die Behörden der Insel seien streng, die Aufsicht funktioniere zuverlässig und entspreche in jeder Hinsicht den internationalen Anforderungen. »Sobald man ein internationales Finanzzentrum ist und bestimmte Dienstleistungen anbietet, wird man zur Zielscheibe. Das heißt aber nicht, dass die Anschuldigungen auch wahr sind.«
Möglicherweise hatte sie ja recht und bei den Beispielen, die ich ihr genannt hatte, handelte es sich um Einzelfälle. Wir haben keine unabhängige Beurteilung der Kompetenz der Aufsichtsbehörde von Nevis und wissen nicht, inwieweit die Unternehmen, die ihrer Kontrolle unterstehen, von kriminellen Aktivitäten durchdrungen sind. Es ist durchaus möglich, dass die winzige Polizei von Nevis ausreichend kompetent ist, Finanzkriminalität zu verfolgen und den beteiligten Firmen das Handwerk zu legen, statt es zu ignorieren, um mehr Geld anzulocken. Es wäre schön, wenn es so wäre.
Wenn die Erfahrungen eines anderen Finanzzentrums als Vergleich dienen können, dann sollten wir uns allerdings keine allzu großen Hoffnungen machen.
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Jersey ist eine Insel im Ärmelkanal. Obwohl sie nur wenige Kilometer von der französischen Küste entfernt ist, gehört sie zu Großbritannien, zumindest mehr oder weniger. In den Sechzigerjahren nutzte sie ihre Autonomie zum Aufbau eines Offshore-Bankwesens, in dem die Briten ihr Geld verstecken konnten, und schon bald wurde daraus ein eigenständiges Finanzzentrum. Das Muster dürfte Ihnen inzwischen vertraut vorkommen. Jersey hat zehnmal so viele Einwohner wie Nevis, ist reicher, und das Offshore-Zentrum ist einige Jahrzehnte älter. Als Außenstehende begannen, den Geheimnissen der Insel auf den Grund zu gehen, waren sie entsetzt.
Jerseys besondere Spezialität sind Treuhandgesellschaften. Die Ursprünge dieser Rechtsform reichen zurück bis ins Mittelalter, als Ritter zu den Kreuzzügen ins Heilige Land aufbrachen und ihr Vermögen für ihre Frauen und Kinder absichern wollten. Dazu gaben sie es in die Hände eines Verwalters, mit dem Auftrag, alle Erträge an die Kinder auszuzahlen. In Ländern mit angelsächsischem Recht hat die Treuhandgesellschaft verschiedene Anwendungen, darunter auch jene Offshore-Tricks, da es den juristischen Besitz und seine Erträge trennt. Ein Apartment kann sich in New York befinden und Sie können darin wohnen, aber es gehört Ihnen nicht. Es gehört vielmehr einer Treuhandgesellschaft auf Jersey, die rechtlich dazu verpflichtet ist, es nach Ihrem Ableben an Ihre Enkel zu übergeben. Die Vorteile für die Bewohner von Moneyland liegen auf der Hand: Was ihnen nicht gehört, darauf zahlen sie keine Steuer; lediglich das Einkommen, das es abwirft, ist steuerpflichtig. Treuhandgesellschaften spielen eine wichtige Rolle bei der »Nachfolgeplanung« – ein Euphemismus für die Umgehung der Erbschaftssteuer –, und Anwälte auf Jersey sind Experten bei deren Gründung.
Wie Nevis ist Jersey bemüht, sich gegenüber der Konkurrenz Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, indem es Neuerungen aus anderen Ländern kopiert. Abgeordnete des Parlaments haben seit jeher ein offenes Ohr für die Wünsche der Anwälte, um sie auf der Insel zu halten. Oder um es mit den Worten eines Abgeordneten zu sagen: »Wenn wir das Geld nicht nehmen, dann gibt es viele andere, die es mit Kusshand nehmen. Ohne die Finanzdienstleister gäbe es hier keine sozialen Dienstleistungen.«
Aus Jerseys Sicht ist das verständlich, wirft jedoch die Frage auf, wer eigentlich das Sagen hat: das Parlament oder die Anwälte und Finanzdienstleister, die drohen, die Insel zu verlassen, wenn die Politik nicht nach ihrer Pfeife tanzt.
Diese Frage bereitete John Christensen Kopfzerbrechen. Christensen war Wirtschaftsprüfer aus Jersey, der 1987 eine Stelle beim Staat annahm. Er hatte in Großbritannien Wirtschaft studiert und war danach auf die Insel zurückgekehrt, um hier eine Familie zu gründen. »Die Finanzlobby war so stark, dass sich alles darum drehte, wie man den Finanzsektor ausbauen konnte«, so Christensen. Das war für ihn ein Problem, denn dazu sah man auf der Insel über einige höchst verdächtige Verhaltensweisen hinweg.
1996, nach einem guten Jahrzehnt in seiner Position, erhielt Christensen einen Anruf von einem Reporter des Wall Street Journal, der ihn nach einem Börsenhändler mit Sitz auf Jersey fragte. Eine Gruppe überwiegend amerikanischer Anleger warf einem Mann namens Robert Young vor, er habe 27 Millionen Dollar von ihrem Geld verzockt, aber fälschlich Gewinne ausgewiesen; die Behörden von Jersey weigerten sich, etwas dagegen zu unternehmen. Young hatte bei der Privatbank Cantrade gearbeitet, die zur UBS gehörte.
