hartmann Lauterbachers Frau wird Teilhaberin des Unternehmens. 1959 wird die Firma dann in „Forschungsinstitut für zwischenstaatliche Wirtschaftsfragen GmbH“ umbenannt.30
Hartmann Lauterbacher baut für den deutschen Nachrichtendienst ein Informationsnetz aus ehemaligen SS-Männern auf. Dabei wird er nicht nur im Nahen Osten oder in Tunesien tätig, sondern in seiner nachrichtendienstlichen Arbeit gibt es immer wieder auch Berührungspunkte zu Südtirol.
Bereits im Frühjahr 1950 wirbt Hartmann Lauterbacher einen ehemaligen Südtiroler SS-Mann für die Org. an. Der Neumarkter Otto Casagrande (1919–1990) dürfte einer jener Helfer gewesen sein, die Lauterbacher nach seiner Flucht aus Le Fraschette nach Deutschland geschleust haben. Casagrandes Lebensgeschichte, die von seinem Sohn Thomas Casagrande in einem hervorragenden Buch aufgezeichnet wurde, ist ein Musterbeispiel für Tausende junge Südtiroler, die sich zwischen 1939 und 1944 freiwillig zur Wehrmacht oder zur SS gemeldet haben.31 Otto Casagrande, der in der Jugend des „Völkischen Kampfringes Südtirol“ (VKS) ideologisch für das „Reich“ indoktriniert wird, optiert 1939 für Deutschland und meldet sich zusammen mit einer ganzen Gruppe Gleichaltriger als Freiwilliger zur Waffen-SS. Nach der Ausbildung in München kommt Casagrande zuerst an die Ostfront und dann nach einer Verwundung in die SS-Junkerschule nach Bad Tölz zu einer Sonderausbildung. Zum SS-Untersturmführer befördert, wird Casagrande ab Sommer 1944 zur italienischen Waffen-SS versetzt. Dort wird er Adjutant des Südtiroler SS-Hauptsturmführers Alois Thaler, der ursprünglich für die Ausbildung italienischer Waffen-SS-Soldaten zuständig ist. Ab 1944 kommt diese Ausbildung aber zum Erliegen und die SS-Einheit, die zuerst in Cremona und dann in Rodengo-Saiano in der Nähe von Brescia stationiert ist, wird zunehmend in der Partisanenbekämpfung eingesetzt. Im Frühjahr 1945 richtet die SS-Mannschaft unter dem Befehl Thalers in Rodengo-Saiano mehrere Massaker an. Als die Amerikaner anrücken, können die Partisanen Alois Thaler verhaften. Er wird am 2. Mai 1945 von den Partisanen hingerichtet.
Südtiroler BND-Mitarbeiter Otto Casagrande: Von Hermann Lauterbacher angeworben.
Seinem Adjutanten Otto Casagrande gelingt hingegen die Flucht. Er schlägt sich nach Neumarkt durch, wo er sich versteckt hält und von Freunden und Verwandten versorgt wird. Weil er von den Amerikanern gesucht wird, flieht er weiter bis nach Innsbruck, wo er im Dezember 1945 von den Franzosen zuerst verhaftet und dann wieder freigelassen wird. Anfang 1946 kehrt Otto Casagrande illegal über die Grenze nach Südtirol zurück. Am 23. Januar 1947 wird er vom CIC in Bozen verhaftet. Verhört wird er dabei in Bozen ausgerechnet von jenem CIC-Mann, den wir bestens aus dem ersten Band dieses Werkes kennen: Joseph Peter Luongo.32
Otto Casagrande bleibt vom April bis September 1947 im Kriegsgefangenenlager Rimini interniert. Er kehrt nach seiner Freilassung nach Neumarkt zurück, wo er zwei Jahre lang für eine italienische Firma tätig ist. Offiziell als „Deutscher im Ausland“ sucht er 1948 um die Wiedererlangung der italienischen Staatsbürgerschaft an. Weil ihm diese aber wegen seiner Zugehörigkeit zur Waffen-SS verweigert wird, will er zuerst – wie viele belastete SS-Männer − nach Südamerika auswandern, ändert dann aber seine Meinung und geht nach Deutschland, wo er sich im Rhein-Main Gebiet niederlässt. Dort trifft der Südtiroler SS-Mann wieder auf Hartmann Lauterbacher, den er mit großer Wahrscheinlichkeit bereits 1947 im Kriegsgefangenenlager Rimini kennengelernt hatte. Lauterbacher kontaktiert Casagrande für die Org. und wirbt ihn schließlich an. Otto Casagrande wird als „V-6301“ im August 1951 formal in Pullach als Mitarbeiter der „Generalvertretung G“ in Frankfurt registriert. „Geworben von 6300“ steht auf seiner Karteikarte, also von Hartmann Lauterbacher. Als Einsatzgebiet ist handschriftlich vermerkt: „III, FDJ“.33 Unter dem Signum III versteht man im Nachrichtendienst die sogenannte Gegenspionage und Spionageabwehr. Der Hauptzweck dieser Abteilung: staatsfeindliche Umtriebe aufzudecken und Gruppen oder Personen, die für ausländische Dienste tätig sind, zu überwachen. Dazu passt auch die zweite Bezeichnung: FDJ steht für „Freie Deutsche Jugend“, die kommunistische Jugendorganisation der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Die FDJ war damals in der Bundesrepublik verboten und wurde vom BND akribisch beobachtet. Unter anderem auch von Hartmann Lauterbacher.
