dafür aber korrekter ist. Diese Schiffe befanden sich gerade weit genug von der Küste entfernt, um nicht mehr unter die britische Gesetzgebung zu fallen. In den Radioapparaten waren sie zwar genauso anwesend wie die BBC, weil man ihre Sendungen problemlos hören konnte, doch juristisch waren sie abwesend und schwer zu fassen.
Diese Vorstellung von »offshore« – physisch anwesend, aber juristisch abwesend – erwies sich als nützlich, und schon bald wurde der Begriff auch auf Finanztransaktionen angewendet. Die Banken, die mit den unbeaufsichtigten Eurodollars handelten, hatten zwei Arten von Konten. Die einen für die üblichen langweiligen Transaktionen in Pfund, die sich streng an die Regeln hielten – die Onshore- oder Inlandskonten. Und die anderen für den aufregenden neuen Piratenmarkt in Eurodollar, das Öl, das aus den Tanks gelaufen war und nun im Kielraum des Bretton-Woods-Tankers herumschwappte. Diese bezeichnete man als Offshore-Transaktionen, so als fänden sie außerhalb des britischen Hoheitsgebiets statt und als hätten die britischen Gesetze hier keine Gültigkeit. Die beiden Transaktionen wurden zwar an demselben physischen Ort durchgeführt, nämlich in der Londoner City, doch aus juristischer Sicht fand eine an einem Ort statt, an dem die Regeln keine Gültigkeit hatten. Und dieser Gedanke, das »Offshore«-Konzept, demzufolge ein Vermögen zwar physisch anwesend, aber juristisch nicht greifbar ist, steht im Mittelpunkt unserer Geschichte. Denn ohne Offshore gäbe es Moneyland nicht.
Die Offshore-Geschäfte mit den Eurodollars hauchten der Londoner City Ende der Fünfzigerjahre ein wenig frisches Leben ein, aber nicht viel. Die großen Geschäfte wurde immer noch in New York abgewickelt, und das war unerfreulich. Besonders ärgerlich war, dass viele der Kreditnehmer und -geber Europäer waren, dass aber die amerikanischen Banken die fetten Kommissionen für die Geschäfte einstrichen. Europäische Regierungen und Unternehmen brauchten Geld für den Wiederaufbau nach dem Krieg, die Volkswirtschaften wuchsen rasant, und die Londoner Banker sahen nicht ein, warum die Europäer keinen Teil vom Kuchen abbekommen sollten. Ein Banker, der sich ganz besonders ärgerte, war Siegmund Warburg.
Warburg war in der behaglichen Welt der Londoner City ein Außenseiter. Zum einen stammte er aus Deutschland. Und zum anderen hatte er den Gedanken nicht aufgegeben, dass sich Banker aktiv um Geschäfte bemühen sollten. Er hatte kein Interesse daran, sich zurückzulehnen und sein Plätzchen im Kartell der großen Banken der City einzunehmen – er lebte fürs Geschäft. Weil ihm ein Mittagessen nicht ausreichte, um seine Beziehungen zu knüpfen, aß er oft zweimal mit unterschiedlichen Gästen zu Mittag. Er war es auch, der die Idee der feindlichen Übernahme von Unternehmen nach Großbritannien brachte, worüber das feine Establishment pikiert die Nase rümpfte. Warburg reiste viel und webte unermüdlich an seinem Netzwerk. Im Jahr 1963 erfuhr er von einem Freund bei der Weltbank, dass rund 3 Milliarden Dollar außerhalb der Vereinigten Staaten zirkulierten und nur darauf warteten, genutzt zu werden. Davon wollte Warburg eine Scheibe abhaben. In den Zwanzigerjahren hatte er in Deutschland mit Schuldverschreibungen in Fremdwährungen gehandelt – warum sollte er das nicht wieder tun?
Schuldverschreibungen sind langfristige Anleihen, bei denen ein Kreditnehmer Geld zu einem festen Zinssatz aufnimmt und am Ende eines vereinbarten Zeitraums zurückzahlt. Für Unternehmen und Staaten sind sie ein wichtiges Finanzierungsinstrument. Wenn ein Unternehmen eine Anleihe in Dollar aufnehmen wollte, musste es dies in New York tun. Warburg wusste jedoch, wo sich ein erheblicher Teil dieser 3 Milliarden Dollar befand, nämlich in der Schweiz. Nun fragte er sich, ob er nicht einen Weg finden konnte, um dieses Geld für sich arbeiten zu lassen.
Damals lag viel Geld in der Schweiz. Seit den Zwanzigerjahren, als Frankreich seinen Spitzensteuersatz auf 72 Prozent anhob, machten die Schweizer gute Geschäfte damit, Bargeld und Anlagen von Ausländern aufzunehmen, die ihr Vermögen vor dem Zugriff durch das Finanzamt ihres Landes schützen wollten. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs hatte sich die Summe verzehnfacht, bis schließlich 2,5 Prozent des gesamten Privatvermögens der Kontinentaleuropäer in der Schweiz lag. Die Kunden kamen überwiegend aus Frankreich und Italien. Nach dem Zweiten Weltkrieg gingen die guten Zeiten weiter, und Anfang der Siebzigerjahre lagen bereits 5 Prozent des Privatvermögens der Europäer auf Schweizer Konten. Man packte sein Bargeld in den Kofferraum, fuhr nach Zürich oder Genf, übergab die Scheine einem diskreten Kassierer und fuhr wieder nach Hause. »Für reiche Europäer, die Steuern hinterziehen wollten, war die Situation dieselbe wie in den Zwanzigerjahren: Das Land, das den Schutz eines Bankgeheimnisses bot, war die Schweiz«, schrieb der französische Wirtschaftswissenschaftler Gabriel Zucman 2015 in seinem Buch Steueroasen, das die Rolle der Schweiz bei der Geburt von Moneyland beleuchtet.
