Oliver Bullough

Land des Geldes


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noch Dollars, und 35 Dollar waren immer noch eine Unze Gold wert. Die Probleme, die in der Folge aufkamen, hingen damit zusammen, dass sich Dollars nicht wie Öl verhalten. Wenn man das Öl nicht verwendet, ist es einfach da und macht nichts. Aber Dollars vermehren sich.

      Wenn ich einen Dollar auf die Bank bringe, dann verwendet ihn die Bank als Sicherheit für einen Dollar, den sie an jemand anderen verleiht, das heißt, aus einem Dollar werden zwei. Und wenn der Kreditnehmer seinen Dollar auf eine andere Bank bringt, verwendet diese ihn als Sicherheit für neue Kredite, und das Geld vermehrt sich weiter. Aber da jeder Dollar eine feste Menge an Gold wert war, hätten die Vereinigten Staaten immer mehr Gold kaufen müssen, um die wachsende Dollarmenge zu decken. Aber dieses Gold hätten sie wieder mit Dollars bezahlen müssen, das heißt, sie hätten noch mehr Dollars in Umlauf gebracht, die sich wieder vermehrten, weshalb die Vereinigten Staaten wieder mehr Gold kaufen müssten, und so weiter, bis das System schließlich zusammenbrechen würde. Die Bemühungen waren fruchtlos: Mit dem Offshore-Banking konnte es nicht mithalten. Das ist so, als würde das Öl im Tanker nicht nur heimlich von einem Tank in den anderen gepumpt, sondern als würde sich das Volumen dabei jedes Mal verdoppeln.

      Vielleicht ahnen Sie schon, was das bedeutet. Ausländische Regierungen hatten das Recht, Gold zu 35 Dollar pro Unze zu kaufen, doch die Dollarmenge wurde immer größer, während die Goldmenge konstant blieb. Nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage musste früher oder später ein Schwarzmarkt entstehen, so wie es in jeder Diktatur, die den Wechselkurs kontrollieren will, einen schwarzen Währungsmarkt gibt. Eine ausländische Regierung konnte Gold für 35 Dollar pro Unze kaufen, und es dann auf dem freien Markt für Eurodollars weiterverkaufen. Mit diesen Eurodollars konnte es neues Gold kaufen und auf dem freien Markt mit Gewinn verkaufen, und so weiter. Es war die Goldfinger-Masche, nur ohne Rolls-Royce und Golfspielen mit 007. Wie viel man damit verdienen konnte, hing davon ab, wie viel Washington zu verlieren bereit war. Der Betrug wurde nur verhindert, weil die Beteiligten bereit waren, nicht von einem derart offensichtlich fehlerbehafteten System zu profitieren.

      Die Regierung der Vereinigten Staaten versuchte, den Goldpreis zu schützen, doch mit jeder Einschränkung des Dollarflusses wurde es lohnender, seine Dollars in London anzulegen, was zur Folge hatte, dass immer mehr Geld offshore gelangte und der Druck auf den Goldpreis immer größer wurde. Die Banker folgten dem Dollar. Für amerikanische Banker spielte London bald eine ähnliche Rolle wie China für die amerikanischen Fabrikanten von heute. In der City waren die Regeln lockerer und die Politiker entgegenkommender als an der Wall Street, und das gefiel den Banken. 1964 hatten elf amerikanische Banken ihre Filialen in der Londoner City. 1975 waren es 58. Inzwischen hatte sich Washington längst in das Unvermeidliche gefügt und war nicht mehr bereit, die Unze Gold für 35 Dollar herauszugeben. Es war der erste Schritt auf dem Weg zur allmählichen Demontage der Sicherheitsvorrichtungen von Bretton Woods.

      Die philosophische Frage, wem das Geld gehörte – demjenigen, der es verdiente, oder dem Land, das es druckte –, war damit beantwortet. Dank der freundlichen Banker in London und der Schweiz konnten die Besitzer des Geldes damit anstellen, was sie wollten, und kein Staat der Welt konnte sie daran hindern. Wenn sie es versuchten, machten sie die Situation nur schlimmer. Das Geld floss weiter offshore, sosehr die Behörden auch versuchten, es zu stoppen. So lange ein Land die Offshore-Finanz duldete, so wie Großbritannien, so lange waren die Bemühungen aller anderen aussichtslos. (Wenn sie nur auf Keynes gehört und in Bretton Woods eine internationale Währung geschaffen hätten, dann wäre das alles nicht passiert.)

      Damit begann die unvermeidliche Spannung zwischen Geld ohne Grenzen und Staaten mit Grenzen. Wenn die Aufsicht an der Landesgrenze endet, das Geld aber überall hinfließen kann, dann können die Besitzer jedem Aufseher ein Schnippchen schlagen. Wenn ein Boxer im Ring bleiben muss, der andere aber nach draußen springen und unentdeckt aus jeder Richtung und ohne Warnung wieder einsteigen kann, dann ist klar, auf welchen der beiden das intelligente Geld setzt.

