Vor dem Ersten Weltkrieg war das Britische Pfund die wichtigste Währung der Welt gewesen, und die Banker der City hatten mit der Finanzierung des Welthandels gute Geschäfte gemacht. Mit ein bisschen Einsatz und den richtigen Beziehungen konnte man ein gewaltiges Vermögen verdienen. Doch zwei Weltkriege später war Großbritannien verarmt, der Dollar war die neue Leitwährung, und die Banker der City drehten Däumchen.
»Es war, als würde man einen Sportwagen mit 30 Stundenkilometern fahren«, klagte ein Banker über seine Zeit an der Spitze einer britischen Großbank. »Die Banken waren gelähmt. Es war, als würde man im Traum leben.« Die Leute kamen spät zur Arbeit und gingen früh wieder nach Hause, und die Zeit dazwischen vertrödelten sie im Pub. Ein Banker erinnert sich an seine Mittagspausen auf der Themse. Mit der Fähre fuhr er flussabwärts nach Greenwich, aß an Bord Sandwiches und trank Bier, dann nahm er die nächste Fähre zurück, verdrückte noch ein paar Sandwiches, trank mehr Bier, und ging wieder ins Büro. Der Ausflug dauerte zwei Stunden, doch das interessierte niemanden, denn es gab sowieso kaum etwas zu tun. Auf diese Weise kam er wenigstens an die frische Luft. Die Banker der City verdienten nicht viel, aber ihre Arbeit war ja auch nicht sonderlich anspruchsvoll. Die Banken hielten es für anrüchig, einander die Kunden wegzuschnappen, und die wenigen Kunden, die sie hatten, konnten mit ihrem Geld nicht viel unternehmen. Bis weit in die Sechzigerjahre hinein trug die City die Narben der Bomben, die die Deutschen zwei Jahrzehnte zuvor über der Stadt abgeworfen hatten. In den Ruinen, in denen einst emsige Börsenmakler gewirkt hatten, wuchs das Unkraut und spielten die Kinder. Warum sollte man diese Gebäude auch wiederaufbauen, wenn sie doch zu nichts gebraucht wurden?
Wer die lange Geschichte Londons kannte, dem konnte das nicht gefallen. Noch vor Ankunft der Römer war der Hügel am Nordufer der Themse ein wichtiger Handelsplatz. Die Römer hatten die Sache einfach in geordnete Bahnen gelenkt, als sie hier die Provinzhauptstadt errichtet und Londinium genannt hatten (wenn es Sie interessiert und Sie sonst nichts Besseres vorhaben, können Sie sich ja an einem verregneten Nachmittag im Keller der Guildhall die Ruinen des römischen Amphitheaters ansehen). Es war eine gute Wahl, denn London ist perfekt für den Handel. Die Stadt ist trocken, leicht zu verteidigen und mit Schiffen gut zu erreichen. London blickt hinaus in die Welt, nicht hinein ins Land. Hier können Sie Ihre Fracht löschen und Ihre Waren an die Provinzler aus dem Hinterland verkaufen. Oder Sie können sie an ausländische Kaufleute verkaufen. Die City ist die Schnittstelle zwischen England und dem Rest der Welt. Die Themse und das Meer haben London reich gemacht, und reich zu werden war die Bestimmung Londons. Im Grunde ist London gar nicht die Hauptstadt von England – das ist Westminster, eine ganz andere Stadt weiter flussaufwärts, die zwar räumlich, aber nie geistig mit London zusammengewachsen ist. Westminster verzettelte sich im Kleinkram des britischen Alltags, aber London hatte immer seine eigene Politik und wurde von großen Banken beherrscht, die eher nach Manhattan oder Mumbai blickten als nach Machynlleth oder Maidenhead.
Es waren Londoner Unternehmer, die Indien, Afrika und Nordamerika eroberten, nicht der britische Staat. Sie finanzierten die Eisenbahnen und Dampfschiffe, die Kontinente miteinander verbanden, und sie versicherten die Fracht, die auf ihnen transportiert wurde. Und wenn die City unter den Bestimmungen von Bretton Woods keinen Handel mehr finanzieren, kein Geld mehr verdienen und nicht mehr überall auf der Welt bei Geschäften mitmischen durfte – und so war das in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg –, wozu war sie dann überhaupt noch da?
Das Ärgerliche war nur, dass New York brummte. Viele der Geschäfte, die früher in London abgewickelt wurden – Handelskredite, Versicherungsgeschäfte und alles andere, das man in London als angestammtes Recht ansah –, gingen nun an diese lästigen Emporkömmlinge an der Wall Street. London war zusammengeschrumpft auf das Finanzzentrum Großbritanniens und einer immer kleiner werdenden Zahl von Überseegebieten und ehemaligen Kolonien, die so konservativ waren, dass sie sich an den Sterling klammerten. Das machte keinen Spaß.
