Rechtsprechung umgehen und sich nach Moneyland durchgraben, wo er sein Geld vor dem Rest der Welt verbergen kann.
»Das Wort ›verbergen‹ gefällt mir nicht. Es ist geschützt, nicht verborgen. Sehen Sie es sich mal andersherum an. Viele Frauen sind nur auf Geld aus. Sie heiraten einen Mann, den sie nicht lieben, nur weil er Geld hat. Diese Leute suchen einfach nach Möglichkeiten, ihr Vermögen zu schützen«, erklärt mir Laurie Lawrence, Finanzberater der Regierung von Nevis und zuvor zwei Jahrzehnte lang Finanzminister der Insel. »Wenn Sie als Arzt in den Vereinigten Staaten wegen eines Behandlungsfehlers verklagt werden, dann kann das Ihr finanzieller Ruin sein. Deswegen ergreifen Sie Maßnahmen, und wenn etwas passiert, dann führt das nicht zu Ihrem Bankrott.«
Die Anwälte, die die Gesetze von Nevis entworfen haben, sind begeistert von ihrer Arbeit, doch den anderen, die sich dem Bollwerk der Insel gegenübersehen, gefällt sie weniger. Im Jahr 2013 gewann eine Russin das bis dahin teuerste Scheidungsverfahren der britischen Geschichte (53 Millionen Pfund), nachdem es ihren Anwälten gelungen war, das komplizierte Geflecht der Offshore-Strukturen zu entwirren, das ihr Ehemann geknüpft hatte, um ihr den Zugang zu dem in siebzehn Ehejahren gescheffelten Vermögen zu verwehren.
Wie in Zivilprozessen in Großbritannien üblich, blieben die Namen des Paars vertraulich, doch die Einzelheiten des Offshore-Geflechts des Mannes drangen an die Öffentlichkeit. Unter anderem hatte er vier teure Immobilien in drei auf Nevis registrierten Unternehmen verborgen. »Der Fall war ein fantastisches Versteckspiel mit dem Ehemann und einem zwielichtigen Strippenzieher im Hintergrund. Zu märchenhaften Gebühren (bislang 1,4 Millionen Pfund) flogen die Anwälte der Frau rund um den Globus, um das Vermögen des Mannes aufzuspüren«, schrieb Richterin Eleanor King in ihrem Urteil. Am Ende gewann die Frau, aber kann man wirklich von Gerechtigkeit sprechen, wenn man dafür 1,4 Millionen Pfund hinblättern muss?
Noch teurer war eine Scheidung zwischen dem in Finnland geborenen Tech-Millionär Robert Oesterlund und seiner aus Wales stammenden Frau Sarah Pursglove, die 2017 in einem langen Artikel in der New York Times beschrieben wurde. Offenbar hatte Oesterlund einen großen Teil seines Vermögens in einem »weltumspannenden Finanzsystem verborgen, das seine Dienste ausschließlich den Reichen offeriert und nur einem einzigen Zweck dient: den Eindruck zu erwecken, als seien die Reichsten der Welt in Wirklichkeit arm«. Zum Glück für Pursglove verpflichtete sie den gewieften Scheidungsanwalt Jeffrey Fisher, der Oesterlunds Festung aus einer Richtung angriff, die nur ihm einfallen konnte. Der Artikel ist ein faszinierender Ausflug in die Realität des Vermögensschutzes, und natürlich spielten auch Briefkastenfirmen auf Nevis eine Rolle.
»Das hat vor gut zwölf Jahren angefangen, etwa 2005«, sagte er mir, als ich ihn anrief. »Ich mache das jetzt schon lange. Früher war ich Staatsanwalt, deswegen weiß ich, wie die Leute ihr Geld verstecken. Um an das Geld eines Vermögensschutzunternehmens wie einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung auf Nevis heranzukommen, fahren Sie natürlich nicht nach Nevis, das wäre nicht besonders geschickt. Die haben ihre Gesetze so strukturiert, dass wir da gar nichts erreichen, dass es Jahre dauert und möglichst teuer wird. Wir müssen kreativer vorgehen, damit sie das Geld ausspucken.«
Aber wer sich keinen Jeffrey Fisher leisten kann, der zu den besten Scheidungsanwälten in den Vereinigten Staaten zählt, der hat keine Chance. »Wenn man sich nicht auskennt, hat man schon verloren. Und wenn man nicht die Mittel hat, um die fiesen Strukturen zu knacken, dann hat man auch schon verloren«, erklärte er mir. »Sie müssen sich klarmachen, dass es beim Vermögensschutz nicht um Milliarden geht, sondern um Billionen. Im Grunde geht es darum, zu verhindern, dass rechtmäßige Gläubiger an ihr Geld kommen. Das ist das Geschäft dieser Leute, aber so nennen sie es natürlich nicht.«
Das alles wäre noch hinnehmbar, wenn die Kunden von Nevis ausschließlich reiche Amerikaner wären, die ihr Vermögen vor ihren Mitbürgern verbergen wollen. Aber wie Warburgs Eurobonds ist die Insel mit ihrem sonderbaren Geschäftsmodell ein Magnet für Ganoven und Tyrannen aus aller Welt. Wie immer mischen sich hier dreistes und böses Geld. Egal um welchen Betrug es geht – wenn er komplex und international ist, wird irgendwo auch der Name Nevis auftauchen.