      Es blieb jedoch nicht bei einfachen Eurobonds. Das Muster ließ sich beliebig übertragen. Man wählte ein lukratives Betätigungsfeld, suchte nach einem Land, dessen Gesetz dem entgegenkam – Liechtenstein, die Cookinseln, Jersey –, und richtete dort seine nominelle Zentrale ein. Wenn man kein Land mit passender Gesetzgebung fand, drohte oder schmeichelte man so lange, bis jemand die Regeln in der gewünschten Weise änderte. Warburg machte es vor, als er der Bank von England drohte, wenn sie nicht die Regeln änderte und die Steuern senkte, dann werde er mit seiner Bank eben umziehen, zum Beispiel nach Luxemburg. Und schon wurden die Regeln geändert, und die Abgaben – in diesem Fall eine Kapitalertragssteuer auf Inhaberschuldverschreibungen – wurden abgeschafft.

      In aller Welt verliefen die Reaktionen nach vorhersehbarem Muster. Wieder und wieder haben Länder versucht, Unternehmen zurückzuholen, die nach offshore abgewandert waren (so schafften die Vereinigten Staaten zum Beispiel die Kontrollen ab, die Banken umgehen wollten, indem sie nach London zogen), womit das Inland immer größere Ähnlichkeit mit der von Warburg geschaffenen Welt der Offshore-Piraten bekam. Die Politik wurde entgegenkommender, sie senkte Steuern und lockerte Regeln, nur damit sich das rastlose Geld in ihrem Land niederließ und nicht anderswo. Sobald ein Land die Regelungen lockerte, zogen die anderen eilig nach. So läuft das Spiel von Moneyland, die Regeln für die Reichen mit Geld in der Tasche werden immer lascher, nie strenger.

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      Moneyland hat keine Armee, keine Flagge, keine Grenzen und keine der sonstigen Eigenschaften eines Staates. Doch es hat eine Sprache: Es ist die Sprache des Euphemismus. Wenn Sie sich mit den Anwälten und Buchhaltern unterhalten, die Moneyland verwalten, hören Sie Begriffe wie »Nachfolgeplanung«, »Steuerneutralität«, »Kommissionen« und »Beschleunigungszahlungen«. Irgendwann sprechen Sie selbst so.

      Aber wie viel Geld verbirgt sich hinter diesen beschönigenden Formeln? Das ist schwer zu sagen: Geld ist unsichtbar und hoch dotierte, fantasiebegabte und intelligente Menschen sorgen dafür, dass das auch so bleibt. Wie die Dunkle Materie lässt es sich nur indirekt durch seine Auswirkungen auf die sichtbare Welt erforschen.

      Der französische Wirtschaftswissenschaftler Gabriel Zucman hat das Schweizer Bankwesen untersucht und sich an einer Schätzung versucht. Durch eine Auswertung der statistischen Anomalien, die das Bankgeheimnis bewirkt, schätzt er, dass sich 2014 etwa 8 Prozent des Geldvermögens der Welt in Steueroasen befand: 7,6 Billionen von 95,5 Billionen Dollar. Ein Drittel davon befand sich in der Schweiz, der Rest in Singapur, Hongkong, den Bahamas, Jersey, Luxemburg und einigen anderen Ländern. Nicht eingerechnet sind andere Werte, die sich offshore befinden, zum Beispiel Kunstwerke, Jachten, Immobilien und Schmuck im Wert von weiteren 2 Billionen Dollar. (Dieses Vermögen befindet sich nicht unbedingt in der Schweiz, in Hongkong oder auf den Bahamas. Sie unterstehen lediglich der Rechtsprechung dieser Länder, befinden sich aber räumlich anderswo. Wenn Sie nicht gerade eine Vorliebe für Fudge haben, finden Sie auf Jersey nicht viel, was sich zu kaufen lohnt.)

      Als ich Zucman im Berkeley besuchte, wo er unterrichtet, erklärte er mir, diese Anomalien hingen damit zusammen, dass sich Länder gern damit brüsten, wenn ausländisches Geld angelegt wird – Häuser in London, Apartments in New York City, Villen an der Riviera –, dass sie aber nur widerwillig berichten, wenn Geld abfließt. Das heißt, es gibt eine Differenz zwischen der Summe, die kommt, und der Summe, die geht. »Unser Planet als Ganzer hat Nettoschulden, was natürlich unmöglich ist«, erklärte er mir. Wenn man die Ein- und Ausgänge aller Länder der Welt addiert, müsste null herauskommen, denn die Ausgaben des einen sind schließlich die Einnahmen des anderen. Aber am Ende steht keine Null. In der Bilanz fehlt ein Land. Alphabetisch könnte man Moneyland zwischen Monaco und der Mongolei einfügen.

      Zucman ist nicht der Einzige, der versucht, Moneyland zu erforschen. Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler James Henry veranschlagt das dunkle Geldvermögen deutlich höher, nämlich auf 21–32 Billionen Dollar im Jahr 2010. Um die Komplexität seiner Aufgabe zu beschreiben, greift er gern zu Vergleichen aus der Astronomie: »Das System, das wir messen wollen, ist die wirtschaftliche Entsprechung eines Schwarzen Lochs in der Astrophysik. Wie ein Schwarzes Loch ist es unsichtbar und gefährlich für alle, die sich zu nah heranwagen«, schrieb er 2012 in einem Artikel zum Thema. »Wir haben es mit einer der am besten verbarrikadierten Interessengruppen der Gesellschaft zu tun. Keine Interessengruppe ist schließlich so reich und so mächtig