Wer heute die Schluchten aus glitzerndem Glas und Stahl sieht oder in der Abenddämmerung zwischen dem Heer der Pendler über die London Bridge geht, kann sich kaum vorstellen, dass London als Finanzzentrum beinahe vor die Hunde gegangen wäre. Aber in den Fünfziger- und Sechzigerjahren kam die City in nationalen Angelegenheiten tatsächlich kaum noch vor. Sozialgeschichten der Swinging Sixties gehen mit keinem Wort darauf ein, was in dem alten römischen Handelslager passierte, was umso seltsamer ist, als sich etwas Bedeutsames zusammenbraute – etwas, das die Welt weit mehr verändern sollte als die Beatles, Alan Sillitoe oder David Hockney, und das die vornehme Zurückhaltung des Systems von Bretton Woods über den Haufen werfen sollte. Hier öffnete sich der Tunnel von Moneyland zum ersten Mal, und die ersten Menschen erkannten, dass am Ende dieses Tunnels eine Menge Geld zu verdienen war.
Als Ian Fleming seinen Roman Goldfinger veröffentlichte, hatten die vermeintlich sicheren Tanks des Öltankers der Weltwirtschaft bereits erste Lecks bekommen. Nicht alle Länder vertrauten darauf, dass die Vereinigten Staaten ihre Selbstverpflichtung ernst nehmen und den Dollar als unparteiische internationale Währung respektieren würden, denn Washington verhielt sich nicht immer wie ein unparteiischer Schiedsrichter. In den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Vereinigten Staaten die Goldreserven des kommunistischen Jugoslawien beschlagnahmt, woraufhin die Länder des Ostblocks ihre Dollars in europäischen Banken hinterlegten, und nicht mehr in New York. Der Weltwährungsfonds, der seinen Sitz in Washington hatte und sich am Gängelband seines größten Anteilseigners befand, weigerte sich, den Wiederaufbau des kommunistischen Polen zu unterstützen. Und als Großbritannien und Frankreich 1956 die Kontrolle über den Suezkanal zurückgewinnen wollten, fror Washington, das den Einsatz ablehnte, ihre Dollarguthaben ein, und damit war die gesamte Aktion beendet. Ein neutraler Schiedsrichter verhält sich anders.
Großbritannien stolperte von einer Krise in die nächste. 1957 hob es seine Zinsen an und verknappte das Pfund, um seine Währung zu stützen (das waren die von Colonel Smithers erwähnte »Währungskrise und die hohen Zinsen«). Weil den Banken der City das Pfund ausging, stiegen sie auf Dollars um; die bekamen sie aus der Sowjetunion, die sie in London und Paris lagerte, um sich vor dem Druck der Vereinigten Staaten zu schützen. Das erwies sich als profitables Geschäft. In den Vereinigten Staaten waren die Zinsen für Dollarkredite gedeckelt, nicht so in London. In den Vereinigten Staaten mussten die Banken einen Teil ihrer Dollars als Reserve vorhalten, nicht so in London. Die Banken hatten ein Loch in den Tanks des Öltankers von Bretton Woods entdeckt: Wenn sie den Dollar außerhalb der Vereinigten Staaten verwendeten, dann hatten die amerikanischen Währungshüter keinen Zugriff, und den britischen Währungshütern war es egal. Diese staatenlosen Dollars – die als »Eurodollar« bezeichnet wurden, vielleicht wegen der »Euro«-Telexadresse, die eine der sowjetischen Banken verwendete – konnten ganz wie früher ungehindert zwischen den Ländern hin und her fließen. Und das Gesetz konnte ihnen nicht folgen.
Die Behörden der Vereinigten Staaten versuchten, dem einen Riegel vorzuschieben. Die Bankenaufsicht eröffnete ein festes Büro in London, um ein Auge auf die britischen Niederlassungen der amerikanischen Banken zu haben. Doch auf der anderen Seite des Atlantiks waren sie zahnlos, denn sie bekamen keine Unterstützung von den Einheimischen. Jim Keogh von der Bank von England, der für die Aufsicht der ausländischen Banken zuständig war, sagte: »Mir ist es egal, ob die Citibank in London amerikanische Regeln umgeht. Das interessiert mich nicht. Wenn die Amerikaner meinen, dass die ihre Gesetze hier in London durchsetzen können, dann wünsche ich ihnen viel Glück.« Einen ausländischen Banker ließ er wissen, er könne in London tun und lassen, was er wolle – »aber nicht auf der Straße und nur, wenn er die Pferde nicht scheu macht«. Im Vergleich zu dem, was die amerikanischen Banken in New York bewegten, waren die Beträge in London überschaubar, doch sie wuchsen jedes Jahr um ein Drittel, und London hatte endlich eine neue Einnahmequelle gefunden.
Etwa zur selben Zeit (wobei kein Zusammenhang besteht, außer vielleicht dass damals die Rebellion in der Luft lag) bekam das britische Publikum einige neue Radiosender zu hören. Damals war die BBC der einzige in Großbritannien zugelassene Sender, und wenn es um Musik ging, war sie hoffnungslos vorgestrig. Die Jugendlichen wollten Nero, Gladiators oder B. Bumble & the Stingers hören und fanden das Programm der BBC öde. Hier sahen einfallsreiche Schiffseigner ihre Chance. Sie gingen außerhalb der britischen Hoheitsgewässer vor Anker, richteten einen Sender ein und übertrugen Popmusik auf die Insel.
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