Das war kein Geheimnis. Im Tim-und-Struppi-Band Flug 714 nach Sydney aus dem Jahr 1968 entführt der Erzbösewicht Roberto Rastapopoulos einen Millionär, um ihm Einzelheiten zu seinem Schweizer Geheimkonto abzupressen: »Ich kenne den Namen der Bank. Ich kenne den Namen, auf den das Konto läuft. Ich habe ein paar großartige Muster der falschen Unterschrift, die Sie benutzen«, sagt Rastapopoulos zu dem Entführten. »Nur die Kontonummer kenne ich nicht, und die werden Sie mir jetzt verraten.« Es folgt das vielleicht verrückteste Abenteuer von Tim und Struppi, an dem unter anderem ein Wahrheitsserum, ein Vulkanausbruch, Außerirdische und Telepathie beteiligt sind. Es ist kein Zufall, dass inmitten des Irrsinns die Kontonummer geheim bleibt. Damit hätte die Geschichte ja auch jede Glaubwürdigkeit verloren: Es handelte sich schließlich um die Schweiz, die das Bankgeheimnis seit 1934 gesetzlich garantierte. Das Geheimnis der Schweizer Nummernkonten war so gut gehütet, dass nur drei Personen die Eigentümer kannten: zwei Bankangestellte und der Eigentümer selbst. Wenn es schon zu Comicautoren durchgedrungen war, dass Steuerhinterzieher in der Schweiz gewaltige Mengen an Bargeld horteten, dann hatten ehrgeizige Londoner Banker erst recht davon gehört.
»Die Reichen und die Berühmten, die Bösen und die Hässlichen, Geheimagenten und Mafiosi nutzten die Nummernkonten, um Geld vor Frauen, Ehemännern und Geschäftspartnern zu verbergen, kleine Kriege zu führen und Drogenkartelle zu finanzieren«, schrieb Bradley Birkenfeld, ein ehemaliger Schweizer Banker, von dem noch mehr zu hören sein wird. »Dass man den Schweizern für das Privileg, ein Nummernkonto zu besitzen, eine Pauschalgebühr bezahlen musste und auf das Geld keinen Cent Zinsen erhielt, war Nebensache. Das Guthaben war ganz allein den Träumen der Kontoinhaber vorbehalten, sicher verstaut unter Schweizer Stahlmatratzen.«
Für einen Londoner Banker der frühen Sechziger war das verlockend: In der Schweiz lag dieses ganze Geld herum und tat nicht viel, und genau das brauchte man, um wieder Anleihen verkaufen zu können. Wenn Warburg an dieses Geld herankommen, es verpacken und verleihen konnte, dann war er im Geschäft. Diese Leute bezahlten Schweizer Banker, damit sie auf ihr Geld aufpassten – es konnte doch nicht schwer sein, sie davon zu überzeugen, dass sie es vermehren konnten, indem sie seine Anleihen kauften? Zumal dieses Einkommen steuerfrei wäre. Und es konnte doch nicht so schwer sein, europäische Unternehmen davon zu überzeugen, sich Geld bei ihm zu leihen, statt die teuren Gebühren zu zahlen, die in New York fällig wurden?
Es gab allerdings ein Hindernis: das Nachkriegssystem, der Öltanker mit seinen separaten Tanks, die verhindern sollten, dass Geld zu Spekulationszwecken von einem europäischen Land ins andere floss. Wie konnte Warburg dieses Geld aus der Schweiz zu seinen Kunden in anderen Ländern bringen? Mit dieser Aufgabe beauftragte er zwei seiner besten Männer.
Sie nahmen die Verhandlungen im Oktober 1962 auf. Im selben Monat sprangen die Beatles mit ihrer ersten Single »Love Me Do« in den britischen Charts auf Platz 17 – für ein Debüt ganz nett, aber nicht spektakulär. Die Banker unterzeichneten den Vertrag am 1. Juli des folgenden Jahres, dem Tag, an dem die Pilzköpfe ihre Single »She Loves You« aufnahmen und die weltweite Beatlemania ihren Anfang nahm. In diesen außergewöhnlichen neun Monaten wurde nicht nur die Popmusik auf den Kopf gestellt, sondern auch die Weltpolitik, denn in diese Zeit fiel die Kubakrise und John F. Kennedys Ausspruch »Ich bin ein Berliner«. Unter diesen Umständen ist es verzeihlich, wenn niemand mitbekam, dass nebenbei auch in der internationalen Finanzwelt ein neues Zeitalter angebrochen war.
Warburgs neue Anleihen – die Eurobonds, wie sie in Anlehnung an die Eurodollars hießen – wurden unter Leitung von Ian Fraser ausgegeben, einem schottischen Kriegshelden, der erst Journalist, dann Banker geworden war. In seiner lesenswerten Autobiografie The High Road to England legt er in bemerkenswerten Einzelheiten dar, wie viele bürokratische Hürden er zu überwinden