Navinder Sarao, der britische Börsenhändler, der den Flash Crash des Jahres 2016 verursachte (damals stürzte der Dow Jones innerhalb weniger Minuten um 600 Punkte ab, weil Sarao falsche Verkaufsaufträge aufgab und damit kurzfristig Kursverluste in Billionenhöhe verursachte), überwies seine Gewinne an zwei auf Nevis gemeldete Unternehmen, von denen er einen NAV Sarao Milking Markets Fund (Sarao Marktmelkfonds) nannte. Im größten Betrugsfall der britischen Geschichte verdienten Abzocker 100 Millionen Pfund, indem sie Prominenten Anteile eines nicht existierenden Umweltunternehmens aufschwatzten. Das Geld floss durch Firmen, die auf Nevis registriert waren. »Der Fall zeichnet sich durch seine kriminelle Energie, raffinierte Planung und beispiellose Gier aus«, so der Richter in der Urteilsbegründung Ende 2017. »Die Dauer der Ermittlungen ist allein der Raffinesse und Komplexität des Betrugs geschuldet.«
An einem Versicherungsbetrug, der 2015 in New York verhandelt wurde, waren auf Nevis firmierende Unternehmen genauso beteiligt wie an einem Börsenschwindel in New Jersey zwei Jahre später. Ein besonders dreister Kredithai, der bis zu 700 Prozent Zinsen kassierte, knöpfte 620.000 sozial schwachen Amerikanern insgesamt 161 Millionen Dollar ab und versteckte sie zeitweilig auf Nevis. »Das vermeintliche Offshore-Unternehmen von Hydra Lenders bestand aus einem Dienst, der Post von Adressen auf Nevis und Neuseeland in ein Büro in Kansas City weiterleitete«, so der Staatsanwalt.
Wenn Sie auf der Website des Justizministeriums der Vereinigten Staaten das Stichwort »Nevis« eingeben, spuckt diese eine ganze Liste aus. Darunter befindet sich zum Beispiel ein Unternehmen, das nur dazu da war, 250 Millionen Dollar aus Kursmanipulationen der New Yorker Börse zu waschen. Oder ein nigerianischer Unternehmer, der 100 Millionen Dollar hinterzog und sich für 80 Millionen eine Jacht mit dem Namen Galactica Star kaufte; mithilfe von Unternehmen auf Nevis verschleierte er den Besitz seines Privatflugzeugs (zurzeit ist er in Nigeria angeklagt, 1,7 Milliarden Dollar gestohlen zu haben). Oder eine Briefkastenfirma, mit der die Familie des ehemaligen Präsidenten von Taiwan Bestechungsgelder wusch und ein Apartment in Manhattan und eine Villa in Virginia kaufte.
Die Strafverfolger anderer Länder hängen ihre Erfolge weniger an die große Glocke, doch Nachrichtenarchive berichten von ähnlichen Prozessen in aller Welt. Dank der Akten, die Revolutionäre 2014 aus dem Dnjepr fischten, wissen wir zum Beispiel, dass der ehemalige ukrainische Präsident Janukowytsch Unternehmen auf Nevis verwendete, um zu verschleiern, dass er sich in den Besitz von Kohlegruben des Landes gebracht hatte. Das Geld, das korrupte russische Polizisten aus der Staatskasse gestohlen hatten, landete auf Konten in Litauen, die wiederum einem Unternehmen auf Nevis gehörten; der Rechtsanwalt und Korruptionsbekämpfer Sergei Magnitski, der das Verbrechen aufdeckte, starb später im Gefängnis, weil man ihm ärztliche Behandlung verweigerte. Angehörige des Präsidenten von Aserbaidschan besaßen Mobilfunkanbieter und Goldförderunternehmen zum Teil über Nevis. Kein Wunder, dass Gegner von Emmanuel Macron den französischen Präsidentschaftskandidaten vor den Wahlen des Jahres 2017 in den Schmutz ziehen wollten, indem sie ihm ein Unternehmen auf Nevis andichteten – die Providence LLC, benannt nach der Schule, die er besuchte – und behaupteten, dass er hier Reichtümer hortete. Das war zwar erfunden, wirkte jedoch glaubwürdig, denn korrupte Politiker haben nun mal Briefkastenunternehmen auf Nevis.
Jack Blum ist erfahrener Korruptionsermittler, der vierzehn Jahre lang Anwalt des Korruptionsausschusses des amerikanischen Senats war und bestens mit der Insel vertraut ist. »Die Direktoren und Beamte haben keine treuhänderische Verantwortung, das Gesetz verlangt nicht einmal die Aufbewahrung minimaler Unterlagen am Unternehmenssitz. Wenn jemand gegen ein auf Nevis registriertes Unternehmen ermittelt und dort hinfährt, dann könnte niemand Auskunft geben, nicht einmal unter Folter«, sagte er mir, als wir uns in seinem Wohnort Annapolis in Maryland zum Kaffee trafen. »Wer da hinfährt, vergeudet nur seine Zeit. Da gibt es nichts zu finden. Gar nichts.«
Eine der Vorzüge des Daseins als freier Autor ist, dass ich niemandem darüber Rechenschaft ablegen muss, wie ich meine Zeit vergeude. Und weil ich Herausforderungen liebe, flog ich nach Nevis. Vielleicht würde ich ja etwas entdecken, was andere übersehen hatten?
In drei Stunden ist man von Miami in St. Kitts, und dann braucht man