der wohlhabenden Länder Nordamerikas und Europas besitzen den größten Teil des Offshore-Geldvermögens, doch da diese Länder gleichzeitig ein großes Bruttoinlandsprodukt haben, macht es hier nur einen relativ kleinen Anteil am nationalen Gesamtvermögen aus. In den Vereinigten Staaten schätzt Zucman den Anteil auf 4 Prozent, in Westeuropa auf 10 Prozent. In Russland befinden sich dagegen geschätzte 52 Prozent des Vermögens offshore und außer Reichweite des Staates. Auf dem gesamten afrikanischen Kontinent beträgt der Anteil etwa 30 Prozent, in den Golfstaaten jedoch atemberaubende 57 Prozent. »Für Oligarchen in nicht-demokratischen Entwicklungsländern ist es recht einfach, ihr Vermögen zu verbergen. Damit haben sie einen gewaltigen Anreiz, ihr Land zu plündern, und es gibt keine Aufsicht«, so Zucman.
So also entstand Moneyland. Die sorgfältig aufgerichteten Schutzwälle wurden niedergerissen, und es konnte sich in aller Welt breitmachen. Nun sehen wir uns einige der Türhüter an.
* Die Londoner Banker hatten bald ein derartiges Geschick entwickelt, verschiedene nationale Rechtssysteme gegeneinander auszuspielen, dass sie zwei Jahre später das belgische Finanzamt davon überzeugten, bei einer Vertragsunterzeichnung handele es sich lediglich um eine Formalie. Damit mussten sie nicht mehr nach Luxemburg fahren, um ihre Verträge zu unterzeichnen, sondern konnten ihre Abschlüsse in Brüssel feiern. Der Grund: Luxemburg war seinerzeit eine gastronomische Wüste, während die Restaurants in Brüssel nach dem Geschmack der Banker waren.
KAPITEL 3
DIE KÖNIGIN DER KARIBIK
NEVIS IST NICHT VIEL MEHR als ein bewaldeter, in Nebel gehüllter Gipfel, der aus dem Meer ragt, wo der Atlantik auf die Karibik trifft. Die Insel ist kaum größer als Manhattan, hat aber gerade einmal 11.000 Einwohner. Als die Briten sie 1983 als Juniorpartner von St. Kitts und Nevis in die Unabhängigkeit entließen, schien sie einer trüben wirtschaftlichen Zukunft entgegenzugehen.
Damals war Simeon Daniel Regierungschef von Nevis, und seine Aufgabe war es, für die Inselbewohner zu sorgen. Die Speisekammer war leer. »Es gab nicht viele Möglichkeiten, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen«, erinnerte er sich später. Doch er hatte noch ein Ass im Ärmel.
Während der Verhandlungen um die Unabhängigkeit hatte er die größtmögliche Autonomie für Nevis herausgeschlagen. So klein die Insel war, ließ ihr die föderale Verfassung weitgehende Kontrolle über ihre Angelegenheiten. Ein Coup in Liberia eröffnete eine aussichtsreiche Chance. Amerikanische Schiffseigner zahlen hübsche Sümmchen für eine Flagge, unter der sie die heimischen Aufsichtsbehörden umschiffen können, und nach dem Sturz der Regierung in Liberia fürchteten sie, dass sie ihre Schiffe nun nicht mehr dort anmelden konnten.
Ein amerikanischer Anwalt namens Bill Barnard schlug Daniel vor, in diese Lücke zu stoßen. »Mr. Barnard und sein Team haben die ganze Infrastruktur aufgebaut«, erinnert sich Daniel. »Sie haben die Gesetzestexte entworfen, und wir haben sie dem Parlament von Nevis vorgelegt.«
Nachdem Barnard sah, wie entgegenkommend die Inselregierung war, entwarf er ehrgeizigere Ziele für Nevis. Warum sollte man nur den Schiffseignern helfen, die Regeln zu umgehen, wenn man allen helfen konnte? Barnard führte Nevis in das Geschäft mit der Verschwiegenheit ein. Sein Unternehmen, das er später Morning Star nannte, sicherte sich das Monopol für die Produkte des Landes. Barnard holte amerikanische Anwälte auf die Insel, die ein Buffet von finanziellen Leckerbissen zusammenstellten, und Nevis übernahm sie willig in seine juristische Speisekarte. Auf meine Anrufe und E-Mails hat Barnard nicht geantwortet, doch es macht ganz den Eindruck, als hätte sich sein Team das erste Fundament vor allem aus den Gesetzbüchern des amerikanischen Bundesstaats Delaware abgeschaut. Die neuen Gesetze traten 1984 in Kraft, ein Jahr später wurde das Bankgeheimnis eingeführt, und die Insel konnte loslegen. Doch das war erst der Anfang.