Christensen stellte eigene Nachforschungen an. Dabei erfuhr er, dass der Vorsitzende des Ausschusses, der die Beschwerden ignoriert hatte, vier Jahre lang Direktor von Cantrade gewesen war. Der Regierungschef der Insel war Seniorpartner der Anwaltskanzlei von Cantrade gewesen. Und die Prüfer von Cantrade selbst hatten den Auftrag bekommen, zu ermitteln, ob sich die Bank etwas zuschulden hatte kommen lassen. Diese kamen zu dem überraschenden Schluss, dass alles seine Ordnung hatte. Das sah nicht gut aus. Als Ermittler schließlich einen Durchsuchungsbefehl für Youngs Haus bekamen, fanden sie vierzig Taschen von Gucci und fünf Armbanduhren von Rolex. Allein im Dezember 1993 wies seine Kreditkartenabrechnung Ausgaben in Höhe von 144.000 Dollar aus.
Young und sein Wirtschaftsprüfer wurden 1998 zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, und Cantrade zahlte außergerichtlich eine beträchtliche Summe an die hintergangenen Anleger. Doch ausländischen Beobachtern reichte das nicht. John Moscow, der damalige Bezirksstaatsanwalt von New York, erklärte gegenüber Journalisten, er sei bei seinen Ermittlungen jedes Mal frustriert über die mangelnde Kooperationsbereitschaft von Jersey. »Es ist unerhört, dass diese britischen Dependancen als Schutzgebiete für Transaktionen dienen, die nicht einmal vom Schweizer Bankgeheimnis geschützt würden«, zürnte er.
Genau über diesen Fall sprach Christensen mit dem Reporter des Wall Street Journal. Nach seiner Meinung zu den Gesetzen der Insel gefragt, bat er den Journalisten, ihn nicht namentlich zu nennen. »Ich habe das Gefühl, sie sind hoffnungslos überfordert.« Es dauerte nicht lange, bis man auf Jersey dahinterkam, wer der Informant des Wall Street Journal war. Es war unverzeihlich. Christensen musste die Insel verlassen und aufs Festland ziehen, wo er beim Aufbau des Tax Justice Network beitrug, einer NGO, die gegen Steuerparadiese kämpft. Zwanzig Jahre später behauptet man auf Jersey immer noch, Christensen habe sich rächen wollen, weil er bei einer Beförderung übergangen wurde. »Das hat er bis heute nicht verkraftet, das wurmt ihn immer noch«, erklärte mir der Leiter der Bankaufsicht von Jersey.
Jersey hat knapp über 100.000 Einwohner und neigt wie jeder kleine Ort zu Klatsch. Die Saga um Christensen, das Wall Street Journal und Cantrade mag wie eine Provinzposse erscheinen, bis man sich die Zusammenhänge vor Augen führt. Wenn die Banker gleichzeitig die Politik, die Justiz und die Aufsichtsbehörden lenken, dann sind Insidergeschäfte vorprogrammiert. Die Autonomie der Insel wird zum Feigenblatt für die Gaunereien der Reichen auf der Insel und darüber hinaus. Der Rechtsstaat verkommt zum Witz. Wie zwei ehemals leitende Polizeibeamte erklären, die nach langen Berufsjahren von Großbritannien auf die Insel gewechselt waren, gelten die Gesetze von Jersey nicht für Menschen, die reich genug sind, sie zu ignorieren.
Aufgescheucht durch kritische Berichte, ernannte die Polizei von Jersey im Jahr 2000 einen Schotten namens Graham Power zum Polizeidirektor der Insel. Mit seiner Ernennung und der seines Stellvertreters Lenny Harper aus Nordirland sollte die Polizei von Jersey professionalisiert und ihr Image aufpoliert werden. Das Gegenteil trat ein, denn die beiden brachten die Probleme ans Licht, die sich im Cantrade-Skandal bereits abgezeichnet hatten.
Nach Ermittlungen in einem Fall von Kindesmissbrauch, der Jersey in die Schlagzeilen gebracht hatte, wurde Power 2008 vom Dienst suspendiert. Seine Beamten hatten Hinweise auf sexuellen Missbrauch in einem Kinderheim und einem Segelverein für Jugendliche gefunden, und einer der Angeklagten war ein Mann, der trotz früherer Sexualstraftaten als ehrenamtlicher Polizist tätig sein durfte. Power und Harper mussten weg. Doch es war kein leiser Abgang: Mit ihren Aussagen bei nachfolgenden Anhörungen machten sie deutlich, wie schwierig ihre Arbeit in dieser kleinen und reichen Gemeinde gewesen war. Power beschrieb etwas, das er als »Jersey-Methode« bezeichnete, inzestuöse Gepflogenheiten mit Hinterzimmer-Deals, die verhinderten, das unangenehme Themen an die Öffentlichkeit kamen.
»Die Praxis der gegenseitigen Gefälligkeiten war tief verwurzelt«, schrieb er in einer Stellungnahme. »Die Elite von Jersey rotiert durch einflussreiche Positionen. In der Kultur herrscht eine tiefe Abneigung dagegen, Staub aufzuwirbeln.« Als