Otto Casagrandes Laufbahn im Nachrichtendienst ist nur von kurzer Dauer. Laut Karteikarte wird der Neumarkter SS-Mann am 1. August 1953 „abgeschaltet“, das heißt als Mitarbeiter entlassen. Was „V-6301“ in den zwei Jahren seiner Tätigkeit genau für die Org. tut, lässt sich aus den bisher freigegebenen Akten nicht rekonstruieren. Dass Casagrande dabei aber durchaus auch mit Italien und Südtirol zu tun haben dürfte, legt ein Detail nahe. Gleichzeitig mit seiner Einstellung als „V-6301“ eröffnet Otto Casagrande im Juli 1951 in Wiesbaden eine eigene Firma, die „O. Casagrande Import-Export“ mit dem Unternehmenszweck „Vertretung italienischer Firmen für Möbel- und Dekorationsstoffe“. Es dürfte sich hier ebenfalls um eine Tarnfirma der Org. handeln, die in Richtung Italien operiert hat.
Hartmann Lauterbacher alias „Leonhard“ hingegen ist für den BND immer wieder in Sachen Südtirol tätig. Im Juli 1961 berichtet er unter dem Betreff „Sabotagen in Südtirol/Italien“ von einer persönlichen, privaten Begegnung in Wien. In dem Gespräch geht es sechs Wochen nach der Feuernacht um die Südtirol-Attentate und ihre Hintermänner. Gesprächspartner sind Funktionäre der Freiheitlichen Partei Österreichs FPÖ. Der Landesleitung der Wiener FPÖ ist angeblich bekannt, „dass die in Südtirol/Italien durchgeführten Anschläge auf die Initiative, die Ausbildung und den Einsatz einer östlichen Macht zurückgehen“.34
Das ist der Punkt, der den BND und seinen Mitarbeiter „Leonhard“ brennend interessiert. Der eigentlich anvisierte Gesprächspartner in Wien ist Friedrich Peter (1921–2005), Bundesobmann der FPÖ, der sich 1938 ebenfalls freiwillig zur Waffen-SS gemeldet und es dort bis zum Obersturmführer gebracht hatte. Weil Peter an diesem Tag verhindert ist, bespricht man das heikle Thema mit einem gewissen „Dr. Bandat“. Es handelt sich dabei um den Ehemann der FPÖ-Nationalratsabgeordneten Josefine Bandat (1902−1966). Neben Hartmann Lauterbacher ist beim Treffen in Wien ein Mann dabei, den „V-6400“ (inzwischen wurde Lauterbachers Nummer geändert) kurz vorher für den BND angeworben hat. Im Bericht an seinen Vorgesetzten im „Strategischen Dienst“ in Pullach schwärmt „Leonhard“:
SS-Brigadeführer und HIAG-Funktionär Karl Cerff: Einsatzgebiet Südtirol.
Bei dieser Gelegenheit bestätigte sich erneut die Annahme, dass [Name geschwärzt – Anm. d. Autors] ein guter nachrichtendienstlicher MA werden könnte.35
Der Mann, den Hartmann