David Neufeld ist einer der vielen amerikanischen Anwälte, die an der Absicherung des Finanzsystems der Insel mitgewirkt haben. 1994 entwarf er ein Gesetz zur Gründung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Dazu bediente er sich beim Vorbild des US-Bundesstaats Wyoming und fügte noch einige andere hübsche Aspekte hinzu, von denen er glaubte, dass sie seinen Kunden gefallen könnten. »Wir haben uns die Rosinen herausgepickt«, sagte er mir. »Ich will ja nicht angeben, aber es war ein bisschen so, als hätten wir Gott gespielt. Natürlich war meine Schöpfung nicht ganz so ehrgeizig. Und ich habe am siebten Tag auch nicht geruht. Das ist der Unterschied zwischen mir und Gott: Gott arbeitet schneller.«
Die Gesetze, die Neufeld und andere nach Nevis gebracht haben, machten aus der Insel eine Festung für alle, die ihr Vermögen in Sicherheit bringen wollen. Nevis erkennt keine ausländischen Gerichtsurteile an, sodass Gerichtsstand immer Nevis sein muss. Aber um einen Prozess anzustrengen, muss man vorab als Zeichen des guten Willens 100.000 Dollar hinterlegen. Liegt der Fall mehr als ein Jahr zurück, wird er automatisch abgewiesen. Und selbst wenn man durchkommt, stehen die Erfolgsaussichten schlecht: Die Unternehmen von Nevis müssen keine Unterlagen über ihre Finanztransaktionen vorhalten, und Bilanzvorschriften, Wirtschaftsprüfung oder Buchhaltung sind auf der Insel unbekannt. Ein ausländisches Unternehmen kann jederzeit nach Nevis umziehen, und ein Unternehmen von Nevis kann die Insel jederzeit verlassen. Es muss die Behörden der Insel nicht darüber informieren, wer der wahre Eigentümer ist: Das wissen nur die Aktionäre und der gesetzliche Vertreter, und um es herauszufinden, ist eine gerichtliche Verfügung erforderlich.
Die Anwälte haben mit dem Aufbau dieser juristischen Festung eine hübsche Stange Geld verdient und sind stolz auf ihre Erfindung. »Wir haben ein Team von gut zehn Leuten aus den gesamten Vereinigten Staaten zusammengestellt und uns alle zwei Wochen anderthalb Stunden getroffen. Wir haben das Gesetzbuch auf der ersten Seite aufgeschlaggen und sind es Wort für Wort durchgegangen«, erklärte mir Shawn Snyder, ein Treuhandexperte aus Florida, der die letzte Aktualisierung der Inselgesetze leitete. »Ich sage meinen Klienten immer, es gibt eine neue goldene Regel zum Anlagenschutz: Wer das Gold hat, gewinnt.«
Lobbyarbeit gibt es überall, doch auf Nevis wurde sie auf ihren nackten Kern reduziert. Amerikanische Anwälte schreiben die Gesetze, und das Parlament von Nevis winkt sie durch, damit die Anwälte Geld verdienen und Nevis Gebühren kassieren kann. Es ist eine reine Transaktionsbeziehung. Selbstverständlich verlangt Nevis keine Steuern von den hier ansässigen Unternehmen (es sei denn, man wünscht es; das kann unter Umständen sogar seine Vorteile haben), doch die Insel ist mehr als ein Steuerparadies. Sie ist ein Schutzraum für alles und einer von einigen Dutzend staatlichen Handlangern von Moneyland, die das Vermögen all jener schützen, die sich die Gebühren leisten können.
Heute stehen rund 18.000 Unternehmen im Handelsregister von Nevis – mehr als anderthalb für jeden Einwohner der Insel. Sie bringen jedes Jahr 5 Millionen Dollar an Einnahmen und weitere 5 Millionen Dollar an Gebühren für den Staat. Dazu kommen die Steuern, die Anwälte, Buchhalter und andere Mitarbeiter der Branche zahlen. Das klingt bescheiden, doch für eine Insel, die nicht mehr Bewohner als eine Kleinstadt hat, ist es ganz ordentlich. Kein Wunder, dass der ehemalige Premierminister Daniel stolz ist auf die Saat, die er gelegt hat. »Die Finanzdienstleister haben die wirtschaftlichen Ressourcen gebracht, die den Menschen auf Nevis Wohlstand bringen«, schrieb er.
Nevis verdient sein Geld mit der Verpachtung seiner Souveränität an Reiche, die fürchten, dass die Vereinigten Staaten zu prozessfreudig sind, Frauen bei Scheidungen zu viel Geld bekommen und überall Neider mit ihren Anwälten auf die Erfolgreichen lauern. Diese Sorgen sind unter Reichen verbreitet, und Moneyland gibt ihnen die Mittel an die Hand, sich dagegen zu wappnen.
Wenn wohlhabende Amerikaner früher glaubten, dass sie von den Gesetzen benachteiligt wurden, dann versuchten sie Einfluss auf die politischen Parteien zu nehmen, um diese Gesetze zu ändern. Wenn sie glaubten, dass ihre Frauen bei einer Scheidung zu großzügig abgefunden wurden, dann verlangten sie Gesetze, um das zu ändern. Das war langwierig und das Ergebnis war nicht perfekt, aber so funktioniert eben die Demokratie.
An die Stelle dieses unschönen Hin und Her tritt heute der Vermögensschutz. Die Reichen versuchen gar nicht mehr, auf Gesetze Einfluss zu nehmen, sondern sie entziehen sich ihnen ganz einfach. Normalbürger müssen